Finaler Rettungsschuss

Finaler Rettungsschuss

Als finaler Rettungsschuss wird in Deutschland der gezielte tödliche Einsatz von Schusswaffen im Dienst von Polizisten bezeichnet, um im Sinne der Nothilfe Gefahr von Dritten genau dann abzuwenden, wenn keine anderen Mittel zur Abwendung verfügbar sind. Ein Einsatzgebiet sind etwa Geiselnahmen, bei denen Verhandlungen und der Einsatz von nichttödlichen Waffen keine realistischen Aussichten auf Erfolg bieten.

In Österreich wird dies als „zulässiger lebensgefährdender Waffengebrauch“ bezeichnet. In der Schweiz existiert kein einheitlicher Begriff.

Inhaltsverzeichnis

Gesetzliche Grundlagen

Deutschland

Das juristische Konzept des finalen Rettungsschusses wurde im Jahre 1973 entwickelt.[1] In Deutschland haben es seitdem 13 der 16 Länder in ihre Polizeigesetze aufgenommen, die demnach das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) einschränken.

In den Polizeigesetzen Baden-Württembergs (§ 54 Absatz 2 PolG), Bayerns (Artikel 66 Absatz 2 Satz 2 PAG), Brandenburgs (§ 66 Absatz 2 Satz 2 PolG), Hessens (§ 60 Absatz 2 Satz 2 HSOG), Niedersachsens (§ 76 Absatz 2 Satz 2 SOG), von Rheinland-Pfalz (§ 63 Absatz 2 Satz 2 POG), des Saarlands (§ 57 Absatz 1 Satz 2 SPolG), Sachsens (§ 34 Absatz 2 PolG), Sachsen-Anhalts (§ 65 Absatz 2 Satz 2 SOG LSA) und Thüringens (§ 64 Absatz 2 Satz 2 ThürPAG) existieren quasi wortgleiche Regelungen. Lediglich in Hessen, wo von „einer" (statt „der“) gegenwärtigen Gefahr“ die Rede ist, und dem Saarland, wo es „Abwendung“ statt „Abwehr“ heißt, wird vom Wortlaut abgewichen. Nach der Vorschrift ist der finale Rettungsschuss nur als Ultima ratio zur Abwendung einer akuten Gefahr für Leib oder Leben zulässig:

Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.

Die Regelung in Bremen (§ 46 Absatz 2 Satz 2 und 3 BremPolG) unterscheidet sich im Wortlaut erheblich von denen der anderen Bundesländer. Eine grundlegende Abweichung besteht vor allem darin, dass ein Bremer Polizist generell nicht verpflichtet ist, einen finalen Rettungsschuss auf Anordnung eines Weisungsberechtigten durchzuführen. Die Entscheidung, ob diese Maßnahme getroffen werden muss, liegt ausschließlich bei ihm:

Gebraucht der Polizeivollzugsbeamte die Schusswaffe als das einzige Mittel und die erforderliche Verteidigung, um einen rechtswidrigen Angriff mit gegenwärtiger Lebensgefahr oder gegenwärtiger Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit von sich oder einem anderen abzuwehren, so ist sein Handeln auch dann zulässig, wenn es unvermeidbar zum Tode des Angreifers führt; insoweit wird das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt. § 42 Abs. 1 S. 1 (Handeln auf Anordnung) findet im Falle des Satzes 2 keine Anwendung.

Im Hamburger Polizeigesetz (§ 25 Abs. 2 HbgSOG) wird der finale Rettungsschuss ebenfalls von der Weisungspflicht ausgenommen. Verlangt wird eine „unmittelbar bevorstehende“ Gefahr für seinen Einsatz:

Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Lebensgefahr oder der unmittelbar bevorstehenden Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist. § 20 Absatz 1 Satz 1 findet im Falle des Satzes 1 keine Anwendung.

Die Polizeigesetze in Berlin (UZwG / ASOG), Mecklenburg-Vorpommern (SOG) und Schleswig-Holstein (LVwG) beinhalten den finalen Rettungsschuss nicht. Die gezielte Tötung kann hier nur durch den Rückgriff auf die Notwehr oder den Notstand gerechtfertigt werden.

Auch das nordrhein-westfälische Polizeigesetz beinhaltet seit Februar 2010 eine Regelung zum finalen Rettungsschuss (§ 63 II S.2 PolG NRW).[2][3] Der Wortlaut entspricht den zuerst genannten Polizeigesetzen.

Der erste in Deutschland ausgeführte finale Rettungsschuss wurde am 18. April 1974 in Hamburg ausgeführt. Ein Kolumbianer hatte während eines Banküberfalles einen Polizisten getötet und Geiseln genommen. Er wurde beim Verlassen der Bank gezielt erschossen.

Österreich

Waffengebrauchsgesetz

In Österreich ist der lebensgefährdende Waffengebrauch im Rahmen der polizeilichen Zwangsbefugnisse durch das Waffengebrauchsgesetz 1969 (WaffGebrG) geregelt. Separate Bestimmungen hinsichtlich eines Finalen Rettungsschusses wie in Deutschland existieren in Österreich nicht, sämtliche Bestimmungen des WaffGebrG sind in einer derartigen Einsatzlage zu beachten. Eine gezielte Tötung eines Menschen, unter Beachtung der Bestimmungen des § 7 WaffGebrG, ist in Extremsituationen (Geiselnehmer droht die unmittelbar bevorstehende Tötung einer Geisel an) zulässig. Nicht in Betracht kommen jedoch die gezielte Tötung, um jemanden widerstands- oder fluchtunfähig zu machen oder um eine Flucht zu beenden.

Schweiz

In der Schweiz gelten aufgrund der Zuständigkeit der Kantone für das Polizeiwesen für den Schusswaffengebrauch die verschiedenen Regelungen der einzelnen Kantone. Nur in wenigen davon besteht ein eigentliches Polizeigesetz und Fragen zum Waffengebrauch sind meist in Dienstinstruktionen der Verwaltung geregelt. Absolute von der Bundesverfassung vorgegebene Grenze für den Waffengebrauch der Polizei ist das Recht auf das Leben jedes Menschen und das bei allen Verwaltungsmaßnahmen (wie auch beim Schusswaffengebrauch) einzuhaltende Prinzip der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Zwangsmittel.

Der finale Rettungsschuss ist in der Schweiz vor allem bekannt durch die Tötung eines Amokschützen in Chur (März 2000). Der verantwortliche kantonale Polizeikommandant wurde schließlich vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen.[4]

Kritik

Der finale Rettungsschuss ist sehr umstritten. Die Kritik richtet sich einerseits gegen die Begrifflichkeit, so sehen Kritiker in der Bezeichnung finaler Rettungsschuss eine begriffliche Verharmlosung (Euphemismus) des Tötens eines Menschen [5]. Statt vom finalen Rettungsschuss solle daher vom gezielten Todesschuss gesprochen werden.

Vor allem jedoch ist umstritten, ob überhaupt ein Bedarf für eine positiv-rechtliche Normierung des Todesschusses besteht (da Notwehr und Notlage zum Schutze der körperlichen Unversehrtheit des Polizisten und von Dritten praktisch unbestritten sind), sowie inwieweit eine solche über Notwehr und Notstand hinausgehende Regelung überhaupt zulässig und rechtspolitisch erwünscht ist. Der Beamte erhält durch die Regelung zwar einerseits mehr Rechtssicherheit, andererseits werden aber auch Bedenken dahingehend geäußert, dass eine gesetzliche Regelung die Polizei zu einer häufigeren Anwendung praktisch ermutigt. Insbesondere werde auch ohne gleichzeitige Verpflichtung zur Anwendung des weniger stark eingreifenden gezielten Schusses zur Herbeiführung nur einer Handlungsunfähigkeit (beispielsweise auf Weichteile des Rumpfes oder der Gliedmaßen) statt des todsicheren Schusses (auf lebensnotwendige Organe oder speziell den Kopf) das grundlegende Verhältnismäßigkeitsprinzip zwischen angewandten Mitteln und anerkanntem Zweck der Handlung missachtet. Außerdem gibt es das prinzipielle Quantifizierungsverbot, das hier tangiert wird. [6]

Widerspruch zur Kritik

Es wird dagegen angeführt, dass je nach Gefährdungssituation das Abwenden der Lebensgefahr nur erreicht werden könne, wenn das Einwirken auf einen Störer dazu geeignet ist, die unmittelbare Handlungsunfähigkeit (die sogenannte Mannstoppwirkung) herbeizuführen. Dies bedeutet, dass der Zeitrahmen vom Einwirken auf den Täter bis zum Erreichen der Handlungsunfähigkeit so kurz wie möglich zu halten sei, um ein weiteres Handeln des Täters zu verhindern.

Sofortige Handlungsunfähigkeit könne jedoch nicht durch Schüsse auf Gliedmaßen oder Rumpf oder auf Organe (Leber, Nieren, Herz) hergestellt werden, sondern nur durch Ausschalten des Zentralen Nervensystems ohne Zeitverlust, was ausschließlich durch Treffer in Klein- oder Stammhirn zu erreichen sei. [7]

Literatur

  • Manuel Holder, Der finale Rettungsschuss – polizeirechtliche Vorschriften und deren Verfassungsmäßigkeit ISBN 978-3-638-71078-7 Auszug online
  • Anton G Schuster, Finaler Rettungsschuss. Theologisch-ethische Untersuchung zum finalen Rettungsschuss als lex specialis ISBN 978-3-631-30203-3
  • Martin Wagner: Auf Leben und Tod: das Grundgesetz und der finale Rettungsschuß. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-78325-6.

Einzelnachweise

  1. Krey/Meyer: Zeitschrift für Rechtspolitik. 1973, S. 1 ff.
  2. Gesetz und Verordnungsblatt (GV. NRW.), abgerufen am 21. Juni 2010
  3. Das neue Polizeigesetz in NRW, abgerufen am 21. Juni 2010
  4. «Finaler Rettungsschuss» liess ihn nicht mehr los
  5. Pressemitteilung der Universität Kassel zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006
  6. Norbert Pütter, Polizeilicher Schußwaffengebrauch / Eine statistische Übersicht, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 62 (1/99) (eingesehen am 14. Aug. 2009)
  7. Artikel: Finaler Rettungsschuß: Nur NRW warnt vor "niederen Instinkten in im Newletter der Deutschen Polizeigewerkschaft Ausgabe Niedersachsen, Nr. 14/2003, Seite 4 (eingesehen am 14. Aug. 2009)

Weblinks

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