Donald Stellwag

Donald Stellwag

Donald Stellwag (* 1957 in Fuchsstadt, Unterfranken) ist ein deutsches Opfer eines Justizirrtums. Der frühere Hausmeister, der vor seiner Festnahme in Lauf an der Pegnitz lebte, hat wegen eines im Dezember 1991 in Nürnberg stattgefundenen Bankraubes mit Geiselnahme, der ihm angelastet wurde, acht Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen.

Inhaltsverzeichnis

Ermittlungen und Verurteilung

Nachdem 1992 in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst ein von der Überwachungskamera am Tatort gemachtes Foto des Täters ausgestrahlt worden war, wurde Stellwag von einem Polizeibeamten, der ihn flüchtig kannte, als möglicher Verdächtiger angezeigt. Weil Stellwag dem wirklichen Täter im Gesichtsschnitt und in der Statur ähnelte (beide waren sehr groß und deutlich übergewichtig), identifizierten auch die Tatzeugen Donald Stellwag als den vermeintlich Schuldigen, sodass er im Februar 1993 unter dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft genommen wurde. Ausschlaggebend für seine Verurteilung im Jahr 1995 war ein anthropologisches Identitätsgutachten des Sachverständigen Cornelius Schott. Dieser meinte, Donald Stellwag auf dem Foto anhand seiner Ohren als Täter identifizieren zu können. Trotz der Aussage von acht Personen, die bezeugen konnten, dass sich Stellwag zum Zeitpunkt der Tat etwa 350 Kilometer vom Tatort entfernt in Sachsen aufgehalten hatte, und obwohl nirgends ein Fingerabdruck von ihm zu finden war, wurde er aufgrund dieses Gutachtens zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, die er auch vollständig absaß. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der „Uneinsichtigkeit“ des Angeklagten die für das Delikt vorgesehene gesetzliche Höchststrafe von 15 Jahren gefordert.

Haftzeit und nachträglicher Freispruch

Als „Tatleugner“ wurde Donald Stellwag eine besonders strenge Form des Strafvollzugs zuteil: Die ersten sechs Jahre musste er in Einzelhaft verbringen, die Möglichkeit zu sozialen Betätigungen und Berufstätigkeit innerhalb der Haftanstalt wurde ihm verwehrt. Auch eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung kam nicht in Frage, da er als Voraussetzung dafür ein Geständnis hätte ablegen und sich mit seiner „Schuld“ identifizieren müssen.

Der wirkliche Täter wurde wenige Wochen nach der Haftentlassung Stellwags im Februar 2001 festgenommen. Zwischenzeitlich war gegen Stellwag wegen eines weiteren Bankraubes ermittelt worden, den er während der Haftzeit begangen haben soll, obwohl er die Justizvollzugsanstalt Straubing zu diesem Zeitpunkt nachweislich nicht verlassen hatte. Diese Tat wurde dann dem Täter zugeordnet, der auch schon jenen Überfall begangen hatte, der irrtümlich Stellwag angelastet wurde. Der wirkliche Täter hat 2001 beide Taten gestanden und wurde für mehrere Raubüberfälle zu einer Freiheitsstrafe von elfeinhalb Jahren verurteilt. Vor Gericht entschuldigte er sich öffentlich bei Stellwag und gab an, von der Verurteilung des Unschuldigen nichts gewusst zu haben.

Donald Stellwag, der von Demütigungen seitens seiner Mitgefangenen berichtete und während der Haftzeit an einem Gehirntumor litt und an Diabetes erkrankte, ist seit seiner Entlassung erwerbsunfähig. Nach seinem Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren wurde ihm eine Haftentschädigung von etwa 60.000 DM (20 DM pro Hafttag) gewährt, von denen ihm jedoch nur rund 39.000 DM ausgezahlt und der Rest – den Gesetzen entsprechend – für die Verköstigung in der Justizvollzugsanstalt einbehalten wurde.

Nachwirkungen des Falls

Stellwag hat als soziales Engagement seit 2001 einen Buchverleih für Strafgefangene aufgebaut. Laut eigener Angabe hat ihm vor allem das Lesen und Schreiben geholfen, die Jahre im Gefängnis ertragen zu können.

Der Fall stieß auf ein großes Medieninteresse. Ein Dokumentarfilm von Angela Graas wurde im April 2002 vom WDR-Fernsehen gesendet. Im Mai 2005 trat Donald Stellwag zusammen mit seinem Rechtsanwalt in der Talkshow Menschen bei Maischberger im ersten Programm der ARD auf, am 11. Oktober 2007 wurde er zusammen mit seinem Anwalt Bäckerling in der Johannes B. Kerner-Show im ZDF interviewt. In der Sendung vom 14. April 2009, die unter dem Thema „Justizirrtümer und Justizopfer“ gesendet wurde, nahm er ebenfalls teil.

Neben Donald Stellwag wurden laut einem Bericht des WDR noch zwei weitere Personen aufgrund von Schott-Gutachten unschuldig verurteilt, darunter eine Krankenschwester, die wegen angeblichen Scheckkartenbetrugs 1996 eine Bewährungsstrafe von einem Jahr erhalten hatte und 2000 wegen nachgewiesener Unschuld nachträglich freigesprochen wurde.[1]

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (AZ 19 U 8/2007) verurteilte Cornelius Schott am 2. Oktober 2007 zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 150.000 Euro an Donald Stellwag. Revision wurde nicht zugelassen. Nach einem Bericht des Hessischen Rundfunks handelt es sich dabei um den ersten Fall in Deutschland, bei dem ein Sachverständiger für ein fehlerhaftes Gerichtsgutachten zivilrechtlich haftbar gemacht wurde.[2] Laut seiner eigenen Aussage will Stellwag mit dem Geld eine „Gesellschaft unschuldig verurteilter Opfer (GUVO)“ gründen.

2010: Neue Anklage

Stellwag wird verdächtigt, sich als Informant wegen Tatbeteiligung an einem „Goldraub“ strafbar gemacht zu haben. Am 15. Dezember 2009 überfiel eine Gruppe um den Bonner Rapper Xatar einen Goldtransporter auf der Bundesautobahn 81. Stellwag wird vorgeworfen, einen Mitarbeiter des Beraubten ausgehorcht und dann Insiderwissen an den Täter weitergegeben zu haben.[3][4]

Stellwag wurde am 9. Juni in Nürnberg festgenommen; aus gesundheitlichen Gründen wurde er noch am selben Tag aus der Haft entlassen.[4][5] Das Verfahren gegen Stellwag wurde von der Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart am 7. September 2010 abgetrennt, das heißt, es wird gesondert nach dem Prozess gegen die anderen wegen des Raubüberfalls Angeklagten durchgeführt.[6]

Literatur

  • Olaf Przybilla: Das Leben, ein Gefängnis : Donald Stellwag saß fast fünf Jahre lang unschuldig hinter Gittern - jetzt verdächtigt ihn die Polizei wieder eines Verbrechens. in: Süddeutsche Zeitung, 19./20. Juni 2010, Seite 66

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Arno Heißmeyer: Fachmann für Fehlurteile, in: Focus online 6. August 2001; abgerufen 1. März 2008.
  2. hr-online.de: Justizopfer bekommt Schmerzensgeld 2. Oktober 2007; abgerufen 4. Oktober 2007.
  3. Focus Nr. 40/10 S.51: "Denn Blei kann folgen".
  4. a b Olaf Przybilla: Wie im Kino. Donald Stellwag erneut vor Gericht. In: sueddeutsche.de. 16. Juli 2010, abgerufen am 5. Oktober 2010: „Vom Justiz-Opfer zum Täter? Fünf Jahre lang saß Donald Stellwag hinter Gittern wegen eines Raubs, den er nicht begangen hat. Nun ist er wieder angeklagt. Und wieder geht es um einen spektakulären Raubüberfall. […] Der Mann aus der fränkischen Stadt Lauf wird beschuldigt, an einem spektakulären Überfall auf einen Goldtransporter federführend mitgewirkt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat in der Sache gegen insgesamt sechs Männer Anklage erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, am 15. Dezember 2009 einen Goldtransporter überfallen und ausgeraubt zu haben.“
  5. Justiz-Opfer im Visier. In: „neumarktonline.de“. 19. Juni 2010, abgerufen am 5. Oktober 2010: „Anfang Juni wurde schließlich ein „Nürnberger Schmuckhändler“ festgenommen, der den Tipp für den Überfall auf den Neumarkter Goldtransport gegeben haben soll. Die Haftrichterin setzte allerdings den Haftbefehl außer Vollzug – der Mann sei „nicht haftfähig“. Bei dem angeblichen Schmuckhändler handelt es sich um den 52jährigen Donald Stellwag, der in der Nähe von Nürnberg lebt, heißt es in einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“.“
  6. Tilmann Grewe: Goldraub: Wer war die treibende Kraft? Neue Erkenntnisse im spektakulären Fall. In: „nordbayern.de – Nürnberger Zeitung. 9. September 2010, abgerufen am 5. Oktober 2010: „Während der Prozess gegen diese mutmaßlichen Täter am 21. Oktober in Stuttgart beginnt (die NZ berichtete), wird Stellwag nun zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht stehen. Die Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart beschloss am Dienstag dieser Woche, das Verfahren gegen ihn abzutrennen. Den Anlass dafür dürfte der stark angegriffene Gesundheitszustand des 52-Jährigen gegeben haben, der dessen Verhandlungsfähigkeit möglicherweise sehr einschränkt.“

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