Lavalette, Gräfin von

Lavalette, Gräfin von

Lavalette, Gräfin von, Emilie Luise von Beauharnais, Gräfin von. Der Ruhm, den die Nachwelt dieser Frau mit Recht zugesteht, gründet sich auf einen seltenen Muth und eine fast beispiellose Gegenwart des Geistes, mit der sie ihren Gemahl dem Gefängnisse und einem gewissen Tode entriß. Ihr Vater war der Marquis Franz von Beauharnais, der seine Cousine, die Tochter einer Gräfin von Beauharnais, geheirathet hatte, und dessen Bruder sich mit Josephine Tascher de la Pagerie, nachmaliger Kaiserin, vermählte. Bei Zusammenberufung der Stände wurde ersterer zum Substituten in der Versammlung des Adels von Paris erwählt und trat nach dem 6. October 1789 in die Kammer; 1792 ging er zu den Prinzen nach Koblenz. Frau von Beauharnais theilte bald das Loos aller in Frankreich zurückgebliebenen Adeligen. Sie wurde verhaftet und brachte mehr als zwei Jahre im Gefängnisse zu, mußte aber während dieser Zeit Emilien (geb. 1780) der Sorge einer Gouvernante anvertrauen. Als die Tochter eines emigrirten Vaters wurde das arme Kind gezwungen, die patriotischen Prozessionen mitzumachen, die sich alle Monate bei den Festen der Republik erneuerten. Der neunte Thermidor begründete den Sturz der Tyrannei, und Frau von Beauharnais verließ das Gefängniß. Emilie kam zur Vollendung ihrer Erziehung in die Pensionsanstalt der Madame Campan zu St. Germain-en-Laye. 1796 vermählte sie ihr Oheim, der General Bonaparte, mit einem seiner Adjutanten, dem Herrn von Lavalette, der unter der Kaiserregierung Generaldirektor der Posten und späterhin zum Grafen, zum Staatssecretair und zum Großkreuz der Ehrenlegion erhoben wurde. Einige Tage nach ihrer Vermählung sah Emilie ihren Gemahl von sich scheiden, der dem Obergeneral nach Italien folgen mußte, sah ihn erst nach achtzehn Monaten wieder und begleitete ihn auf einer Sendung nach Sachsen und Preußen, wo sie sowohl durch ihre Schönheit als durch die Anmuth und Liebenswürdigkeit ihres ganzen Wesens allgemeinen Beifall errang. Als Napoleon die Kaiserkrone auf Josephinens Haupt setzte, wurde deren Nichte zur Ehrendame ernannt. Die Scheidung und die Vermählung des Kaisers mit Maria Luise gaben Frau von Lavalette ihre Freiheit wieder. Seit dieser Zeit erschien sie nicht mehr in den Tuilerien; sie lebte in stiller Zurückgezogenheit bis zur Verhaftung ihres Gemahles und dessen Verurtheilung zum Tode, wegen seiner Anhänglichkeit an Napoleon im J. 1815. Vergebens bemühete sie sich, Zutritt bei Ludwig XVIII. zu erhalten; ihre Bitte wurde mit kalter Strenge zurückgewiesen; gleich fruchtlos blieben die Bestrebungen ihrer Freunde, sie dem Könige in den Weg zu führen. An allen Thoren des Schlosses war strenger Befehl gegeben worden, die Gräfin von Lavalette nicht einzulassen. So nahte der Tag der Hinrichtung; kein anderes Mittel der Rettung blieb mehr übrig, als die Flucht. Am Tage vor derselben wußte sie bis zu ihrem Gemahle in das Gefängniß zu dringen. Sie hatte einen Mantel übergeworfen, der stark mit Pelz gefüttert war; unter diesem verbarg sie ein schwarzes seidenes Kleid. Mit fester Stimme verkündete sie ihrem Gemahle, daß Alles verloren sei und er nur von der Flucht Heil erwarten dürfe; sie versicherte ihm, daß alle Vorkehrungen zu derselben getroffen seien; zeigte ihm die mitgebrachten Kleider und sagte ihm ihre Anordnungen. Lavalette hörte den kühnen Plan mit scheinbarer Gleichgiltigkeit an; er war entschlossen zu sterben und weigerte sich, das Rettungsmittel zu ergreifen. Aber die Worte seiner edlen Gattin: »Wenn Du stirbst, so sterbe auch ich, rette Dein Leben und Du rettest das meinige!« überwogen endlich die Bedenklichkeiten des Gefangenen. Er wirft sich in die ungewohnte Verkleidung und verlaßt, gestützt auf den Arm seiner Tochter und gefolgt von einer alten Dienerin Emiliens, scheinbar ohnmächtig das Gefängniß und erreicht glücklich das Freie. Der Gefängnißwärter begab sich jedoch schon nach wenigen Minuten in das Gemach des Verurtheilten, und erstaunte nicht wenig, als er nicht diesen, sondern dessen Gemahlin fand, aber trotz der eiligen Nachsuchungen und Verfolgungen, die sogleich angestellt wurden, gelang der großmüthig entworfene Plan der edlen Frau mit Hilfe dreier Engländer, Hutchinson, Wilson und Bruce, welche Lavalette zum Weiterkommen behilflich waren. Indessen wurde Frau von Lavalette auf Befehl des General-Procurators in der strengsten Hast gehalten und mit einer Rohheit behandelt, welche bei ihrem schwächlichen Gesundheitszustande als die Hauptursache der schrecklichen Krankheit zu betrachten ist, an der sie zwölf Jahre litt. Man erlaubte selbst ihrer Kammerfrau nicht, zu ihr zu kommen; kein Brief wurde von ihr hinaus, keine Zeile zu ihr hinein gelassen. Unaufhörlich blieb sie von tausend Schrecken gefoltert, und besonders während der Nacht, wenn die Schildwachen abgelöst wurden, bildete sie sich ein, daß man ihren Gemahl zurück brachte. In 25 Nächten vermochte sie nicht einen Augenblick zu schlafen. Endlich nach sechs Wochen erhielt sie ihre Freiheit wieder, aber eine tiefe Melancholie und fortwährendes Schrecken brachten in ihrem Verstande eine Verwirrung hervor, welche groß genug war, um mit dem Namen Geisteszerrüttung belegt zu werden. Im Jahre 1822 nach einer 6jährigen Verbannung erhielt Lavalette von Ludwig XVIII. seine Begnadigung und kehrte in sein Vaterland zurück. Aber bei seiner Rückkehr nach Paris blieb unter allen Glückwünschen, mit denen er empfangen wurde, eine Stimme stumm, die seiner Gattin! sie blieb ohne Aufregung, ohne Freude und erkannte den nicht einmal, dem sie mehr als das Leben geopfert hatte. Lavalette verließ die Welt, an welche glänzende Erinnerungen und treue Freunde ihn fesselten, und sein ganzes ferneres Leben war nichts weiter, als die Erfüllung einer heiligen Pflicht. Er widmete sich der tiefsten Einsamkeit und gab seiner Frau durch die zarteste Sorgfalt, durch die innigste Aufmerksamkeit und Pflege fast eben so viel zurück, als er von ihr empfangen hatte. Am Ende des 2. Theiles seiner Memoiren und Erinnerungen sagt der Graf von Lavalette: »Endlich ward die Gesundheit meiner Frau wieder so weit hergestellt, daß ich sie zu mir nehmen konnte. Eine tiefe Melancholie gibt ihr zwar sehr häufig fixe Ideen, aber sie ist sanft, liebenswürdig und gut geblieben.« Noch hatte Frau von Lavalette das Unglück, ihren Gemahl, der 1830 starb, zu überleben. Ob der Engel des Todes auch ihrem schwer geprüften Sein ein Ende machte, ist ungewiß, denn mit den Memoiren ihres Gemahles schwinden auch alle Nachrichten von ihr.

E. v. E.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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