Alain Chartier

Alain Chartier
Alain Chartier

Alain Chartier (* ca. 1385 in Bayeux; † zwischen 1430 und 1446[1] in Avignon) war ein französischer Diplomat und bedeutender Autor.

Leben und Schaffen

Chartier (der in Literaturgeschichten und Lexika häufig unter „Alain“ geführt wird) stammte aus einer bürgerlichen Familie in der normannischen Bischofsstadt Bayeux. Wie sein ältester Bruder Guillaume, der später Bischof von Paris wurde, und sein älterer Bruder Thomas, der königlicher Notar wurde, studierte er in Paris. Spätestens um 1415 stand auch er in Beziehung zum Hof als Sekretär des Dauphins, des späteren Königs Karl VII.. Diesem diente er praktisch sein ganzes Leben lang und reiste des Öfteren als kompetenter Unterhändler in diplomatischen Missionen für ihn zu europäischen Fürsten. Zum Dank bekam er von ihm mehrere Domherrenpfründen (die kumulierbar waren) verschafft. Er starb auf einer diplomatischen Reise in Avignon. Seine Existenz war überschattet von der schlimmsten Phase des Hundertjährigen Krieges zwischen den Kronen Englands und Frankreichs sowie dem darin eingebetteten innerfranzösischen Bürgerkrieg zwischen Bourguignons und Armagnacs.

Chartier begann als Lyriker und verfasste sein ganzes Leben hindurch zahlreiche Balladen, Rondeaus, Virelais usw. Der Grundton der meisten seiner Gedichte ist melancholisch. Seine Lyrik wurde von den Zeitgenossen als vorbildhaft betrachtet.

Sein erstes längeres Werk war 1416 die Verserzählung Le Livre des quatre dames, die er unter dem Schock der Niederlage eines weit überlegenen französischen Ritterheeres gegen die diszipliniert kämpfenden englischen Bogenschützen in der Schlacht von Azincourt (1415) schrieb. Hierin berichtet ein Ich-Erzähler von vier Damen, die ihn zu entscheiden bitten, wer die Unglücklichste von ihnen sei: diejenige, deren Freund in der Schlacht gefallen ist, die, deren Freund seitdem vermisst wird, die, deren Freund dort in Gefangenschaft geraten ist, oder schließlich die, deren Freund sich durch feige Flucht gerettet hat.

1418 flüchtete Chartier mit dem Dauphin und dessen Gefolge vor den Bourguignons aus Paris nach Bourges. Dort schrieb er 1422 in Reaktion auf die wirren Verhältnisse, die nach dem Tod des geistesgestörten Karl VI. ausgebrochen waren, das Quadrilogue invectif, ein Vierergespräch zwischen den allegorischen Figuren le Clergé (=der kath. Klerus), la Chevalerie (=der Adel), le Peuple (=das Volk) und Dame France. Hierin rügt „Frau Frankreich“ die drei Anderen, d.h. die Franzosen insgesamt, wegen ihrer Uneinigkeit und mahnt sie zur Unterstützung ihres rechtmäßigen neuen Königs, Karl VII. Dieser nämlich hatte einen Gegenkönig in Gestalt seines Neffen, eines Sohnes seiner Schwester Katharina und Heinrichs VI. von England, der von Paris aus und mit Hilfe englischer Truppen den Norden und Westen Frankreichs beherrschte.

In die Literaturgeschichte eingegangen ist Chartier vor allem als Verfasser der Verserzählung La belle dame sans merci (=die gnadenlose schöne Dame, 1424), die er offenbar zur Zerstreuung des Hofes von Karl VII. verfasste, der zu dieser Zeit untätig in Bourges verharrte und kaum etwas tat, um seine Königsrechte durchzusetzen. Die 100 aus achtzeiligen Achtsilbern bestehenden Strophen („huitains“) der Belle dame sans merci enthalten eine kleine Rahmenhandlung um einen mit dem Autor identisch vorgestellten Ich-Erzähler, in die ein langer, angeblich von ihm belauschter Dialog zwischen einem Liebenden und seiner Dame eingebettet ist. Offensichtlich gelang Chartier mit diesen beiden Figuren eine exemplarische Gestaltung des Typs der spröden, sich verweigernden Frau, der „gnadenlosen Schönen“, sowie vor allem des schmachtenden Liebhabers, d. h. des abgewiesenen, sich aber nicht lösen könnenden und sich in seinem Unglück verzehrenden Liebenden, wobei dieser sich hier naiv auf die Ideale und Regeln der höfischen Liebe beruft, während jene ihnen ironisch-distanziert gegenübersteht. Chartiers Werk war enorm erfolgreich und wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten unendlich oft von anderen Autoren zitiert, plagiiert, pastichiert und parodiert; noch um 1540 wurde es von Margarete von Angoulême in ihren Erzählungen als bekannt vorausgesetzt.

Auf die wirre politische Situation in Frankreich reagierte Chartier einmal mehr mit dem Lai de Paix (=Friedensgedicht) 1426), in dem er die französischen Fürsten zum Frieden und zur Einigung unter seinem Herrn Karl VII. aufruft.

1429 machte er sich mit einer Lettre sur Jeanne zur Fürsprecherin von Jeanne d'Arc, der Jungfrau von Orléans, die den untätigen Karl VII. aufgerüttelt hatte und ihm im selben Jahr mit Siegen über die Truppen Heinrichs VI. die symbolisch wichtige Krönung in der Kathedrale von Reims ermöglichen sollte.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Alain Chartier. In: Gero von Wilpert (Hrsg.): Lexikon der Weltliteratur, 3. Auflage 1988, S. 285.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Alain Chartier —     Alain Chartier     † Catholic Encyclopedia ► Alain Chartier     A French poet, born about 1390, at Bayeux, died between 1430 and 1440. It is believed he studied at the University of Paris, as did his brother Guillaume, Bishop of Paris, who… …   Catholic encyclopedia

  • Alain Chartier — según Edmun Blair Leighton (1903), siendo besado por Margarita de Austria. Alain Chartier (Bayeux, c. 1390–Aviñón, c. 1430) fue un poeta francés de la Edad Media. Nació en el seno de una familia en la …   Wikipedia Español

  • Alain Chartier — Pour les articles homonymes, voir Alain. Pour les articles homonymes, voir Chartier. Alain Chartier …   Wikipédia en Français

  • Alain Chartier — French literature By category French literary history Medieval 16th century  …   Wikipedia

  • Michel-Eustache-Gaspard-Alain Chartier de Lotbinière — Colonel The Hon. Michel Eustache Gaspard Alain Chartier de Lotbinière (August 31, 1748 – January 1, 1822), de jure 2nd Marquis de Lotbinière. He was seigneur of Vaudreuil, Lotbinière and Rigaud, Que …   Wikipedia

  • Michel-Eustache-Gaspard-Alain Chartier de Lotbinière — Michel Eustache Gaspard Alain Chartier de Lotbinière, (1748 1822), Président de la Chambre des communes du Bas Canada. Sommaire …   Wikipédia en Français

  • Rue Alain Chartier — 15 arrt …   Wikipédia en Français

  • Rue Alain-Chartier — 15 arrt …   Wikipédia en Français

  • Chartier — may refer to : Contents 1 Canada 2 France 3 United States 4 See also Canada Clément Chartier (b. 1946) …   Wikipedia

  • CHARTIER (A.) — CHARTIER ALAIN (1385 ? 1429) L’œuvre de ce grand poète de la fin du Moyen Âge reste injustement négligée: il a pourtant laissé une marque profonde et subtile dans la littérature française. Clément Marot dit de ses vers qu’ils étaient un honneur… …   Encyclopédie Universelle

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”