Veit Harlan

Veit Harlan
Veit Harlan während seines Prozesses im März 1949 in Hamburg

Veit Harlan (* 22. September 1899 in Berlin; † 13. April 1964 auf Capri) war ein deutscher Schauspieler und Regisseur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Veit Harlan wurde als Sohn des Schriftstellers Walter Harlan und dessen Frau Adele in Berlin als viertes Kind nach seinem Bruder Walter, seiner Schwester Esther (* 1895) und seinem Bruder Peter (* 1898) geboren. Nach ihm folgten noch sein Bruder Fritz Moritz (* 1901) und seine Schwestern Bertha Elise (* 1906) und Nele (* 1908). Nach einer Silberschmiedlehre und Schauspielunterricht am Seminar von Max Reinhardt stand Harlan zum ersten Mal öffentlich 1915 auf einer Theaterbühne.

1916 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde an der Westfront eingesetzt.

Anfänge als Schauspieler

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er 1919 Schauspiel-Volontär an der Berliner Volksbühne am damaligen Bülowplatz, zu deren festem Ensemble er von 1920 bis 1922 gehörte.

1922 verließ Harlan Berlin, um vorübergehend am Landestheater in Meiningen und während der Theaterferien als Mitglied der norddeutschen Holtorf-Gruppe, einer Wanderbühne, Erfahrungen in der Provinz zu sammeln. Im selben Jahr heiratete er die jüdische Sängerin Dora Gerson, von der er sich bereits nach zwei Jahren scheiden ließ (Dora Gerson wurde 1943 in Auschwitz ermordet). 1929 heiratete er in zweiter Ehe die Schauspielerin Hilde Körber, mit der er bis zur Scheidung neun Jahre später drei Kinder hatte: Thomas Christoph (1929–2010), Maria Christiane (* 1930) und Susanne Christa (1932–1989). 1933 bekannte sich Harlan in einem Interview mit dem Völkischen Beobachter nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu deren Politik.

NS-Filme

Mitte der dreißiger Jahre drehte Harlan mehrere nationalsozialistische bzw. antisemitische Filme. 1937 wurde Reichspropagandaminister Joseph Goebbels durch den im Stil der NS-Propaganda gedrehten Film Der Herrscher auf Harlan aufmerksam und machte ihn zu einem der führenden Regisseure. Für diesen Film erhielt er den „Nationalen Filmpreis“. Von Goebbels bekam Harlan auch den Auftrag für den antisemitischen Hetzfilm Jud Süß. Harlan war am Drehbuch beteiligt und führte Regie, seine Frau hatte ebenso wie Heinrich George eine Rolle darin, Werner Krauß war sogar in fünf Rollen zu sehen. Dieser Film, der in Deutschland und Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges zur Stärkung des Antisemitismus und damit zur weltanschaulichen Unterstützung der Deportationen der europäischen Juden gezeigt wurde, diente später als Hauptanklagepunkt gegen Harlan.

1939 heiratete er die Schauspielerin Kristina Söderbaum. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, Kristian (* 1939, genannt Tian) und Caspar (* 1946). Söderbaum übernahm in vielen Filmen Harlans die Hauptrolle und erhielt vom Publikum den Beinamen „Reichswasserleiche“, da sie oft die Rolle der tragischen Selbstmörderin spielte - unter anderem auch als Opfer von „Jud Süß“. 1943 erhielt Harlan zum 25-jährigen Jubiläum der Universum Film AG (Ufa) den Professorentitel. Sein Status zeigt sich auch daran, dass er von 1942 bis zum Ende des nationalsozialistischen Deutschen Reiches alle seine Filme (insgesamt vier) in Agfacolor drehen konnte. Noch Ende Januar 1945 brachte er den bei der Ufa mit Heinrich George und Kristina Söderbaum in den Hauptrollen gedrehten Agfacolor-Farbfilm Kolberg heraus, der mit Produktionskosten von ca. 8 Millionen Reichsmark der teuerste Film im „Dritten Reich“ wurde.

Nachkriegszeit

Veit Harlan unmittelbar nach seinem Freispruch am 23. April 1949

Nach Kriegsende wurde Harlan in einem auf eigenen Antrag vorgezogenen Entnazifizierungsverfahren als „Entlasteter“ eingestuft. Im März 1949 kam es auf Antrag der VVN zu einem Schwurgerichtsverfahren in Hamburg; dabei wurde Harlan nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 der „Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt. Harlan wurde freigesprochen, weil ihm eine persönlich zurechenbare Schuld nicht nachzuweisen und eine strafrechtlich relevante Kausalität zwischen Film und Völkermord nicht beweisbar sei. Harlan-Anhänger trugen den Freigesprochenen auf ihren Schultern aus dem Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft ging in Revision. Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone in Köln hob das Urteil auf, denn der Film Jud Süß sei „ein nicht unwesentliches Werkzeug“ gewesen.[1] In einem weiteren Prozess vor dem Landgericht Hamburg berief sich Harlan darauf, dass die Nationalsozialisten seine Kunst missbraucht, ihn zur Regie von Jud Süß gezwungen hätten und dass eine Weigerung ihn in eine bedrohliche Lage gebracht hätte. Das Gericht folgte dieser Argumentation und sprach Harlan am 29. April 1950 frei.

Der während der Nazi-Zeit in Deutschland tätige Drehbuchautor und Regisseur Géza von Cziffra behauptete in seiner 1975 erschienenen Autobiografie Kauf dir einen bunten Luftballon, dass ursprünglich der Produktionschef der Terra-Film Peter Paul Brauer für die Regie von Jud Süß vorgesehen gewesen sei. Doch habe Harlan unter anderem durch Interventionen im Propagandaministerium erfolgreich dafür gekämpft, den Film inszenieren zu können. Joseph Goebbels erwähnt Harlan mehrmals in seinen Tagebuchaufzeichnungen:

„Mit Harlan und Müller den Jud-Süßfilm besprochen. Harlan, der die Regie führen soll, hat da eine Menge neuer Ideen. Er überarbeitet das Drehbuch nochmal.“

[2]

„Besonders der Jud-Süßfilm ist nun von Harlan großartig umgearbeitet worden. Das wird der antisemitische Film werden.“

[3]

„Harlan Film 'Jud-Süß'. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.“

[4]

Im Jahr 1951 forderte der Hamburger Senatsdirektor Erich Lüth das deutsche Publikum auf, Harlans ersten Nachkriegsfilm Unsterbliche Geliebte zu boykottieren. Carlo Schmid erklärte vor dem Deutschen Bundestag, Harlan habe dazu beigetragen „die massenpsychologischen Voraussetzungen für die Vergasungen von Auschwitz zu schaffen“ und es sei eine Schande, die „Machwerke Harlans“ zu zeigen.[5] In zwei Gerichtsverfahren wurde Lüths Boykottaufruf als „sittenwidrig“ i. S. v. § 826 BGB eingestuft. Die Zivilgerichte erließen deshalb Unterlassungsverfügungen gegen Lüth. Gegen diese Gerichtsentscheide legte Lüth Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ein, das die Entscheidungen der Vorinstanzen in einer vielbeachteten und -zitierten Grundsatzentscheidung aufhob, dem später so genannten Lüth-Urteil. Auch die Zivilgerichte hätten bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie etwa „Sittenwidrigkeit“ die Grundrechte als prägende Wertordnung zu beachten. Im konkreten Fall hätten die Zivilrichter die Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) des Beschwerdeführers völlig verkannt. Während dieser Prozesse erklärte Harlan, dass „jede Art von Antisemitismus vom kulturellen, religiösen und moralischen Standpunkt abzulehnen“[6] sei.

1957 erschien unter Harlans Regie der Spielfilm Anders als du und ich, der unter der wissenschaftlichen Beratung von Hans Giese ursprünglich ein Plädoyer für die Abschaffung des damals immer noch gültigen § 175 sein sollte, jedoch in der endgültigen Fassung (durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft erzwungen) im Gegenteil vielfach als feindlich gegenüber Homosexuellen angesehen wird. Nach einigen weiteren Filmen starb Harlan 1964 während eines Urlaubs auf Capri an einer Lungenentzündung. Dort wurde er auch beigesetzt.[7]

Familie

Neben den Ehepartnern und Kindern von Harlan sind zu erwähnen seine Nichte Christiane Kubrick, die Witwe des Regisseurs Stanley Kubrick; sein Neffe Jan Harlan, der Produzent mehrerer Kubrick-Filme; sowie sein Bruder, der Musiker Peter Harlan. Siehe auch: Harlan (Familie).

Auszeichnungen

  • 1937: Staatsfilmpreis für Der Herrscher
  • 1942: Ehrenring des deutschen Films für Der große König
  • 1942: Coppa Mussolini für Der große König als bester ausländischer Film bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig
  • 1942: Preis des Präsidenten der internationalen Filmkammer für Die goldene Stadt wegen besonderer Qualitäten als Farbfilm
  • 1943: Ernennung zum Professor

Filme

Als Schauspieler:

  • 1926: Der Meister von Nürnberg
  • 1927: Die Hose
  • 1927: Das Mädchen mit den fünf Nullen
  • 1927: Eins + Eins = Drei
  • 1929: Somnambul
  • 1931: Hilfe! Überfall!
  • 1931: Yorck
  • 1932: Die elf Schill’schen Offiziere
  • 1933: Der Choral von Leuthen
  • 1933: Flüchtlinge
  • 1934: Gern hab' ich die Frau’n geküsst
  • 1935: Stradivari
  • 1935: Das Mädchen Johanna

Als Regisseur:

Literatur

  • Veit Harlan: Im Schatten meiner Filme. Selbstbiographie. Herausgegeben von H.C. Opfermann, Sigbert Mohn, Gütersloh 1966.
  • Géza von Cziffra: Kauf dir einen bunten Luftballon. Erinnerungen an Götter und Halbgötter. Herbig, München und Berlin 1975, ISBN 3-7766-0708-4
  • Frank Noack: Veit Harlan. „Des Teufels Regisseur“. Belville, München 2000, ISBN 3-923646-85-2
  • Dietrich Kuhlbrodt: „Jud Süß“ und der Fall Harlan/Lüth. Zur Entnazifizierung des NS-Films. In: Peter Reichel (Hrsg.): Das Gedächtnis der Stadt. Hamburg 1997, ISBN 3-930802-51-1, S. 101–112
  • Friedrich Knilli: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian. Mit einem Vorwort von Alphons Silbermann. Henschel, Berlin 2000, ISBN 3-89487-340-X.
  • Francesca Falk: Grenzverwischer. „Jud Süss“ und „Das Dritte Geschlecht“: Verschränkte Diskurse von Ausgrenzung (=Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 13). Studienverlag, Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4512-9
  • Jud Süss – Propagandafilm im NS-Staat (Ausstellungskatalog, Stuttgart, 14. Dezember 2007 bis 3. August 2008, Redaktion: Ernst Seidl), Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart 2007, ISBN 3-933726-24-7
  • Ingrid Buchloh: Veit Harlan – Goebbels’ Starregisseur Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010, ISBN 978-3-506-76911-4
  • Thomas Harlan: Veit. Mitarbeit: Jean-Pierre Stephan, Sieglinde Geisel. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-498-03012-4.

Dokumentation

  • Harlan – Im Schatten von Jud Süss (2008)[8]

Einzelnachweise

  1. Zu den Verfahren: Peter Reichel / Harald Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein. München 2005, ISBN 3-937904-27-1, Zitat S. 34.
  2. Die Tagebücher des Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Teil I, Hrsg. von Elke Fröhlich, München 1987, Bd. 3, S. 657 (5. Dez. 1939)
  3. Die Tagebücher…, Bd. 3, S. 666 (15. Dez. 1939)
  4. Die Tagebücher…, Bd. 4, S.286 (18. Sept. 1940)
  5. Peter Reichel, Harald Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein. München 2005, ISBN 3-937904-27-1, Zitat S. 35.
  6. Die Zeit, Nr. 12/1952, S. 3; sowie Essener Tageblatt (7. Februar 1952)
  7. knerger.de: Das Grab von Veit Harlan
  8. Filmeintrag von Harlan – Im Schatten von Jud Süss auf imdb.de

Weblinks


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