Der Kulterer

Der Kulterer

In der 1962 entstandenen Erzählung Der Kulterer berichtet Thomas Bernhard vom Leben des 1911 in Aschbach geborenen Franz Kulterer, der wegen eines nicht näher bezeichneten Verbrechens in der oberösterreichischen Strafanstalt Suben einsitzt.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsangabe

Die Hauptperson, ein einfacher, zurückhaltender und anspruchsloser Mensch, fügt sich ohne Auflehnung in den brutalen Strafvollzug ein, wo schon wegen einfachster Widersprüche Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf der Gefangenen üblich sind.

Er erkennt „Auflehnung ist Größenwahn“ und sie wäre auch nicht gerechtfertigt, da er seine Strafe in Anbetracht seines Verbrechens akzeptiert. So wird er fast zum Liebling der Wärter, die ihn zwar nicht bevorzugen, ihn aber auch nicht ungerecht bestrafen.

Die Strafanstalt wird für den Kulterer zum Freiraum, in dem er Welt und „Gotteswelt“, „Himmel und Hölle“ erstmals als Bestandteile eines sinnvollen Systems verstehen lernt. Während die anderen Gefangenen, im Grunde viehisch-rohe Gesellen, gewalttätig und aufbegehrend, sich an dem System abnutzen und verbrauchen, gelingt es dem Kulterer, die Wirkungsstätte seines Gefängnisaufenthalts zum Ort einer Selbstverwirklichung zu machen: er beginnt, nachts im Dunkeln, kleine Geschichten niederzuschreiben, die ihm halb im Traum einfallen und die er wach fortspinnt. Über diese Geschichten findet er auch Zugang zu den anderen Gefangenen, die zwar seine Literatur meistens nicht verstehen, sie aber akzeptieren und die Lesungen, die Kulterer hält, gerne hören.

Es zeigt sich, dass die bei Bernhard oft nachgewiesene negative Idylle bereits in dieser frühen Geschichte vollständig ausgeprägt ist: Die Selbstverwirklichung des Subjekts geschieht unerwartet dort, wo Gewalt und Finsternis herrschen, wo der Einzelne bis auf die grundlegenden Bedürfnisse tagtäglich Vergewaltigung erfahren muss.

Der vielbeschriebene Ortstopos im Werk Bernhards ist hier vor der Kulisse einer Strafanstalt noch nicht in der absurden Konstellation der späteren Werke (Das Kalkwerk) ausgearbeitet. Bernhard beschreibt die Örtlichkeit sehr anschaulich und fast logisch folgerichtig: es handelt sich bei der Gefängnisanlage um ein altes aufgegebenes Kloster, in dem schon immer Menschen (wenn auch früher freiwillig) vom Leben in der Außenwelt Abstand genommen haben und wo auch heute nur selten Irritationen eindringen: Briefe und Pakete aus der Außenwelt oder das Lachen von Bauersfrauen von den umliegenden Feldern.

Dennoch drückt die Realität dem Schreibenden ihren Stempel auf: er schreibt nur traurige Geschichten, in denen er aber bis zu einem gewissen Grad Wirklichkeit gestalten kann und die Welt verstehen lernt.

So ist es nicht verwunderlich, dass der Kulterer seiner bevorstehenden Entlassung mit Skepsis und Angst entgegensieht: er fürchtet zu Recht um den Verlust seines Schutzraums, sein Weg wird nicht in die Freiheit führen, sondern in eine Landschaft, die „von Hoffnungslosigkeit dampft“ und in der ein weiterer literarischer Schaffensprozess nicht glaubhaft ist.

Ausgaben

Die Erzählung ist im gleichnamigen Buch 1974 im Residenz-Verlag, Salzburg, Österreich, zusammen mit der Filmgeschichte erschienen; eine Neuausgabe erfolgte 2011 in der Insel-Bücherei (IB 1339) mit Illustrationen von Peter Herzog (Maler).

Verfilmung

Das Drehbuch (vom Verlag „Filmgeschichte“ genannt) wurde 1973 verfasst. Das Buch wurde unter dem Titel „Der Kulterer“ 1973/74 als Gemeinschaftsproduktion von ZDF und ORF mit Helmut Qualtinger in der Titelrolle unter der Regie von Vojtěch Jasný als Fernsehfilm mit 77 Minuten Länge verfilmt. Die Aufnahmen wurden in der in einem ehemaligen Kloster untergebrachten Männerstrafanstalt Garsten in Oberösterreich gedreht.

Die Erstausstrahlung erfolgte am 6. März 1974 im Nachtprogramm des ZDF, im ORF war der Film am 16. April 1974 zu sehen.

Darsteller: Helmut Qualtinger (Kulterer), Andreas Altmann, Harry Hornisch, Werner Schneyder, Fritz Thalhammer, Emmo Diem, Roland Barta.

Weblinks


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