Groß-Steinskulpturen

Groß-Steinskulpturen

Groß-Steinskulpturen ist ein Sammelbegriff für Felsformationen, die vermeintlich reliefartige, überlebensgroße „Abbilder“ von Gesichtern, Menschen oder Tieren aufweisen. Die These, dass es sich hierbei um von Menschenhand erstellte „Kunstwerke“ aus dem Jungpaläolithikum handele, wurde insbesondere von Elisabeth Neumann-Gundrum (1981) vertreten. Von Fachwissenschaftlern wird diese Deutung, die nur in rechten und germanophilen Kreisen auf fruchtbaren Boden gefallen ist, durchweg abgelehnt und die entsprechenden „Forschungen“ als Pseudowissenschaft erachtet.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Die „Vorarbeiten“ zu diesem Thema leisteten der Rassenmystiker Karl Maria Wiligut („Himmlers Rasputin“, alias Weisthor), der von Heinrich Himmler und seiner Stiftung „Ahnenerbe“ protegiert wurde und Richard Anders, SS-Mitglied und Mitglied im rassistischen Neu-Templerorden (O.N.T.). Wiligut brachte erstmals die Idee auf, es könne sich bei bestimmten, gesichterähnlichen Felsformationen nicht um Launen der Natur handeln, sondern um Kunstwerke aus der Ur-Geschichte Europas. Richard Anders fotografierte die von ihm sogenannte „Steinbildplastiken“, die er als Relikte einer mehr als 20.000 Jahre alten europäischen Ur-Religion ansah, von der allen anderen Kulturen ihren Ausgang genommen hätten - solche vermeintlichen Denkmäler aus ältester Zeit sollten Deutschland daran gemahnen, dass es wieder zur geistigen Führung der ganzen Welt berufen sei.

Elisabeth Neumann-Gundrum vertrat 1981 in ihrem, von schwer verständlicher Mystik durchsetzten Bildband eine ähnliche Auffassung. Nach ihrer Meinung existieren in verschiedenen Regionen Europas jungpaläolithische Groß-Steinskulpturen an Felsformationen, die vor allem riesige Gesichter zeigen, unter denen die Autorin die religiösen Symbole des „Zwiegesichts“ und der „Atemgeburt“ immer wieder erkannt haben will. Sie datierte diese angeblichen Skulpturen zwischen 35.000 und 10.000 Jahren v. Chr., also mitten in die letzte Eiszeit.

Die Marburger Germanistin Elisabeth Neumann-Gundrum wurde 16. März 1910 in Gelsenkirchen geboren (Vater Julius Neumann, Knappschaftsarzt aus Gelsenkirchen; Mutter Meline Euker aus Marburg) und ging in Gelsenkirchen-Buer, Potsdam und Gladbeck zur Schule. Sie studierte in Basel, Marburg, Leipzig und Münster Geschichte, Germanistik und Philosophie, und schloss ihr Studium mit einer Promotion über Rainer Maria Rilke ab. Neumann-Gundrum arbeitete in Kassel und Kirchhain als Lehrerin und war dort auch für einige Semester Dozentin für Bildende Kunst. Den Zweitnamen Gundrum, der Geburtsname ihrer Mutter, legte sie sich erst später zu. Seit 1970 widmete sie sich ausschließlich ihren Forschungen über die Groß-Steinskulpturen in Deutschland und im europäischen Ausland. 1981 veröffentlichte sie ihren Bildband zu diesem Thema.

Eine umfassende Diskussion der angeblichen Groß-Steinskulpturen mit Geländeführer zu den entsprechenden Felsformationen wurde von Winfried Katholing (Mai 2001, Verlag: Books on Demand GmbH) erstellt, der gewisse Zweifel an Neumann-Gundrums Thesen äußerte.

Beispiele für angebliche Groß-Steinskulpturen und ihre „Entdecker“

  • Klusfelsen bei Goslar (der Nazi-Esoteriker Karl Maria Wiligut; Hemerding et al., 1995, der hier eine Kultstätte der Atlanter vermutet)
  • Bruchhauser Steine (Elisabeth Neumann-Gundrum, 1981)
  • „Der Alte vom Berg“ auf der Kästeklippe (Okertal) im Harz bei Goslar (Rogge, 1985)
  • Der „Wächter“ bei der Burgruine Lichtenstein in Unterfranken (Machalett, 1965, ein einschlägig bekannter „germanophiler“ Autor)
  • Der „Rufer“ an den Externsteinen im Teutoburger Wald (Machalett, 1970; Neumann-Gundrum, 1981; Niedhorn, 1995)
  • Heidenfelsen bei Landstuhl sowie der Kriemhildenstuhl und der Teufelsstein bei Bad Dürkheim in der Pfalz (Richard Anders, eine ähnlich dubiose Figur mit Nazi-Vergangenheit wie Wiligut)
  • Beispielfoto einer Grossskulptur in Form eines sogenannten Urbildes bei Dro, nördlich des Gardasees, wo in den Kalkfelsen eingearbeitet in der Bildmitte deutlich ein Gesicht zu erkennen ist; über der plastischen prähistorischen Kopfskulptur ragt eine weitere Tierfigur hervor in Form eines Hundes. Unabhängig von den ideologisch gefärbten Diskussionen über die Authentizität solcher in Felsformationen und Felsblöcken herausgearbeiteter dreidimensionaler Urbilder gibt es in der Archäologie noch keinen Lehrstuhl für dreidimensionale prähistorische Skulpturen und Monumente – was ein intensives Kollegium von Geologie, Kunst und Archäologie bedingte.

Kritik

Von Seiten der akademischen Wissenschaft werden die betreffenden Felsformationen als rein natürlichen Ursprungs und die Ähnlichkeiten mit Gesichtern oder Tieren einhellig als natürliche Zufallsbildungen angesehen. Die Fotos in Neumann-Gundrums Bildband zeigen bei unvoreingenommener Betrachtung, dass ihre Deutung kaum nachvollziehbar ist. Es gibt offenbar auch keinerlei überzeugende Hinweise auf eine gezielte Bearbeitung durch Menschen. Das in Neumann-Gundrums Bildband abgedruckte Gutachten, mit dem angeblichen Nachweis von Bearbeitungsspuren an den Felsformationen, stammt nicht von einem entsprechend qualifizierten Archäologen, sondern nur von einem unbekannten Steinmetz und ist als äußerst zweifelhaft einzuschätzen.

Eine gewisse Akzeptanz fanden die umstrittenen Thesen in esoterisch geprägten Zirkeln der rechtsextremen Szene, der die Mehrzahl der Autoren, die sich mit dem Thema Groß-Steinskulpturen befasst haben, auch zuzuordnen ist - so Walther Machalett vom „Arbeits- und Forschungskreis Walther Machalett für Vor- und Frühgeschichte e.V.“, der auch dem „Armanen-Orden“ angehörte, der »das germanische Volkstum als Hauptstamm der weißen Rasse« ansieht.

Literatur

Hinweis: Die hier aufgelistete Literatur umfasst größtenteils pseudowissenschaftliche Arbeiten aus dem rechten Umfeld, da sich Fachwissenschaftler kaum mit dieser Thematik befassen!

  • Anonymous: Großskulpturen im Felsen untersucht – Marburger Wissenschaftlerin wird 90, Oberhessische Presse, 16. März 2000.
  • Hemerding, Siegfried & Lassen, Nis & Rab, Eva: Die Magier vom „Klus“ – Der Klusfelsen in Golar als Mysterienort, Ars-Regia Kultstätten-Führer, Wedemark-Mellendorf 1995.
  • Katholing, Winfried: Die Groß-Steinskulpturen – Kultplätze der Steinzeit?, Books on Demand, o.O. 2001, 233 Seiten, ISBN 3-8311-1782-9.
  • Machalett, Walter: Der Lichtenstein bei Ebern in Unterfranken, Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, Bd. 11, Sonderheft 1, Maschen 1965.
  • Machalett, Walter: Die Externsteine – Das Zentrum des Abendlandes. Bd. 2, Maschen 1970.
  • Meier, Gert: Die Deutsche Frühzeit war ganz anders. Standortbestimmung zur Vorgeschichte der Deutschen, Grabert-Verlag, Tübingen 1999, 557 Seiten, ISBN 3-87847-175-0.
  • Meier, Gert & Zschweigert, Hermann: Die Hochkultur der Megalithzeit – Verschwiegene Zeugnisse aus Europas großer Vergangenheit, Grabert-Verlag, Tübingen 1997, 511 Seiten, ISBN 3-87847-159-9.
  • Neumann-Gundrum, Elisabeth: Europas Kultur der Groß-Skulpturen: Urbilder/Urwissen einer europäischen Geistesstruktur, Schmitz, Gießen 1981, 484 Seiten, ISBN 3-87711-039-8.
  • Neumann-Gundrum, Elisabeth: Europas Kultur der Groß-Skulpturen. Der Wesensgeist des Megalithikums, o.O. 1981 (?), ISBN 3-9802235-4-X
  • Niedhorn, Ulrich: Mega-Skulpturen an den Externsteinfelsen – Zeugnisse des germanischen Schamanismus, Isenhäger Studien zur frühen Skulptur, Bd. 6, Frankfurt/Main 1995.
  • Rogge, Bert: Das Gesicht Alteuropas und das Geheimnis seiner Felsbilder, Selbstverlag, Alfeld 1985.

Siehe auch

Weblinks


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