Politīk

Politīk

Politīk (griech.), bei den Griechen Bezeichnung für die »Lehre vom Staate«, die Staatswissenschaft. Die engere Begrenzung des Begriffes hängt mit der Unterscheidung zwischen P. und Staatsrecht zusammen. Beide beschäftigen sich nämlich mit dem Staat; während ihn aber das Staatsrecht nach seinen rechtsgeschichtlichen Grundlagen und in seinen feststehenden Formen darstellt, betrachtet ihn die P. in der Betätigung. Die P. als Wissenschaft ist die Lehre vom Staatsleben. Die Anwendung ihrer Grundsätze auf gegebene staatliche Verhältnisse führt zur praktischen P. (Staatspraxis); jene, die theoretische P., ist Staatswissenschaft, diese Staatskunst. Wer sich nach einer von beiden oder nach beiden Richtungen hin mit dem Staatsleben beschäftigt, wird Politiker, und wer sich auf diesem Gebiet, namentlich aber auf dem der praktischen P., zu besonderer Bedeutung emporschwingt, Staatsmann genannt. Die theoretische und die praktische P. stehen im innigsten Zusammenhang; denn der theoretische Politiker darf sich ebensowenig über die tatsächlichen Verhältnisse des Lebens der Staaten und der Einzelnen hinwegsetzen, wie der praktische Politiker der wissenschaftlichen Grundsätze der P. entraten kann. Mit dieser Unterscheidung fällt der Gegensatz zwischen Real- und Idealpolitik nicht zusammen, der vielmehr in der praktischen wie in der theoretischen P. hervortritt. Man bezeichnet mit Realpolitik diejenige P., die sich streng an das Bedürfnis hält, und stellt ihr die Idealpolitik gegenüber, die sich lediglich durch die Macht der Idee beherrschen läßt. Beide sind in ihrer Einseitigkeit verwerflich. Denn die Realpolitik wird sich, wenn sie des idealen Zuges völlig entbehrt, in kleinlicher Weise lediglich auf die Förderung materieller Interessen (Interessenpolitik) beschränken, während die Idealpolitik, die den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verliert (Phantasiepolitik, Gefühlspolitik), unfruchtbar, wenn nicht verderblich sein wird. Man kann die P. ferner in innere und äußere P. einteilen. Jene beschäftigt sich mit den Verhältnissen, in denen der Staat zu seinen eignen Angehörigen steht, während die letztere die Beziehungen des Staates zu andern Staaten und die Stellung desselben im Staatensystem überhaupt behandelt. Den Gegenstand der innern P. bilden hiernach vor allem die Verfassung und die organische Einrichtung des Staatswesens selbst (Verfassungspolitik), dann die Vorbereitung der Gesetze, welche die öffentlichen und privaten Lebensverhältnisse der Staatsangehörigen regeln sollen (Gesetzgebungs-, Rechtspolitik); ferner die Staatsverwaltung, namentlich das Finanzwesen (Finanzpolitik, Steuerpolitik) und die staatliche Fürsorge für die Kulturverhältnisse des Volkes (Wirtschaftspolitik, politische Ökonomie, Agrarpolitik, Sozialpolitik, Kirchenpolitik). Die äußere P. (P. im engern Sinn, hohe P.) beschäftigt sich mit den Verhältnissen der Staaten untereinander im Zustande des Friedens sowohl als in dem des Unfriedens, also namentlich mit dem Handelsverkehr (Handels- und Zollpolitik), mit den diplomatischen Beziehungen, mit der Wehrkraft des Volkes. Die Art und Weise, wie bei Eroberung von Ländern unzivilisierter Völker vorzugehen ist, wie die eroberten Länder (Kolonien) bewirtschaftet und verwaltet werden sollen, kurz die Grundsätze, die gegenüber den Kolonien nach dieser oder jener Richtung hin und gegenüber andern zivilisierten Ländern in bezug auf die eignen und noch zu erobernden Kolonien anzuwenden sind, versteht man unter Kolonialpolitik. Die P. als Wissenschaft hat sich aber außerdem mit der Feststellung des Begriffs der P., mit der Einwirkung der äußern Natur auf das politische Leben, insbes. mit der Größe, Gestaltung und Produktionskraft des Staatsgebietes, der Dichtigkeit der Kultur, dem Reichtum und dem Charakter seiner Bevölkerung, zu beschäftigen, wobei ihr die Statistik als wichtigste Hilfswissenschaft zur Seite steht. Ferner ist der Einfluß der Menschennatur auf die P. und im Zusammenhang damit das Wesen der politischen Parteien zu erörtern, und endlich bildet die Lehre vom Staatszweck überhaupt und von den Mitteln zur Erreichung desselben den Gegenstand der theoretischen P. Was die wissenschaftliche Behandlung der P. anlangt, so sind aus dem Altertum die philosophischen Werke des Aristoteles, namentlich die »P.« desselben, von größter Bedeutung, während sich die »P.« des Platon zu sehr in idealen Sphären bewegt. Von den Werken römischer Schriftsteller bieten die Schriften Ciceros und die des Tacitus manches Interessante. Eine neue Entwickelung der theoretischen P. beginnt erst gegen Ende des Mittelalters mit Machiavelli und dem Franzosen Bodin, denen sich der Holländer Hugo Grotius, der Begründer der modernen Völkerrechtstheorie, anschließt. Aus neuerer Zeit heben wir hervor: Benj. Constant, Cours de politique constitutionnelle (Par. 1817–20, 4 Bde.; hrsg. von Laboulaye, 2. Aufl. 1872, 2 Bde.); Dahlmann, Die P. auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt (nur Bd. 1 erschienen: Staatsverfassung, Volksbildung, Götting. 1835; 3. Aufl., Berl. 1847); R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und P. (2. Abteil., Tübing. 1862–69, 2 Bde.); Waitz, Grundzüge der P. (Kiel 1862); Fr. v. Holtzendorff, Prinzipien der P. (2. Aufl., Berl. 1879); Bluntschli, P. als Wissenschaft (Stuttg. 1876); Parien, Principes de la science politique (2. Aufl., Par. 1875); Ch. Benoist, La politique (das. 1894); Roscher, Politik (2. Aufl., Stuttg. 1892); Ratzenhofer, Wesen und Zweck der P. (Leipz. 1893, 3 Bde.); H. v. Treitschke, P. (2. Aufl., das. 1899–1900, 2 Bde.); Wernicke, System der nationalen Schutzpolitik nach außen (Jena 1896); Schollenberger., P. in systematischer Darstellung (Berl. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Politik — »auf die Durchsetzung bestimmter Ziele (besonders eines Staates) und die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parteien, Gruppierungen«, auch übertragen gebraucht im Sinne von »berechnendes, zielgerichtetes… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Politik — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Auch: • Vorgehensweise Bsp.: • Sie nimmt aktiv an der Politik teil. • Ich stimme seiner Politik zu. • Unsere Politik ist es, Diebe sofort zu verhaften …   Deutsch Wörterbuch

  • Politik — (v gr.), 1) als Wissenschaft ist der Inbegriff der Untersuchungen, welche sich auf den Staat, sowohl rücksichtlich der natürlichen Bedingungen u. Formen seiner Existenz, als rücksichtlich der Zwecke, welche dessen Regierung u. Verwaltung zu… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Politik — Politik, eine 1862 gegründete, täglich zweimal in deutscher Sprache in Prag erscheinende politische Zeitung, die jedoch die Interessen der alttschechischen Partei vertritt. Chefredakteure sind C. Thor und Vaclav Hectoma. Eine tschechische… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Politik — Politīk (grch.), Staatskunst, Weltklugheit; als Wissenschaft die Lehre von den Staatszwecken und den besten Mitteln zu deren Verwirklichung, zerfallend in innere (Handels , Finanz , Wirtschafts , Kirchen etc.) P. und in äußere (Staaten ) P.;… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Politik — Politik, aus dem Griech., die Lehre von dem Staate, wird in die innere und äußere eingetheilt. Die innere begreift die Lehre von der Verfassung und der Verwaltung; letztere zerfällt wieder in viele Zweige: Nationalökonomie, Finanz P.,… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Politik — Das Wort Politik bezeichnet die Angelegenheiten, die die Einrichtung und Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen betreffen. Es umfasst dabei alle Aufgaben, Fragen und Probleme, die den Aufbau, den Erhalt sowie die Veränderung und… …   Deutsch Wikipedia

  • Politik — Wenn man in der Politik Erfolg haben will, muß man ganz genau wissen, welche Dinge man im Gedächtnis behalten und welche man vergessen muß. «Hans Apel [* 1932]; dt. Politiker» Die Politik ist keine Wissenschaft, wie viele der Herren Professoren… …   Zitate - Herkunft und Themen

  • Politik — Po|li|tik [poli ti:k], die; : 1. alle Maßnahmen, die sich auf die Führung einer Gemeinschaft, eines Staates beziehen: die innere, äußere Politik eines Staates, einer Regierung; eine Politik der Entspannung treiben. Zus.: Außenpolitik,… …   Universal-Lexikon

  • Politik — Po·li·ti̲k, Po·li·tịk die; ; nur Sg; 1 der Teil des öffentlichen Lebens, der das Zusammenleben der Menschen in einem Staat und die Beziehungen der Staaten untereinander bestimmt <sich für Politik interessieren, sich mit Politik befassen; in… …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”