Vogelzug

Vogelzug
Einfache Darstellung des Vogelzugs von den Brutgebieten Europas zu den Winterquartieren Zentralafrikas
Ziehende Kraniche über Marburg
Ziehende Wildgänse

Als Vogelzug bezeichnet man den alljährlichen Flug der Zugvögel von ihren Brutgebieten zu ihren Winterquartieren und wieder zurück. Vogelpopulationen, bei denen nur ein Teil zieht, bezeichnet man als Teilzieher. Populationen, die nicht ziehen, bezeichnet man als Standvögel.

Inhaltsverzeichnis

Die Ursachen des Vogelzugs

Die biologischen Grundlagen des Vogelzugs können sowohl aus ökologischer als aus physiologischer Sicht erörtert werden, aber auch aus stammesgeschichtlicher Sicht.

Ökologische Ursachen

Wichtigste ökologische Ursache des Vogelzugs ist das jahreszeitlich extrem unterschiedliche Nahrungsangebot in den Brutgebieten: Während Insektenfresser zum Beispiel im Umkreis der Ostsee im Frühjahr und Sommer reichlich Nahrung vorfinden, ist es dort im Winter derart kalt, dass kaum noch Insekten umherfliegen und große Vogelpopulationen daher unter Nahrungsmangel leiden und zugrunde gehen würden. Umgekehrt versammeln sich in den weiter südlich gelegenen Winterquartieren derart viele Vögel, dass auch dort die Nahrung zu knapp wird, als dass noch Eier gelegt und die Jungvögel später mit Nahrung versorgt werden könnten.

Der kräftezehrende Vogelzug ist insofern gewissermaßen eine „Notlösung“ (genauer: eine evolutionäre Anpassungsleistung) jener Vogelarten, die grundsätzlich nur in einem relativ warmen Klima überleben können, im Verlauf der Stammesgeschichte aber einen Ausweg gefunden haben, um auch vergleichsweise unwirtliche Gebiete besiedeln zu können.

Seit einigen Jahren lässt sich eine Veränderung des Zugverhaltens vieler Vogelpopulationen feststellen, was von einigen Wissenschaftlern mit den Folgen einer globalen Klimaveränderung aufgrund des CO2-Aussstoßes, aber auch der plattentektonsichen Umlenkung des warmen Golfstroms bzw. des kalten Humboldtstroms, anderen Meeresströmungen und des darin gebundenen Nahrungsangebots, in Zusammenhang gebracht wird: Immer mehr Vogelarten, die früher obligatorische Zieher waren, überwintern inzwischen in Mitteleuropa, beispielsweise Mönchsgrasmücke und Zilpzalp. Einige Starenpopulationen haben ihre Zugrichtung sogar komplett umgekehrt und ziehen in nördliche Richtungen: in große Städte, wo sie auch in der kalten Jahreszeit ein ausreichendes Nahrungsangebot vorfinden. Über eine längere Zeitspanne hinweg könnte daher das uns bekannte afrikanisch-eurasische Zugsystem verschwinden.

Genetische und physiologische Ursachen

Ob ein Vogel zieht, wohin er zieht und wann bei ihm die Zugunruhe einsetzt, ist genetisch festgelegt: Sowohl die Flugrichtung als auch die Flugdauer sind angeboren. Dies haben unter anderem Peter Berthold, Eberhard Gwinner und Wolfgang Wiltschko experimentell nachgewiesen. So gibt es Vogelarten, bei denen Teilpopulationen von Norden kommend in südöstlicher Richtung um die Alpen herum fliegen und andere Teilpopulationen in südwestlicher Richtung. Werden Individuen beider Teilpopulationen miteinander verpaart, wählen die Nachkommen einen mittleren Weg – in einzelnen Fällen kurioserweise sogar statt nach Süden nach Norden, in Richtung der Britischen Inseln. Die Verpaarung von Fernziehern mit Kurzstreckenziehern erbrachte vergleichbare intermediäre Verhaltensweisen in der Folgegeneration.

Ferner wurden Vögel vom Schlüpfen an unter konstanten Bedingungen im Labor handaufgezogen, so dass sie nie Kontakt zu frei lebenden Artgenossen hatten und keine Jahreszeiten kannten. Dennoch zeigten sie die für Zugvögel typische Zugunruhe, das heißt eine Steigerung von motorischer Aktivität im Herbst und im Frühjahr. Allerdings war der Abstand von einer herbstlichen Zugunruhe zur nächsten meist etwas kürzer als ein Jahr. Das bedeutet, dass die Bereitschaft zum Ziehen zwar angeboren ist, der optimale Abflugtermin aber auch durch Umwelteinflüsse (zum Beispiel durch Witterungsbedingungen und Futterangebot) zumindest in geringem Maße beeinflusst wird.

Die genauen physiologischen, speziell die hormonellen Vorgänge, die letztlich zum Einsetzen des Vogelzugs führen, sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung.

Stammesgeschichtliche Ursachen

Auf welche Weise im Verlauf der Stammesgeschichte der Vogelzug entstanden ist, ist derzeit noch weitgehend spekulativ, da es keine fossilen Überlieferungen für derartige Verhaltensweisen gibt. Nur der Mechanismus ist nachvollziehbar, der den Erhalt der angeborenen Fähigkeit zum Ziehen bewirkt: Ist das Nahrungsangebot am Zielort des saisonalen Vogelzugs gut, dann überleben dort die meisten der angekommenen Zugvögel. Ist das Nahrungsangebot hingegen unzureichend, so sterben sie. Das heißt: Nur jene Vögel, die dank ihrer Erbanlagen sowohl die richtige Richtung wählen als auch eine angemessene Flugstrecke, können ihre Gene und damit ihr Zugvogelverhalten an die nächste Generation weitergeben.

Der Vogelzug wird also auch heute noch durch die Selektion der am besten angepassten Individuen stabilisiert.

Orientierung

Herbstvogelflug nach Südwest

Um sich auf ihrem Zugweg zu orientieren, benutzen die Vögel einen inneren Kompass, den Stand der Sonne oder jenen der Sterne.

  • Der innere Kompass ist – darauf deuten zumindest einige neuere Studien hin – vermutlich die Folge von Magnetfeld-Rezeptoren im Auge, mit deren Hilfe die Vögel den Neigungswinkel des Erdmagnetfeldes wahrnehmen können. Bei Rotkehlchen befindet sich dieser Rezeptor offenbar im rechten Auge: Deckt man das Auge ab, verlieren sie die Fähigkeit zur Orientierung im Erdmagnetfeld. Bei Tauben (nicht nur bei Brieftauben) wurde in jüngster Zeit in einigen wissenschaftlichen Publikationen erläutert, dass sich ein Magnet-Sensor am oberen Teil des Schnabels befinde; er könne die Stärke des Magnetfeldes messen. Die Erforschung des Magnetsinns steckt derzeit aber noch (vor allem aus Mangel an Geldern für verhaltensbiologische Grundlagenforschung) in den Kinderschuhen; sichere, das heißt international anerkannte, reproduzierbare Befunde liegen daher kaum vor.
  • Vögel können sich ferner anhand des Sternhimmels orientieren. Schon in den 1970er Jahren wurde dies unter anderem bei Grasmücken in einem Planetarium nachgewiesen, wobei vor allem die Gesamtrotation des Sternenhimmels beachtet zu werden scheint und weniger bestimmte Veränderungen der Sterne zu einander. Handaufgezogene Indigofinken, die als Jungtiere niemals den Sternenhimmel zu sehen bekamen, waren später auf dem Zug nicht in der Lage, sich wie ihre frei lebenden Artgenossen zu orientieren – was als Beleg dafür angesehen werden kann, dass der "Sternenkompass" erlernt werden muss. Wurde solchen handaufgezogenen Tieren hingegen in einem Planetarium zwischen dem Flüggewerden und dem ersten Herbstzug ein um den Nordstern rotierender Sternenhimmel dargeboten, zeigten sie ein normal nach Süden hin gerichtetes Zugverhalten.
  • Den Sonnenstand können die Vögel auch bei bewölktem Himmel dank ihrer Fähigkeit, UV-Licht wahrzunehmen, erkennen. Es gibt ferner einige Studien, die darauf hindeuten, dass zumindest einige Vogelarten auch die Polarisations-Muster am Himmel wahrnehmen, die sich – abhängig vom Stand der Sonne über dem Horizont – im Tagesverlauf ändern. Die Polarisation ist dann am größten, wenn das Licht in einem Winkel von 90° zur Sonne gestreut wird. Wie verbreitet diese Fähigkeit ist und ob sie beim Vogelzug wirklich genutzt wird, ist aber noch weitgehend ungeklärt.
  • Einige Forschungsarbeiten weisen schließlich darauf hin, dass auch Landmarken der Orientierung dienen, zum Beispiel der Verlauf von Autobahnen und die Beleuchtung von Großstädten. Ein Gefährdungspotential bietet die Lichtverschmutzung und eine Fehlleitung durch in den Himmel reflektierende Lasershows von Großveranstaltungen.

Vogelzug und Stoffwechsel

Um auch große Distanzen ohne Nahrungsaufnahme zurücklegen zu können, aktivieren die Zugvögel nicht nur ihre vor Beginn des Vogelzugs angelegten Fettvorräte. Sie greifen sogar auf die Eiweiße ihrer inneren Organe zurück, so dass auch diese zumindest teilweise dem Stoffwechsel zwecks Energiegewinns zugeführt werden. Bei diesem auch Verbrennung genannten Vorgang von Fett und Eiweiß wird Wasser freigesetzt, das in erheblichem Maße dazu beiträgt, die Aufnahme von Trinkwasser zu verringern.

Bei Grauschnäppern wurde in den 1980er Jahren nachgewiesen, dass die Dauer ihrer Zwischenstationen in Oasen der Sahara von den Fettreserven abhängig ist. Gut genährte Tiere hielten sich dort kürzer auf als weniger gut genährte. Vergleichbare Ergebnisse brachten auch etliche Laborstudien: Mit wenig Futter versorgte Tiere zeigten eine geringere Zugunruhe als jene Artgenossen, die sich reichlich Fett anfressen konnten.

Radar-Vogelzugbeobachtung

Da der größte Teil des Vogelzugs nachts geschieht, entzieht er sich einer vollständigen visuellen Beobachtung. Auch der Umstand, dass Vögel zum Teil in sehr großen Höhen, und zwar über 9100 Meter und damit oft über den Wolken ziehen, macht eine visuelle Erfassung ohne technische Hilfsmittel unmöglich. Radargeräte geben dagegen weitestgehend unabhängig von Sichtverhältnissen Auskunft über die Intensität des Vogelzugs. Der Deutsche Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr (DAVVL e.V.) macht sich diese Technik bereits seit den 1960er-Jahren zur Warnung der Luftfahrer vor verstärktem Vogelaufkommen und damit einhergehender Vogelschlaggefahr zu Nutze. Je nach Radartyp sind Informationen zu Vogelzugzeiten, -intensitäten, -höhen und räumlichen Verteilungen aus den Radarechos abzulesen. Sie werden zu Warnmeldungen, den so genannten Birdtam, weiterverarbeitet und sind über die Website des DAVVL einzusehen.

Mit Hilfe von Radar-Ortungen konnte auch das Verhalten von Zugvögeln beim Trans-Sahara-Zug im Gebiet von Mauretanien beschrieben werden (Schmaljohann et al. 2007): Die von ihnen beobachteten, im Herbst von Europa nach Süden und im Frühjahr wieder nach Norden ziehenden Vögel, halten sich zumeist tagsüber auf dem Erdboden auf und ziehen überwiegend nachts: Die Forscher wiesen nach, dass die einzeln reisenden Vögel beim Sonnenuntergang in die Höhe stiegen und, sobald die Sonne aufging, im Sand landeten. Zuvor hatten einige Forscher angenommen, dass sie in einem 40-stündigen Nonstop-Flug die heißen Wüstengebiete der Sahara überfliegen. Die Beobachtungen der Arbeitsgruppe der Schweizerischen Vogelwarte Sempach deuten darauf hin, dass es speziell für Leichtgewichte wie Fitis, Trauerschnäpper und Gartengrasmücke kräfte- und wasserzehrender wäre, tagsüber in heißer und oft sehr turbulenter Luft zu fliegen, als diese Stunden ruhend am Boden zu verbringen.

Siehe auch

Literatur

  • Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa. AULA-Wiesbaden. 2000.
  • Peter Berthold: Vogelzug. Eine aktuelle Gesamtübersicht. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 6. Aufl. 2008. ISBN 978-3-534-20267-6.
  • Peter Berthold: Faszination Vogelzug (2-CD-Set, Booklet, Originaltonaufnahme). supposé 2004. www.suppose.de
  • Jonathan Elphick: Atlas des Vogelzugs: Die Wanderung der Vögel auf unserer Erde. Haupt Verlag. 2008. ISBN 978-3-258-07288-3.
  • Kathrin Hüppop, Ommo Hüppop: Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland. Teil 1: Zeitliche und regionale Veränderungen der Wiederfundraten und Todesursachen auf Helgoland beringter Vögel (1909 bis 1998). Vogelwarte 41 (2002): 161-180.
  • Kathrin Hüppop, Ommo Hüppop: Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland. Teil 2: Phänologie im Fanggarten von 1961 bis 2000. Vogelwarte 42 (2004): 285-343.
  • Kathrin Hüppop, Ommo Hüppop: Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland. Teil 3: Veränderungen von Heim- und Wegzugzeiten von 1960 bis 2001. Vogelwarte 43 (2005): 217-248.
  • Walther Streffer: Wunder des Vogelzuges (Die großen Wanderungen der Zugvögel und das Geheimnis ihrer Orientierung). Verlag freies Geistesleben, Stuttgart, 1. Aufl. 2005. ISBN 3-7725-2041-3.
  • Heiko Schmaljohann, Felix Liechti, Bruno Bruderer: Songbird migration across the Sahara: the non-stop hypothesis rejected! Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences (2007): in press. "online first" DOI: 10.1098/rspb.2006.0011

Weblinks


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