Mosul-Frage

Mosul-Frage
Die Lage des Vilayetes Mosul

Als Mosul-Frage wurde das Problem des völkerrechtlichen Status' des ehemaligen osmanischen Vilayets Mosul nach dem Ersten Weltkrieg bezeichnet.

Mosul und dessen Umland erregte wegen seiner Erdölvorkommen das Interesse Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und der USA. Das Gebiet wurde im Rahmen des Sykes-Picot-Abkommen von 1916 Frankreich zugesprochen. Auf der Konferenz von Sanremo von 1920 überließ Frankreich das Gebiet Großbritannien, das dann Frankreichs Interessen im Nahen Osten unterstützte.

Inhaltsverzeichnis

Waffenstillstand von Mudros und Ali İhsan Paşa (Sabis)

Im Rahmen des Waffenstillstandes von Mudros konnte die Entente im Falle einer Bedrohung der alliierten Sicherheit „jeden strategischen Punkt“ erobern. Ali İhsan Pascha (Sabis) räumte auf Befehl aus İstanbul Mosul. Die britischen Soldaten marschierten Anfang November 1918 ohne jeglichen Widerstand dann dort ein. Auf denselben Befehl sollte Mustafa Kemal Pascha Adana und Hatay (siehe auch Staat Hatay) räumen. Er verweigerte dies in einem Telegramm an das Kriegsministerium mit der Begründung, dass der Befehl illegal sei. Als der Kriegsminister ihn suspendierte und ihn zurück zum Stützpunkt beorderte, verteilte er seine Waffen an das Volk, damit diese nicht in die Hände der Feinde fielen. Einige Waffen wurden der Teşkilat-ı Mahsusa an die Ostfront gebracht.

Konferenz von Lausanne

Während der Konferenz von Lausanne führte die Türkei zwei Gründe an, damit Mosul bei der Türkei verbleiben sollte. Erstens: Als am 30. Oktober 1918 der Waffenstillstand von Mudros unterzeichnet wurde, war Mosul unter der Kontrolle der türkischen Armee und innerhalb der nationalen Grenzen. Zweitens: Die Bevölkerung der Gebiete von Mosul und Sulaimaniyya bestand aus einer Mehrheit von Türken. Großbritannien legte Widerspruch gegen dies ein, faktisch war die Bevölkerung der Region mehrheitlich kurdisch. So wurde laut dem dritten Artikel des Vertrages von Lausanne wurde eine türkisch-britische Kommission eingerichtet, die dieses Problem innerhalb von neun Monaten lösen sollte.[1] Während der Verhandlung von Lausanne legte die türkische Kommission unter Ismet Inönü folgende Bevölkerungsstatistiken vor:[2]

Sandschak Kurden Türken Araber Juden Nichtmoslems Gesamt
Sulaimaniyya 62.830 32.960 7.210 - - 103.000
Kirkuk 97.000 79.000 8.000 - - 184.000
Mosul[3] 104.000 35.000 28.000 18.000 31.000 216.000
Gesamtes Vilayet[3] 263.830 146.960 43.210 18.000 31.000 503.000

Die Briten unter Lord Curzon dagegen legten diese Zahlen vor, nach denen die Türken nur 1/12 der Bevölkerung ausmachen sollten.

Ethnie Zahl[3] Prozent
Araber 185.763 23,65
Kurden 427.720 54,45
Türken 65.895 8,39
Christen 62.225 7,92
Juden 16.865 2,15
Jesiden 30.000 3,82
Gesamt 785.468

Die irakische Regierung (1922-24) legte folgende Zahlen vor:

Ethnie Zahl[3] Prozent
Araber 166.941 16,29
Kurden 720.007 70,24
Türken 38.652 3,77
Christen 61.336 5,98
Juden 11.897 1,16
Jesiden 26.257 2,56
Gesamt 1.025.090 100

Die Konferenz am Goldenen Horn und Ali Fethi Bey (Okyar)

Die ersten Gespräche begannen auf der Konferenz am Goldenen Horn am 19. Mai 1924. Es wurde jedoch keine Einigkeit erzielt. Die Türkei bestand darauf, dass die Gebiete Mosul und Sulaimaniyya innerhalb ihrer Grenzen bleiben mussten. Großbritannien lehnte diese Forderung ab und erhob darüber hinaus noch Anspruch auf das Gebiet Hakkari.

Die Istanbulkonferenz endete ergebnislos und die Beziehungen zwischen der Türkei und Großbritannien wurden angespannter, weil es an der Grenze zum britischen Mandat Mesopotamien (heute Irak) zu Unruhen kam. Deswegen einigten sich beide Seiten das Problem laut Vertrag von Lausanne vor den Völkerbund zu bringen.[4] Trotzdem war die Türkei mit dieser Einigung unzufrieden, denn die Türkei war noch kein Mitglied des Völkerbundes und Großbritannien war im Völkerbund einflussreich.

Das geplante Mosul-Manöver und Cafer Tayyar Paşa (Eğilmez)

1924 plante Mustafa Kemal Mosul zu besetzen und die Briten aus dem Gebiet zu vertreiben. Die Griechen, die von den Briten unterstützt wurden, flohen aus Anatolien und ließen 150-200 Tausend Soldaten und 70 % ihrer Waffen zurück. Die Regierung David Lloyd George musste wegen der Chanakkrise in Großbritannien zurücktreten, allerdings unterliess die Türkei nach eindringlichen Drohungen der Briten eine Invasion, zugleich brachte die nationalistische Politik der Türkei die Minderheiten in Anatolien dazu, Aufstände zu organisieren, erst der Nestorianeraufstand und dann der Scheich-Said-Aufstand. Mustafa Kemal erkannte angesichts der Umstände im eigenen Land und der britischen Übermacht mit 140.000 Soldaten im Irak, dass seine erschöpften Truppen kaum eine Chance gehabt hätten.

Die Entscheidung des Völkerbundes

Aufgrund all dieser Hindernisse, musste die Türkei die Rolle des Völkerbundes akzeptieren. Der Völkerbund nahm sich des Themas im September 1924 an. Die Türkei schlug ein Plebiszit in den Regionen Mosul und Sulaimaniyya vor. Dies lehnte Großbritannien ab. Der Völkerbund richtete eine Kommission ein, der sich mit dem Thema befasste. Die Untersuchungskommission legte ihren Bericht im September 1925 dem Völkerbund vor. Die Kommission stellte in ihrem Bericht fest, dass die Bevölkerung Mosuls keiner Seite beitreten und damit unabhängig sein wolle.[5] Trotz dessen machte die Untersuchungskommission folgende Vorschläge:

  1. Die Brüsseler Linie soll als Grenze anerkannt werden.
  2. Da die Mehrheit der Bevölkerung Mosuls Kurden sind, wird Mosul an den Irak angeschlossen und außerdem sollen mit der Türkei Wirtschaftsabkommen vereinbart werden. Wenn das Mandat 1928 abläuft, wird diese Phase um 25 Jahre verlängert, aber die Kurden sollen Autonomie und kulturelle Rechte erhalten.
  3. Wenn diese zwei Punkte nicht eingehalten werden, wird das Vilayet Mosul der Türkei zurückgegeben werden.

Die Versammlung des Völkerbundes akzeptierte den Vorschlag der Kommission. Diese Entscheidung führte in der Türkei zu großen Protesten. Dies ging so weit, dass es zwischen der Türkei und Großbritannien Kriegsstimmung herrschte.

Doch dank Atatürks realistischer Einschätzung der Lage beruhigte sich die Lage, denn das Land hatte erst vor kurzem im Krieg gestanden und die daraus entstandenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme mussten erst noch gelöst werden. Außerdem hatte die Türkei innere und äußere Probleme.

Die äußeren Probleme waren, dass europäisch-christliche Staaten die Verhandlungen um Mosul leiteten. Dies isolierte die Türkei. So unterschrieb die Türkei mit der Sowjetunion in Paris einen Nichtangriffspakt. Das Ziel war es Verbündete zu finden. Die inneren Probleme waren Aufstände, die durch die Briten organisiert wurden. Schlussendlich konnte sich die Türkei nicht mehr in jedem Thema helfen. Aus diesem Grund akzeptierte die Türkei die Entscheidung des Völkerbundes und unterzeichnete am 5. Juni 1926 in Ankara mit Großbritannien einen Vertrag[6]. Dieser Vertrag regelte die Türkisch-Irakische Grenze und beendete die Mosul-Frage.

1. Die Grenze sollte die in Brüssel festgelegte Brüsseler Linie sein; aber diese Grenze sollte zugunsten der Türkei geringfügig modifiziert werden. 2. Nach Artikel 14 des Vertrages erhält die Turkish Petroleum Company 10 % der Erdöleinnahmen für die nächsten 25 Jahre. Doch auf dieses Recht verzichtete die Türkei später im Gegenzug von 500.000 englischen Gold.

Türkisch-Britische Beziehungen

Trotz der Übereinkunft von 1926 in der Mosulangelegenheit normalisierten sich die türkisch-britischen Beziehungen nicht. Die Türkei fühlte sich um den ihrer Meinung nach bestehenden Herrschaftsanspruch betrogen. Darüber hinaus verlor die Türkei durch den von ihr eingeführten türkischen Nationalismus, den sie konsequent allen muslimischen Bevölkerungsgruppen aufzwang, und die Unterdrückung der christlichen Minderheiten endgültig jede Unterstützung der assyrischen und kurdischen Bevölkerung in der Mosul-Region.

Endlich besuchte 1929 die Mittelmeerflotte der Briten İstanbul. Dieser Besuch war der erste Schritt, um die türkisch-britischen Beziehungen voranzubringen. Admiral Field ging nach Ankara, um dort mit Atatürk und anderen wichtigen Politikern zusammenzukommen, und weichte so die erhärteten Beziehungen auf. Kurz nach diesem Besuch kam auch der Vizeaußenminister der Sowjetunion, Karahan, nach Ankara, weil die Sowjetunion wegen der Annäherung zwischen der Türkei und Großbritannien beunruhigt war.

Literatur

  • İsmet Demir (Hrsg.): Musul-Kerkük ile ilgili arşiv belgeleri : (1525 - 1919). Başbakanlık Basımevi, Ankara 1993, ISBN 975-19-0757-8, S. 734.
  • Mim Kemâl Öke: Belgelerle Türk-İngiliz ilişkilerinde Musul ve Kürdistan sorunu, 1918 - 1926. Türk Kültürünü Araştırma Enst., Ankara 1992, ISBN 975-456-052-8, S. 208.
  • I. I. Minz, A. M. Pankratowa, W. P. Potjomkin, E. W. Tarlé, N. P. Koltschanowski: Die Diplomatie in der Periode der Vorbereitung des zweiten Weltkrieges 1919-1939. In: W. P. Potjomkin (Hrsg.): Geschichte der Diplomatie. 2. Auflage. 3. Band, Nr. 1, SWA-Verlag, Berlin 1948.

Filme

  • Kaan Girgin: „Miras“ (Erbe) (2008, Türkei)

Einzelnachweise

  1. The frontier between Turkey and Iraq shall be laid down in friendly arrangement to be concluded between Turkey and Great Britain within nine months.[1]
  2. İsmail Göldaş: Lozan - Biz Türkler ve Kürtler; Verlag Avesta, ISBN 9757112690
  3. a b c d Mim Kemâl Öke: Belgelerle Türk-İngiliz ilişkilerinde Musul ve Kürdistan sorunu, 1918 - 1926. In: 123. I. Auflage. III, Nr. A-33, Türk Kültürünü Araştırma Enstitüsü, Ankara 1992, ISBN 975-456-052-8, Beşinci Bölüm: Musul Meselesi´nin Milletler Cemiyeti´ndeki Safhaları, S. 151.
  4. In the event of no agreement being reached between the two Governments within the time mentioned, the dispute shall be referred to the Council of the League of Nations.[2]
  5. Viola Furubjelke und Omar Sheikhmous: Iraqi Kurdistan – A Study in Genocide / A draft report presented at Recognition of Kurdish Rights – An International Conference on Strategies for Action, Stockholm März 15–17, 1991.
  6.  Wikisource: Ankara Antlaşması (1926) – Quellen und Volltexte (Türkisch)

Weblinks

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