Heinz Bittel

Heinz Bittel

Heinz Bittel (* 8. März 1910 in Heidenheim an der Brenz; † 10. Februar 1980 in Münster) war ein deutscher Physiker.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Die ferro- und ferrimagnetische sowie ferroelektrische Materialforschung kannte Bittel von Grund auf und förderte sie nachhaltig, Messtechnik beherrschte er weit über diese Gebiete hinaus und war international anerkannter Experte des Phänomens Rauschen. Industrietätigkeit während des Krieges und fünfjährige Auslandserfahrung nach dem Kriege brachte er erfolgreich ein in die Wissenschaftsverwaltung in Münster sowie in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus. Seine Mitarbeit in hohen nationalen und internationalen Gremien wurde häufig erbeten. Der Schwabe pflegte den Austausch mit Frankreich zum Wohle der Wissenschaft sowie von Universität und Stadt Münster. Bittel war Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, mehrfacher Ehrendoktor und erhielt weitere bedeutende Auszeichnungen.

Leben und Arbeit mit dem Menschen Heinz Bittel in seinem Institut in Münster vermitteln einfühlsam seine Schüler Horst E. Müser[1] und Karl-August Hempel[2].

Die unterschiedlichen Anlagen und Interessen von Heinz und dem älteren Bruder Kurt Bittel wurden durch Eltern und Großeltern früh gefördert; beide machten ihre jeweiligen Erkenntnisse schon als Schüler in Ausstellungen und Vorträgen öffentlich.

Ausbildung zum Physiker

Heinz Bittel begann nach der Reifeprüfung am Heidenheimer Hellenstein-Gymnasium im Jahre 1929 das Studium der Physik und Mathematik in Tübingen noch unter Walther Gerlach, der den Ruf an das Physikalische Institut der Universität München zum Sommersemester 1930 annahm. Bittel folgte ihm; als seine weiteren Lehrer seien Sommerfeld und Carathéodory genannt. Gerlach hielt ihn vom Wechsel des Studienortes nach Göttingen ab, indem er ihm ein Promotionsthema anbot; er vermutete Abweichungen vom Additivitätsgesetz des Brechungsindex eines Gasgemisches durch Wechselwirkung zwischen den Molekülen. Bittel promovierte im Jahre 1935. Die quantitativ genaue Mischung der Gase stellte eine besondere Herausforderung dar. Mit dem Michelson-Interferometer war unter Beobachtung mit Photozellen kein signifikanter Einfluss beobachtet worden.

Das Forschungsgebiet erschien bei der schon erreichten Genauigkeit nicht hinreichend vielversprechend; Bittel wechselte zur Festkörperphysik und erforschte den Ferromagnetismus des Nickels. Spontane Polarisation und elektrischer Widerstand am Curie-Punkt, reversible und irreversible Vorgänge bei thermischer Zustandsänderung sowie Verhalten nach Kaltbearbeitung und Wärmebehandlung von möglichst reinem Nickel (1938) sind die Fragestellungen.
Nach Habilitation und Dozentur (beide 1939) wurde Bittel Ende August 1939[3] vor Beginn des Feldzuges gegen Polen zur berittenen Artillerie eingezogen.

Forschung und Entwicklung als Industriephysiker

Seit Anfang 1940 beteiligte sich Bittel auf Drängen Gerlachs zunächst an Forschungen für die Marine, zu denen die führenden Magnetiker verpflichtet worden waren. Für diese Aufgabe wurde er auf Anforderung durch den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine vom Heer entlassen. Im September 1941 wurde Bittel Abteilungsleiter[4][5] in Fa. Askania-Werke AG, Berlin-Friedenau, unter Beurlaubung von der Universität München; gegen Kriegsende wurde Bittel außerplanmäßiger Professor. Nach Vorlesungen im Sommer 1945 in Schleswig, vgl. Universität Kiel, dem stagnierenden Aufbau dort und dem vom Alliierten Kontrollrat in Berlin ab Mai 1946 verhinderten Aufbau eines Ingenieurbüros der Askania in Immenstaad am Bodensee arbeitete Bittel seit 1946 in Saint Raphaël (VAR) im Dienst der Marine Nationale als Leiter eines Laboratoriums mit zwei Dutzend deutschen Mitarbeitern an elektro-akustischen Entwicklungen und Signalverarbeitung für Ortung im Seewasser. Zuletzt bestand Kontakt zu Forschern und Instituten in Frankreich insbesondere auf magnetischem Gebiet und dem der Signalverarbeitung.

Akademische Tätigkeit

Der Ruf

Heinz Bittel folgte 1951 dem Ruf der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Gründungsdirektor des Instituts für Angewandte Physik. In der damaligen schwach besetzten Hochschullandschaft des neu gebildeten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen sollte der zunächst Technische Physik genannte Zweig in Westfalen nahe dem östlichen Ruhrgebiet verfügbar sein. Das Land NRW hatte zunächst einen schnellen Neubau der Physikalischen Institute geplant, der sich jedoch um fünfzehn beziehungsweise fast dreißig Jahre verzögerte. Das Institut konnte in dem 1903 errichteten ehemaligen Preußischen Oberpräsidium am Schlossplatz Räume nach und nach hinzu gewinnen, ehe im Herbst 1966 mit dem Bezug des Institutsneubaus Angewandte Physik das Naturwissenschaftliche Zentrum am Coesfelder Kreuz erste Gestalt annahm.

  • Erinnerung: Doch die damals zu „beackernde Landschaft“ reichte weiter, wie an den von der Universität Münster mit Vortragenden unterstützten Hochschultagen oder Universitätswochen erkennbar ist. Bittel beispielsweise bereiste das Gebiet von Hagen im Süden bis Emden und Oldenburg sowie Mönchen-Gladbach bis Minden und Detmold.[6] Diese Vortragsreihen mit breitem Themenspektrum erreichten durch teils ausführliche Presseberichte weitere Kreise der Bevölkerung in einer Zeit erschwerter Teilnahme an Wissenschaft und Kultur.

Forschung und Lehre

Bittel pflegte an seinem Lehrstuhl die Forschungsgebiete[1][2] Rauschen, einschließlich Stromrauschen, vgl. Wärmerauschen, elektrischer Leitungsmechanismus in dünnen Metalldrähten und magnetische Widerstandsänderung extrem dünner Nickeldrähte, Piezo- und Ferroelektrika in Bauelementen und letztere als Beispiele von Festkörpern mit Phasenumwandlung und Polarisationsschwankungen am Umwandlungspunkt, Ferrimagnetische Resonanz, vgl. Ferrimagnetismus, nichtlineare Magnetisierungsprozesse und Barkhausen-Effekt, sowie Flusstransportrauschen beim Supraleiter vom Typ II. Schließlich sei Spannungsoptik als ein Beispiel von der Industrie gewünschter Untersuchungen erwähnt. Zusätzlich zur Anregung oder Aufnahme dieser Themen ließ Bittel selbst manche seiner Vorkriegsfragen aufleben, grundlegende Begriffe der Physik modellhaft bearbeiten sowie neueste Konzepte wie den Laserstrahl und Holographie bearbeiten.

  • Mit Ferroelektrika, Ferrimagnetischer Resonanz und Supraleitung verließen drei Forschungsgebiete das Institut für Angewandte Physik als sie außerhalb Münsters Keimzellen für die Lehrstühle von vier seiner Schüler wurden.

Die besondere Klarheit in Anlage und Vortrag seiner Vorlesungen mit einprägsamen Formulierungen ließ die Studierenden den Gehalt leichter verarbeiten und gewann sie als Mitarbeiter. Weit über die Forschungsgebiete hinaus ließ Bittel physikalische Themen im Hauskolloquium vortragen, wobei seine Erklärungen häufig erhellender waren als die von der vorgetragenen Publikation dargebotenen. Diese Veranstaltung gewährte besonders die günstige breite Ausbildung, die seine Schüler erfolgreich in Industrie, Forschungsinstituten, Verwaltungen oder als Lehrende an Fachhochschulen umsetzten und – sie war für die vielen Studierenden mit Ziel Staatsexamen besonders förderlich. Streben nach Verkürzung der Ausbildungsdauer war Bittels früh erkanntes Ziel.

  • Als die Universität 1958 die erste elektronische Rechenanlage Zuse Z22 erhielt, war Bittel gern bereit, sie in sein Institut aufzunehmen. Die röhrenbestückte Anlage wurde 1962 gegen die transistorisierte Z23 ausgetauscht; sie ging 1966 an das 1964 gegründete Institut für Numerische und Instrumentelle Mathematik.
  • Für das Institut für Angewandte Physik erreichte Bittel ein zweites Ordinariat, das 1967 mit Professor Dr. Wilfried Hampe besetzt wurde unter Erweiterung um die Thematik Spektrum der magnetischen Permeabilität und Forschungsgebiete der Halbleiterphysik.

Heinz Bittel wurde im Jahre 1976 emeritiert.

Berufungen und Ehrungen

Bittel wurden höchste Leitungsfunktionen in Industrie und staatlicher Wissenschaftsverwaltung auf nationalen sowie internationalen Positionen angeboten; getreu seinen ganz besonderen Fähigkeiten als Lehrer (Gerlach 1951) nahm er jedoch nur der akademischen Forschung und Lehre nahe stehende Ämter in Münster und außerhalb an, von denen die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Kernforschungsanlage Jülich (1954-1959) und im Gründungsausschuss der Ruhr-Universität Bochum (1961-1966) genannt werden.

Mit den Kollegen Eugen Kappler und Wilhelm Klemm gehörte er zu den führenden Persönlichkeiten, die für die Verwirklichung des Naturwissenschaftlichen Zentrums am Coesfelder Kreuz handelten.

  • Heinz Bittel war Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Akademischen Jahr 1963/64.

Die Pflege der Verbindungen zu Forschungsinstituten und Hochschulen Frankreichs war ihm ein besonderes Anliegen. Heinz Bittel war Ehrendoktor der Universität Lille und der Universität Orléans-Tour. Die Stadt Lille ehrte ihn mit ihrer Silbermedaille.

Schriften

  • Heinz Bittel, Leo Storm: Rauschen. Eine Einführung zum Verständnis elektrischer Schwankungserscheinungen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1971, ISBN 3-540-05055-8.
  • Heinz Bittel: Von natürlichen und künstlichen Magneten. Die Bedeutung atomarer Ordnungszustände für den Magnetismus. Münster: Aschendorff 1974. Rede bei der feierlichen Übernahme des Rektoramtes am 15. November 1963.

Literatur

  • Heinz Bittel. Akademische Gedenkfeier. Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Münster: Aschendorff 1982, Heft 69.
  • Gerhard Schweier: Namhafte Heidenheimer. Heidenheim 1968. Bd. 1., S. 16.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Horst E. Müser: Heinz Bittel †. Phys. Bl. 36 (1980) 357 f.
  2. a b Karl August Hempel: Rückblick eines Schülers. In: Heinz Bittel. Akademische Gedenkfeier. Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Münster: Aschendorff 1982, Heft 69.
  3. Bittels Gedankenaustausch seit dieser Zeit mit Walther Gerlach bis zu dessen Todesjahr 1979 wird gespiegelt durch mehrere Dutzend freundschaftlich gehaltener Briefe Gerlachs im Nachlass Heinz Bittel (Archiv der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster).
  4. Eberhard Rössler: Die Torpedos der deutschen U-Boote. Hamburg, Berlin, Bonn: Mittler & Sohn 2005, S. 84, 100, 233.
  5. Helmut Maier: Forschung als Waffe. Eine Bilanz der Rüstungsforschung und der KWG im NS-System. 2 Bände, Göttingen: Wallstein 2007, hier Bd. 2.
  6. Nachlass Heinz Bittel. Archiv der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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