Kuno Lorenz

Kuno Lorenz

Kuno Lorenz (* 17. September 1932 in Vachdorf, Thüringen) ist ein deutscher Philosoph. Er entwickelt eine Dialogphilosophie im Anschluss an die pragmatische Handlungstheorie des Erlanger Konstruktivismus. Lorenz ist verheiratet mit der Literaturwissenschaftlerin Karin Lorenz-Lindemann.

Inhaltsverzeichnis

Werdegang

Nach dem Studium der Mathematik und Physik in Tübingen, Hamburg, Bonn und Princeton promovierte Lorenz 1961 bei Paul Lorenzen in Kiel mit einer Dissertation über Arithmetik und Logik als Spiele. 1969 konnte er sich in Erlangen habilitieren. 1970 wurde er in Nachfolge von Carl Friedrich von Weizsäcker auf den Lehrstuhl für Philosophie der Universität Hamburg berufen. Von 1974 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1997 lehrte er an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

Dialogische Logik

Lorenz entwickelte (zusammen mit Paul Lorenzen) einen Ansatz, Arithmetik und Logik als Dialogspiele zu konstruieren. In der Dialogischen Logik werden Baumkalküle (allgemein: Gentzentypkalküle) upside-down geschrieben, so dass die Anfangsbehauptung eines Proponenten oben steht und wie in einem Spiel gegen einen Opponenten verteidigt wird. Dies ist ein semantiknaher Logikansatz, der sich besser als Vorbild für Argumentationen eignet als das formale Ableiten in Kalkülen bzw. die logischen Wahrheitswerttabellen. Lorenz legte zum ersten Mal einen einfachen Beweis des Gentzenschen Hauptsatzes auf dieser spieltheoretischen Basis vor. Fasst man Logik und Mathematik in dieser Weise als Spiele auf, so lässt sich zwanglos ein intuitionistischer Ansatz als eine Möglichkeit wählen.

Elemente der Sprachkritik

Lorenz hat wesentlichen Anteil an der Klärung und Rekonstruktion des sprachlich grundlegenden Vorgangs der Prädikation, der in der Logischen Propädeutik des frühen Erlanger Konstruktivismus und in der Sprachphilosophie von zentraler Bedeutung ist. Das 1970 erschienene richtungsweisende Werk Elemente der Sprachkritik gestaltet von diesem Ansatz her im Anschluss an die Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins eine Sprachkonstruktion der Elementaraussage und lotet die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Sprache aus. Der Zusammenhang der selbständigen und unselbständigen Verwendung von Prädikatoren der Nomina und Verba für die Dinge und Handlungen wird sprachkritisch erörtert. Nur die Nomina werden stets selbständig verwendet.

Die von Jürgen Mittelstraß seit 1980 herausgegebene Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie hat Lorenz durch eine große Anzahl von Artikeln insbesondere zu Logik, Sprachphilosophie, Pragmatismus, Semiotik und Buddhismus eindrücklich mitgeprägt.

Dialogischer Konstruktivismus

Nicht nur die Logik, sondern die gesamte Philosophie erhält bei Lorenz eine dialogische Komponente: Nur im Spiegel des jeweiligen Gegenüber ist es möglich auf sich zu reflektieren. Lorenz entwickelt aus der Orientierung an dem Dialogischen Prinzip (Martin Buber) und dem Verfahren der Sprachspiele des späten Ludwig Wittgenstein einen Dialogischen Konstruktivismus. Dabei werden der Pragmatismus von Charles Sanders Peirce und der Historismus von Wilhelm Dilthey komplementär einander gegenübergestellt.

Der Unterschied zwischen einem "Können" (etwa Rechnen, Flöte spielen usw.) in der Lebenswelt einerseits und dem Wissen um ein Können andererseits wird beim methodischen Aufbau deutlicher unterschieden, als das noch in der früheren Zusammenarbeit mit Paul Lorenzen der Fall war, bei dem das Konstruieren und das Die-Konstruktion-Verstehen eine Einheit bildete. Das methodische Hervorbringen und das begrifflich reflexive Vorfinden werden in das dialogische Prinzip eingebunden und zwischen einem Handlungen vollziehenden Agenten (ICH-Rolle) und einem Handlungen erlebenden Patienten (DU-Rolle) unterschieden. Diese komplementären Rollen (auch innerhalb einer Person) sind auf einander angewiesen.

Das Verhältnis von Theorie und Praxis wird neu bestimmt: Ein von Lorenz als Einschränkung angesehener Unterschied zwischen technischem Können (Naturwissenschaft) und praktischem Wollen (Kulturwissenschaft) wird abgelehnt, insofern allein auf der Sprachebene (nur wissenschaftlich) zwischen normativen und deskriptiven Sätzen unterschieden wird und dadurch der allgemeinere Unterschied zwischen Natur und Kultur in der Alltagswelt des ICH-DU-Rollenkonzepts unzugänglich bleibt. Lässt man das Sprachhandeln außer acht, so geschieht das Handeln bei Einnehmen der Ich-Rolle im bloßen Tun und bei Einnehmen der Du-Rolle im Erleiden. Beim Sprechen wird es etwas komplexer, weil das Verstehen hinzukommt: Die Einnahme der Ich-Rolle (Aneignung) geschieht bei Sprachhandlungen zweifach: Im bloßen Sprechen und im Zu-verstehen-Geben. Die Einnahme der Du-Rolle (Distanzierung) geschieht sowohl im bloßen Hören als auch im sinnerfassenden Verstehen.[1]

Mit der dialogischen Konstruktion wird der Aufbau unserer Erfahrung theoretisch modelliert, in der phänomenologischen Reduktion wird der Abbau derselben Erfahrung praktisch erlebt. Vorgefundenes (Wilhelm Kamlah) und Hervorgebrachtes (Paul Lorenzen) werden bei Lorenz aufeinander bezogen und Welt und Sprache als gleichursprünglich konzipiert.[2]

Lorenz hat über den Buddhismus und die indische Philosophie intensiv gearbeitet. Die für Lorenz typische komplementäre Gegenüberstellung von zu einander widersprüchlich wirkenden Personen wird auch mit den indischen Philosophen Nagarjuna (Buddhismus, tätige Vernunft in Shunyata durch Beschränkung auf die Ich-Rolle) und Shankara (Advaita-Vedanta, vernehmende Vernunft als Erlebnis der Aneignung des Veda durch Beschränkung auf die Du-Rolle) durchgeführt.

Werke

  • 1969 und Jürgen Mittelstraß: Die methodische Philosophie Hugo Dinglers Einleitung zum Nachdruck von: Hugo Dingler Die Ergreifung des Wirklichen Kapitel I-IV. Suhrkamp, Frankfurt (Reihe Theorie 1) S. 7-55
  • 1970 Elemente der Sprachkritik Eine Alternative zum Dogmatismus und Skeptizismus in der Analytischen Philosophie Suhrkamp, Frankfurt (Reihe Theorie)
  • 1977 Einführung zu: Richard Gätschenberger Zeichen, die Fundamente des Wissens Zweite, unveränd. Aufl., vermehrt um eine Einführung von Kuno Lorenz. (Nachdr. v. 1932) frommann-holzboog, Stuttgart (problemata; 59)
  • 1978 mit Paul Lorenzen: Dialogische Logik WBG, Darmstadt
  • 1978 (Hrsg.): Konstruktionen versus Positionen Beiträge zur Diskussion um die konstruktive Wissenschaftstheorie. Paul Lorenzen zum 60. Geburtstag. de Gruyter, Berlin, New York
  • 1980 Sprachphilosophie in: Althaus u.a. (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik Niemeyer, Tübingen
  • 1982 (Hrsg.): Identität und Individuation (2 Bde.) frommann-holzboog, Stuttgart
  • 1986 Dialogischer Konstruktivismus In: K. Salamun (Hrsg.): Was ist Philosophie? Mohr, Tübingen
  • 1990 Einführung in die philosophische Anthropologie WBG, Darmstadt ²1992 ISBN 3-534-04879-2
  • 1992/6 mit M. Dascal, D. Gerhardus und G. Meggle) (Hrsg.): Sprachphilosophie Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung (2 Halbbde.) Berlin/New York
  • 1998 Indische Denker Beck, München ISBN 3-406-41945-3 (Rezension)
  • 2009 Dialogischer Konstruktivismus de Gruyter, Berlin, New York ISBN 978-3-11-020310-3

Literatur

  • Gerhardus, Dietfried und Silke M. Kledzik (Hrsg.): Vom Finden und Erfinden in Kunst, Philosophie, Wissenschaft: k(l)eine Denkpause für Kuno Lorenz zum 50. Geburtstag. Universitätsdruck, Saarbrücken 1985
  • Astroh, Michael (Hrsg.): Dialogisches Handeln: eine Festschrift für Kuno Lorenz. Spektrum, Heidelberg 1997

Einzelnachweise

  1. K.L.: Die Wiedervereinigung von theoretischer und praktischer Rationalität in: Dialogischer Konstruktivismus Berlin 2009, S. 155
  2. K.L.: Das Vorgefundene und das Hervorgebrachte in: Dialogischer Konstruktivismus Berlin 2009, S. 159 ff

Weblinks



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