Simon Schöffel

Simon Schöffel

Johann Simon Schöffel (* 22. Oktober 1880 in Nürnberg; † 28. Mai 1959 in Hamburg) war ein deutscher evangelischer Theologe und Landesbischof der Evangelisch-Lutherische Kirche im Hamburgischen Staate.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn eines Rechtsbeamten besuchte das Melanchthon-Gymnasium seiner Heimatstadt, wo er die Hochschulreife erwarb. Für das Studium der Evangelischen Theologie immatrikulierte sich Schöffel 1899 an der Universität Erlangen, wo er – mit einem zweisemestrigen Wechsel an die Universität Leipzig – 1903 sein erstes theologisches Examen absolvierte.

Nach dem Vikariat in Weihenzell und Merkendorf wurde er 1904 Hofkaplan des Fürsten Gustav Ernst zu Erbach-Schönberg und 1906 Katechet in Nürnberg. 1908 bestand er sein zweites theologisches Examen und wurde in Ansbach ordiniert.

Schöffel wurde 1909 vierter Pfarrer an der St. Salvatorkirche in Schweinfurt. 1916 rückte er dort in die dritte Pfarrstelle auf, promovierte in Erlangen zum Doktor der Philosophie, erwarb 1918 das Lizentiat der Theologie und wurde 1922 Ehrendoktor der Theologie an der Universität Erlangen.

1921 erhielt Schöffel einen Ruf an die St. Michaeliskirche in Hamburg und trat dieses Amt am 6. April des Folgejahres an. Es war anfangs für ihn nicht leicht, da er als Hauptpastor zunächst eine personenbezogene Gemeinde sammeln musste. Auch hatte sich der lutherisch orientierte Schöffel gegen die in Hamburg existierende Strömung der liberalen Theologie zu behaupten. Seine intensiv vorbereiteten Predigten verschafften ihm alsbald ein breites Echo. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem Vorlesungen an der Universität Hamburg. 1929 wurde Schöffel Synodalpräsident, durch die veränderten politischen Verhältnisse wurde er am 29. Mai 1933 zum ersten Bischof von Hamburg gewählt und in den Hamburger Staatsrat als Berater aufgenommen.

Durch seine intrigierende Art und Weise hatte sich Schöffel auch Gegner bei den Deutschen Christen gemacht, die dafür sorgten, dass er am 1. März 1934 von seinem Bischofsamt zurücktreten musste. Nach der Kapitulation Hamburgs im Zweiten Weltkrieg am 3. Mai 1945 kam es auch in den Kirchenkreisen wieder zu Veränderungen. Der damalige Bischof Franz Tügel legte sein Amt nieder und Schöffel wurde am 27. Februar 1946 erneut zum Bischof gewählt. 1950 wurde er zum Professor an der kirchlichen Hochschule in Hamburg ernannt. Nach einem leichten Herzinfarkt legte er am 1. Dezember 1954 alle Ämter nieder.

Wirken

Schöffel, der als Theologe die Position der lutherischen Kirche vertrat, setzte sich für eine erneute Integration der Kirche in den Staat ein. Vor allem auf dem Gebiet der Bildung sah er in der Kirche die geeignete Institution. In der Zeit des Nationalsozialismus trug er die Rassenpolitik des Dritten Reiches mit. Gleichwohl galt er als produktiver theologischer Wissenschaftler und verdienstvoller Seelsorger.

Verstrickung in das System während der NS-Zeit

Schöffel war im Mai 1933 durch ein „Ermächtigungsgesetz“ in das neu geschaffene hierarchische Amt des Landesbischofs der Hamburger Landeskirche gelangt, welches alle demokratischen Elemente der Kirchenverfassung aufgehoben hatte, jedoch schon 1934 durch Franz Tügel im Amt abgelöst wurden.[1]

Er begrüßte den Nationalsozialismus nachdrücklich. Im Jahr 1934 sah Schöffel im Dritten Reich den Weg des deutschen Volkes, „der seine schöpferische Anlage verwirklichen soll.“ „Dieser Weg aber ist für uns der Nationalsozialismus.“[1] Mit einem verwerfenden Rückblick auf die Weimarer Republik erklärte er den Weg des neuen autoritären Regimes als für Lutheraner geradezu zwingend:

„Wenn also der Nationalsozialismus mit sicherem Instinkt den Wahn des Liberalismus zerstört, die Sache der Bourgeoisie ablehnt, die Massen verwirft, den Klassenkampf haßt und offen anerkennt, daß diese Dinge gerichtsreif sind, dann hat er recht, und der Lutheraner wird und muß von hier aus mit ihm gehen. Was uns mit dem Nationalsozialismus verbindet, ist das Innerste, ist das Wissen um das Gericht, das sein muß. Der Lutheraner, ja gerade er muß anerkennen, daß der Weg der letzten Zeit ein Weg zum Verderben war […]“. „Der Nationalsozialismus tut dies Werk, indem er an die Tiefenkräfte des Volkes, wie sie in Blut und Rasse, in Geist und Geschichte des Volkes gegeben sind, pocht und sie wachruft“.[1]

Schöffel merkte weiter an: „Blut einer fremden Lebensgattung in die Blutbahn des Menschen gebracht, vergiftet diesen und überliefert ihn dem Tode“, ein Satz, der nach Rainer Hering unzweideutig im Licht des Rasse-Antisemitismus des propagandistischen Umfelds von 1934 zu deuten ist.[1]

Nachkriegshaltung Schöffels und seine Beschäftigungspolitik für „belastete“ Pastoren

Nach dem Krieg wieder im Amt des Hamburger Bischofs, vertrat Schöffel Sichtweisen, die seine Rolle und die seiner Kirche im Nationalsozialismus unberücksichtigt ließen. Er versuchte seine eigene Rolle durch Umdatierung des „Ermächtigungsgesetzes“ in der Kirche auf das Jahr 1934 zu verschleiern[2] und erklärte den Liberalismus zum Urheber des Nationalsozialismus.[3]

Schöffel lehnte ein Schuldbekenntnis zu den Verbrechen nach 1933 im Herbst 1945 ausdrücklich ab. In einem Gespräch mit Bischof George Kennedy Allen Bell betonte er dagegen, dass „jetzt auch die Deutschen in Konzentrationslagern gehalten würden, darunter oft die edelsten Persönlichkeiten, ohne besondere Anklage, ohne Verhör, ohne Rechtsbeistand, ohne Gerichtsurteil,“ wie es einst von der Gegenseite gemacht worden sei.[4] Er äußerte sich damit ähnlich wie auch schon Franz Tügel. Diese Haltung entsprach einer generellen Täterorientierung der nordelbischen evangelischen Kirchen nach dem Krieg, die in einem massiven Einsatz der Schleswig-Holsteiner Kirche für den Massenmörder Ernst Biberstein gipfelte.[5]

Schöffel versuchte generell zu einer relativ zügigen Weiterbeschäftigung von nationalsozialistisch belasteten Pastoren zu kommen und diese im Prozess der Entnazifizierung vor den Alliierten zu schützen.[6] Acht besonders belastete Geistliche wurden „aus Gesundheitsgründen“ in den Ruhestand versetzt und behielten – im Gegensatz zu den liberalen Dissidenten dieser Kirche – alle geistlichen Rechte und wurden sogar noch in die oberste Gehaltsstufe befördert, um die höchstmögliche Pension zu bekommen. Nach nur ein bis zwei Jahren erhielten sie Vertretungsaufgaben und Anfang der fünfziger Jahre auch wieder feste Stellen – die Pensionierungen wurden fast alle rückgängig gemacht. Ausnahme war lediglich der junge radikal deutsch-christliche Oberkirchenrat von 1934 bis 1936, Karl Boll (1898–1991), dessen Wiederbeschäftigung man ebenfalls erwogen hatte und der nun bei voller Pension seinen Ruhestand verbringen konnte. Eine Bestrafung der Betroffenen erfolgte ebenso wenig, wie deren Schuldbekenntnis – sie blieben in vielen Fällen sogar uneinsichtig.[6]

Literatur

  • Hering, Rainer: Schöffel, Simon. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 358 f.
  • Hannelore Braun, Gertraud Grünzinger: Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006; ISBN 3525557612; S. 225. (Online)
  • Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9.
  • Rainer Hering: Schöffel, Johann Simon. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-058-1, Sp. 597–618.

Weblinks

Gemeindeseite des Hamburger Michel

Einzelnachweise

  1. a b c d Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 358f.
  2. Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 359 bzw. S. 361.
  3. Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 361f.
  4. Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 360.
  5. Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 363ff.
  6. a b Rainer Hering: „Einer Antichristlichen Dämonie verfallen.“ Die evangelisch-lutherischen Kirchen nördlich der Elbe und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Bea Lundt (Hrsg.): Nordlichter. Geschichtsbewußtsein und Geschichtsmythen nördlich der Elbe. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2004, ISBN 3-412-10303-9, S. 362.


Vorgänger Amt Nachfolger
August Wilhelm Hunzinger Hauptpastor an St. Michaelis
1922–1954
Hans-Heinrich Harms
Vorgänger Amt Nachfolger

Franz Tügel
Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate
1933–1934
1946–1954
Franz Tügel
Theodor Knolle



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