Marinenachrichtendienst

Marinenachrichtendienst

In vielen Ländern unterhält die Admiralität zur Sicherung ihrer Seestreitkräfte einen marine-eigenen Nachrichtendienst. Seine Hauptaufgabe besteht in der Überwachung der Seestreitkräfte anderer Nationen. Der Nachrichtendienst der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika wurde 1882 unter dem Namen Office of Naval Intelligence (ONI) gegründet. Der Nachrichtendienst der britischen Marine wurde ebenfalls 1882 unter dem Namen Foreign Intelligence Committee gegründet und 1887 in Naval Intelligence Department (NID) umbenannt. In Deutschland hat es einen einheitlichen Marinenachrichtendienst (MND) nie gegeben, sondern stets verschiedene Abteilungen, die mehr oder weniger gut zusammenarbeiteten.

Inhaltsverzeichnis

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (-1918)

Als Aufklärungs- und Nachrichtenauswertungsdienst der kaiserlichen deutschen Marine ist die Nachrichtenabteilung des Admiralstabes zu betrachten. Sie wurde 1899 als Nachrichtenbüro (N) bezeichnet. Später firmierte der Marinenachrichtendienst einer ungenannten Quelle zufolge angeblich unter einer »Deckadresse: Peter Cornelsen, Berlin.« Weiter wird behauptet, dass »der 'Marinenachrichtendienst' Anfang des 20. Jahrhunderts eine Truppe von Flottenbeobachtern (auch B.E.: abgekürzt = Berichterstatter) entlang der russischen Ostseeküste aufbaute. Dafür unterhielt der Dienst eigene Agentennetze, die vor allem gegen das Russisches Kaiserreich agieren sollten. Zu diesem Zweck hatte der Dienst Stützpunkte in den skandinavischen Staaten eingerichtet. Ab 1912 kooperierte der Dienst mit Schweden, um die militärische Aufklärung weiter voranzutreiben. (...) Im Ersten Weltkrieg beteiligte sich der Dienst maßgeblich an der Revolutionierung Russlands und insbesondere an der Finnlands.« [1]. Für den Einsatz des Kreuzergeschwaders operierte der Geheimdienst 1914/15 sogar in Lateinamerika.[2] Bei Kriegsende vernichtete die Nachrichtenabteilung des Admiralstabes leider große Teile ihres Aktenbestand [3].

Bekannt wurde der Marineoffizier Gustav Steinhauer, der für die Leitung eines Spionagerings zur Beobachtung britischer Häfen, vor dem Krieg und während des Krieges, zuständig war. Nach der Kriegserklärung im August 1914 wurden 21 seiner Spione durch den neu gegründeten MI5 verhaftet[4]

Bei Kriegsausbruch 1914 gab es in der Kaiserlichen Marine noch keine organisierte Funkaufklärung, sondern nur einen Funkbeobachtungsdienst (B-Dienst), der von Bord der Schiffe aus durchgeführt wurde [5]. Daneben wurde bei den Stationskommandos der Nord- und Ostsee durch einen Admiralstabsoffizier mit Funkausbildung ein Nachrichtendienst geleitet, zu dem neben Fernschreib- und Fernsprechdienst auch der Funkbetrieb gehörte [6]. Als man etwa 1907/08 begonnen hatte, den Funkverkehr der britischen Marine abzuhören, wollte man keine Einblicke auf chiffriertechnischem, geschweige denn auf taktischem oder operativem Gebiet erzielen, sondern vielmehr den Stand der funktechnischen Entwicklung in der Royal Navy kennenlernen und verfolgen. Im Verlauf des Krieges entstand an den Küsten Flanderns wie der östlichen Ostsee eine ganze Reihe von B(eobachtungs-) und E(ntzifferungs-)stellen. Am 1. Februar 1916 errichtete Kapitänleutnant Martin Braune mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern die BE-Hauptstelle der Kaiserlichen Marine in Neumünster/Holstein und wurde damit zum Leiter der deutschen Marinefunkaufklärung [7].

Die Leiter der Nachrichtenabteilung des Admiralstabs der Marine waren:

  • Kapitän z.S. Alfred Tapken --- 1901 bis März 1914
  • Fregattenkaptitän Walter Isendahl --- März 1914 bis Februar 1918
  • Kapitän z.S. Paul Ebert --- Februar 1918 bis 1919

Zwischenkriegszeit (1919-1939)

Waffenstillstand und Novemberrevolution 1918 machten der deutschen Marine-Funkaufklärung zunächst ein Ende. Alle Beobachtungs-, Entzifferungs- und Auswertungsarbeiten wurden eingestellt. Doch bereits im April 1919 begann der Organisator des B-Dienstes, Kapitänleutnant Braune, mit Wiederaufnahme des Dienstes, und am 28. April 1919 wurde die Zentralstelle beim Admiralstab wieder eingerichtet [8]. Der MND führte die Organisation weiter, wie sie sich während des Krieges bewährt hatte. Unter den Stationskommandos leiteten Marinenachrichtenoffiziere bei den Küstenfunk- und Marinesignalstellen den Nachrichtendienst. Das Personal wurde von den 2. Admiralen bereitgestellt. Auf den großen Schiffen wurde einer der Funkräume für den Funkbeobachtungsdienst (B-Dienst) eingerichtet. Er musste mit einem Funkpeiler ausgerüstet werden, damit von dort Funksprüche anderer Marinen aufgefangen werden konnten. Die Leitung des MND unterlag bis zu seiner Verabschiedung

  • Kapitänleutnant Martin Braune --- 28. April bis 30. Oktober 1919

Von 1921 bis 1925 bestand vorübergehend in Flensburg-Mürwik eine Nachrichtenabteilung (MNA) der Reichsmarine. Dort ging es allerdings nicht um Funkaufklärung, sondern um Funkmesstechnik, Funkpeilung und Signalausbildung. Die MNA wurde geführt von:

  • Korvettenkapitän Ferdinand Boehmer --- 29. März 1921 bis 29. März 1924
  • Korvettenkapitän Leo Riedel --- 30. März 1924 bis 27. März 1925

Im Frühjahr 1925 wurde die Marinenachrichtenabteilung aufgelöst und die Nachrichtenschule mit der Torpedoschule zur Torpedo- und Nachrichtenschule vereinigt. Sie unterstand nunmehr der Inspektion des Torpedo- und Minenwesens beim Stationskommando der Ostsee.

Im Herbst 1927 gelangten die geheimen und illegalen Maßnahmen des Chefs der Seetransportabteilung in der Marineleitung, Kpt.z.S. Walter Lohmann, an die Öffentlichkeit. Lohmann hatte unter anderem den Aufbau eines nichtamtlichen deutschen Nachrichtendienstes im Ausland befördert. Dieser Geheimdienst flog auf und wurde angeblich am 1. April 1928 in den Abwehrdienst der Reichswehr eingefügt [9].

Im Herbst 1934 kehrte der amtliche Marinenachrichtendienst zurück in die Marineleitung (Dezernat A III). Leiter der Abteilung wurde:

  • Kapitän zur See Theodor Arps --- 1. Oktober 1934 bis 31. Dezember 1939

Die Abteilung gliederte sich nun in die Referate Fremde Marinen, Nachrichtenübertragungsdienst und Funkaufklärung. Die Gruppe Fremde Marinen (FM), der – von der Abwehr, von den Marineattachés, aus Zeitungen und von der Funkbeobachtung – alle wichtigen Nachrichten zuflossen, bedeutete gegenüber der Funkaufklärung nicht nur eine Konkurrenz, sondern ein Übergewicht, weil der Abteilungschef (Arps) vorher Leiter der Gruppe FM gewesen war und die Funkbeobachtung mehr oder weniger nur als Informationszuträger bewertete [10].

Innerhalb des Oberkommandos der Marine wurde der Marinenachrichtendienst am 1. Oktober 1937 in die Seekriegsleitung (3/Skl) eingegliedert. Gleichzeitig ging die Marinenachrichteninspektion als eigenständige Abteilung der Marinestation der Ostsee aus der Torpedoinspektion hervor. Ihr wurden die Marinenachrichtenschule, die Marinenachrichtenmittelversuchsanstalt und das Marinenachrichtenmittelerprobungskommando unterstellt. Im Allgemeinen Marineamt (B) wurde gleichzeitig die Abteilung Technisches Nachrichtenwesen gegründet. Sie wurde bei Kriegsbeginn als Amtsgruppe NWa dem Marinewaffenhauptamt angegliedert.

Zweiter Weltkrieg (1939-1945)

Vordruck Geheime Kommandosache, Marinenachrichtendienst

Im Januar 1940 wurde der Marinenachrichtenübermittlungsdienst aus der Abteilung 3/Skl herausgenommen und in die neu gebildete Abteilung 2/Skl Marinenachrichtendienst überführt. (Die Nummer war frei, nachdem das Dezernat A II in der Seekriegsleitung zum Marinekommandoamt (A) avanciert war). Leiter wurde

  • Kapitän zur See Ludwig Stummel --- 1. Januar 1940 bis 15. Juni 1941

Die beiden anderen Referate bildeten nun die Abteilung 3/Skl Marine-Nachrichtenauswertung. Im weiteren Verlauf des Krieges wird die Funkaufklärung dann aber doch wieder der Abteilung 2/Skl zugeschlagen. Die Leiter der Abteilung Nachrichtenauswertung waren

  • Kapitän zur See Paul Wever --- 1. Januar 1940 bis 21. Juni 1940
  • Kapitän zur See Gottfried Krüger --- 22. Juni 1940 bis Juli 1942
  • Kapitän zur See Norbert von Baumbach --- Juli 1942 bis 28. Juni 1944
  • Konteradmiral Otto Schulz --- 28. Juni 1944 bis 17. Jul 1945

Im Juni 1941 wird die Marinenachrichteninspektion aufgelöst. Der Marinenachrichtendienst avanciert zur Amtsgruppe. 2/Skl Chef MND und in drei Abteilungen gegliedert: Zentralabteilung (MND I), Nachrichtenübermittlungsdienst (MND II) und Funkaufklärung (MND III). 1943 tritt mit dem Funkmessdienst eine weitere Abteilung hinzu, 1944 wird die Abteilung Drahtnachrichtendienst angegliedert. 1943 wird der Befehlshaber der U-Boote, Großadmiral Karl Dönitz, zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt und sein Stab, die Unterseebootsführungsabteilung, wird als 2/Skl B.d.U. op in die Seekriegsleitung eingegliedert. Der Amtgruppe Marinenachrichtendienst erhält daher die Bezeichnung 4/Skl. Amtsgruppenchefs sind:

  • Vizeadmiral Erhard Maertens --- 16. Juni 1941 bis Mai 1943
  • Konteradmiral Ludwig Stummel --- Mai 1943 bis 16. August 1944
  • Kapitän zur See/Konteradmiral Fritz Krauss --- 16. August 1944 bis 22. Juli 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es in Deutschland zwar eine auf Flottendienstboote gestützte Fernmelde- und elektronische Aufklärung, aber keinen von anderen Teilstreitkräften gesonderten Marine-Nachrichtendienst mehr gegeben.

Literatur

  • Jürgen W. Schmidt (Hrsg.): Geheimdienste, Militär und Politik in Deutschland. Ludwigsfelder Verlags-Haus, Ludwigsfelde 2008, ISBN 978-3-933022-55-4, (Geheimdienstgeschichte 2).
  • Hans H. Hildebrand: Die organisatorische Entwicklung der Marine nebst Stellenbesetzung 1848 bis 1945. 3 Teile. Biblio-Verlag, Osnabrück 2000, ISBN 3-7648-2541-3, (Dermot Bradley: Formationsgeschichte und Stellenbesetzung der deutschen Streitkräfte 1815 - 1990 2).
  • Helmuth Giessler: Der Marine-Nachrichten- und Ortungsdienst. Technische Entwicklung und Kriegserfahrungen. J. F.Lehmann, München 1971, (Wehrwissenschaftliche Berichte 10, ISSN 0083-7822).
  • Heinz Bonatz: Die deutsche Marine-Funkaufklärung 1914 – 1945. Wehr und Wissen, Darmstadt 1970, (Beiträge zur Wehrforschung 20/21, ISSN 0067-5253).
  • Hans H. Hildebrand, Walther Lohmann: Die deutsche Kriegsmarine. 1939 – 1945. Gliederung, Einsatz, Stellenbesetzung. Podzun, Bad Nauheim 1956, Kapitel 32.

Einzelnachweise

  1. Ältere Version dieses Artikels ohne Nachweis
  2. Zur Tätigkeit der Nachrichtenabteilung in Lateinamerika, vgl. BAMA-Bestand RM 5/2181: "Etappen Atlantik und Pazifik, Havanna, Rio, Santos, Valparaiso". Die Abwicklung der Etappen dauert bis ca. 1920/21.
  3. Bundesarchiv-Militärarchiv (BA/MA) Abteilung RM 5
  4. Bernard Porter: Plots and paranoia: a history of political espionage in Britain, 1790-1988
  5. Bonatz, S.17
  6. Giessler, S.22
  7. Bonatz, S.24
  8. Bonatz, S.73
  9. Ältere Version dieses Artikels ohne Nachweis
  10. Bonatz, S.75

Weblinks


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