Lilo Ramdohr

Lilo Ramdohr

Lieselotte Fürst-Ramdohr, verwitwete Berndl (* 11. Oktober 1913 in Aschersleben) war ein Mitglied des näheren Freundeskreises der Münchner Studenten-Widerstandsgruppe Weiße Rose im Zweiten Weltkrieg.

Fotografie von Lilo Ramdohr (damals noch L. Berndl), anlässlich der Trauung mit Carl G. Fürst in München, Februar 1944

Inhaltsverzeichnis

Leben

Lilo Ramdohr entstammte dem Ascherslebener Zweig der mitteldeutschen Familie Ramdohr. Nach Aufenthalten in England (1931) und einjährigem Besuch des Internates Dr. Fritz Weiß[1] in Weimar (Frühjahr 1932 – Frühjahr 1933) zog sie im Sommer 1934 erstmals nach München und begann eine Ausbildung zur Bühnenbildnerin bei Emil Preetorius. Von März 1935 bis Februar 1936 lernte sie Buchillustration an der Württembergischen Kunstgewerbeschule bei Prof. Schneidler in Stuttgart. 1936 begann sie in Dresden eine Ausbildung zur Tanzlehrerin an der Schule für modernen Tanz von Mary Wigman. Nach Besuch der Günther-Schule in München und Abschluss einer Prüfung als Gymnastikleherin in Stuttgart im April 1938 übernahm Lilo Ramdohr eigenverantwortlich eine Schule in Heilbronn und gab Unterrichtsstunden in Betriebssport, bis sie im Sommer 1939 zum Erntedienst nach Holzkirchen eingezogen wurde und dann zum Lazarettdienst bis Ende 1941 erneut nach München kam. Daneben besuchte sie ab April 1941, inzwischen verheiratet, nochmals die Günther-Schule, um eine Zusatzprüfung in tänzerischer Körperbildung zu absolvieren, und erhielt dabei einige Engagements an Münchner Bühnen, u. a. im Herkulessaal der Residenz, zusammen mit Benno Kusche und Maja Lex.

Zusätzlich hierzu besuchte Lilo Ramdohr die private Zeichenschule „Die Form“ von Hein König, wo sie im Herbst 1941 den deutsch-russischen Medizinstudenten Alexander Schmorell kennenlernte. Aus dieser Freundschaft ergab sich auch ihr Kontakt zu Hans Scholl, Christoph Probst und später Sophie Scholl sowie anderen Mitgliedern der Weißen Rose. Möglicherweise war Lilo Ramdohr an der Namensgebung maßgeblich beteiligt, da sie Schmorell und Scholl im November 1941 eine Feldpostkarte der Firma Max Baur mit einer Abbildung einer weißen Rose und einen zugehörigen Brief eines Bekannten, des Soldaten Fritz Rook, mit einem Text über das, was eine weiße Rose angesichts der Kriegsrealität für ihn ausdrückte, überließ.

Nachdem Lilo Ramdohrs damaliger Ehemann Otto Berndl, der Sohn des Münchner Architekten Richard Berndl, in Russland gefallen war, näherte sie sich dem Kreis der Weißen Rose stärker an. Während Schmorell im August 1942 mit seiner Studentenkompanie im Sanitätseinsatz an der Ostfront war, tauschten sie mehrere Briefe.[2] Schmorell versteckte danach in ihrer Wohnung in Neuhausen-Nymphenburg Flugblätter, einen Vervielfältigungsapparat und Schablonen für die Wandparole „Nieder mit Hitler“.

Aus ihrer Weimarer Zeit kannte Lilo außerdem den einstigen Verlobten und späteren Filmregisseur Falk Harnack und vermittelte ein geheimes Treffen zwischen diesem und Schmorell sowie Hans Scholl im November 1942 in Chemnitz.[3] Falk Harnack stand über seinen Bruder Arvid Harnack und Widerstands- und Spionagezellen in der Wehrmacht, wie etwa die Rote Kapelle und den Kreisauer Kreis, aber auch über familiäre Verbindungen (über seinen verstorbenen Onkel Adolf von Harnack) zum kirchlichen Widerstand Dietrich Bonhoeffers, bereits in Verbindung zu Widerstandsgruppen gegen das nationalsozialistische Regime und war dem Kontakt zum Kreis der Münchner Studenten sehr aufgeschlossen. Auch Alexander Schmorell und Hans Scholl waren an einer geheimen Kooperation stark interessiert. Am 8. und 9. Februar 1943 luden sie daher, erneut durch Lilos Vermittlung, Falk Harnack zu Besprechungen in München ein und planten für den 25. Februar 1943 ein Folgetreffen in Berlin.

Nach dem Flugblatt-Abwurf im Treppenhaus der Münchner Universität am 18. Februar 1943 und der darauf folgenden Verhaftung und Hinrichtung der Geschwister Scholl versuchte Lilo Ramdohr noch, Alexander Schmorell bei der Flucht vor der Gestapo zu unterstützen. Sie versteckte ihn in ihrer Wohnung und half, Schmorells Uniform zu verbrennen, einen bulgarischen Pass zu fälschen und Verstecke im ländlichen Oberbayern zu finden.[4] Da Schmorell aber nach seinen vergeblichen Fluchtversuchen am 24. Februar in einem Münchener Luftschutzkeller am Habsburgerplatz gefasst wurde, kam am 2. März auch Lilo Ramdohr (und am 6. März Falk Harnack) in die U-Haft der Gestapo. Ramdohr wurde mangels Beweisen entlassen. Harnack wurde angeklagt, aber freigesprochen.

Harnack gelang im Winter 1943 die Flucht von seiner Wehrmachtseinheit in Griechenland. Lilo Ramdohr zog sich nach einer erneuten Kriegsheirat, nämlich mit dem aus Brasilien stammenden Sanitätsfeldwebel Carl Gebhard Fürst (ab 1985 Träger des Bundesverdienstkreuzes), im Februar 1944 in München unter dem neuen Namen Lieselotte Fürst in ihre Heimatstadt Aschersleben zurück. Dort erlebte sie auch das Kriegsende.

1948 floh sie samt ihrer damals 4jährigen Tochter Doma-Ulrike aus der sowjetischen Besatzungszone zurück nach Bayern, wo sie, teilweise durch Vermittlung des Chiemseemalers Willibald Demmel, bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein als Lehrerin an Internaten in Oberbayern (u. a. 1948 Jugendleiterschule des BJR in Schloss Neubeuern und Landschulheim Schloss Ising) arbeitete. Ab 1949 wurde sie an den Starnberger See an die Jugendleiterschule Niederpöcking[5] versetzt und im April als Mitglied einer BJR-Delegation für drei Monate nach Detroit geschickt.[6] Nachdem die Schule in Niederpöcking aus finanziellen Gründen geschlossen und an den DGB verkauft wurde,[7] war Lilo Fürst-Ramdohr ab 1955 am Institut Dr. Greite in Feldafing und am Landschulheim Schier in Berg tätig. Seitdem lebt sie in Percha (Starnberg) und ist bis heute künstlerisch als Malerin und Autorin aktiv. 1995 veröffentlichte sie ihre Memoiren im Buch Freundschaften in der Weißen Rose.

Filme

  • Der Bayerische Rundfunk strahlte 1996 im Rahmen seiner Reihe Lebenslinien eine Biografie von Lilo Fürst-Ramdohr im Fernsehen aus. Regisseur war Hans-Sirks Lampe
  • Die Geschichtswerkstatt Neuhausen zeigte 1995 Interviews mit ihr im Film Davon haben wir nichts gewusst … Neuhausen unter der Nazi-Zeit.
  • Ein Interview mit Lilo Fürst-Ramdohr ist im Dokumentarfilm Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose zu sehen (Deutschland, 2008. Buch und Regie: Katrin Seybold, Produktion: Katrin Seybold Film in Kooperation mit dem RBB).

Ausstellungen

  • Die Weiße Rose – Gesichter einer Freundschaft (Wanderausstellung 2004 der Kulturinitiative e. V. Freiburg)

Werke

  • Freundschaften in der Weißen Rose. Verlag Geschichtswerkstatt Neuhausen, München 1995. Neuausgabe: ausstehend, ISBN 3-931231-00-3
  • Die Weiße Rose (v. Inge Scholl); Beitrag auf S.139. Frankfurt/M. 1994, ISBN 3-596-11802-6
  • Seiltanz (Erste Anthologie der Lyrik der Münchner Katakombe und des ELK); Hrsg: Nanette Bald. Verlag Roman Kovar, München 1991. ISBN 3-925845-20-8
  • In jedem Sommerstrauß (Zweite Anthologie der Lyrik der Münchner Katakombe und des ELK), S.52; Hrsg.: Nanette Bald. Verlag Roman Kovar, München 1994. ISBN 3-925845-63-1

Literatur (Auswahl)

  • Detlef Bald (Hrsg.): „Wider die Kriegsmaschinerie“. Kriegserfahrungen und Motive des Widerstandes der „Weißen Rose“. Klartext, Essen 2005, ISBN 3-89861-488-3.
  • Sibylle Bassler: Die Weiße Rose, Zeitzeugen erinnern sich. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006. ISBN 3-498-00648-7.
  • Igor Chramow: Die russische Seele der „Weißen Rose“. Orenburgskaja Kniga, 2001, ISBN 5-94529-003-3, S. 77, russisch
  • Ellen Latzin: Lernen von Amerika?: das US-Kulturaustauschprogramm für Bayern und seine Absolventen, Teil 4. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08629-3, S. 359
  • Petry, Christian: Studenten aufs Schafott. Die weiße Rose und ihr Scheitern. Piper, München 1968, S. 76, 112.
  • Ruth Sachs: White Rose History, Volume I [Academic Version]: Coming Together (January 31, 1933 – April 30, 1942). Exclamation! Publishers, Lehi (Utah, USA) 2003. ISBN 0-9710541-9-3 (Regular Edition: ISBN 0-9710541-4-2).
  • Inge Scholl: Die Weiße Rose. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1994, ISBN 3-596-11802-6, S. 139
  • Die Weiße Rose – Gesichter einer Freundschaft (Broschüre der Kulturinitiative e. V. Freiburg; S. 12)
  • Einwohnerbuch Stadt und Land Weimar 1937. ISBN 978-3-86777-028-6, buchhandel.de Frauenschule u. Töchterheim Dr. Weiß, einjährige und dreijährige.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. buchhandel.de
  2. books.google.de
  3. books.google.de
  4. books.google.de
  5. hierpassierts.de
  6. books.google.de
  7. institutgauting.de

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