Gallien

Gallien
Historische Karte Galliens unter Römischer Herrschaft aus Droysens Historischem Handatlas, 1886

Als Gallia (Gallien) bezeichneten die Römer den Raum, der überwiegend von Kelten (lat. Galli) besiedelt war. Caesar nennt daneben Belger und Aquitanier (Belgae und Aquitani), wobei er Ligurer und Iberer nicht nennt, weil sie im bereits römischen Teil Galliens lebten.

Inhaltsverzeichnis

Geographische Lage

Reste aus dem römischen Gallien in Arles
Gallien zur Zeit Caesars (58 v. Chr.) unterteilt in Gallia Belgica, Gallia Celtica, Aquitania, Gallia Narbonensis (römische Provinz) und Gallia cisalpina

In modernen geographischen Begriffen gesprochen, entspricht dies im Wesentlichen dem heutigen Frankreich, Belgien, Teilen Westdeutschlands (Trier lag in Gallien) sowie Norditalien, also dem Gebiet zwischen dem Rhein im Osten, den Alpen und dem Mittelmeer im Süden, den Pyrenäen und dem Atlantik im Westen und Norden. Die Poebene gehörte nach antiker Auffassung bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. nicht zu Italien, sondern zu Gallien (lat. Gallia Cisalpina, Gallien diesseits der Alpen). Zur Unterscheidung bezeichnete man das Gebiet jenseits der Alpen, das man heute Gallien nennen würde, als Gallia Transalpina.

Geschichte

Kelten

Vor der keltischen Besiedlung sind mehrere Kulturen archäologisch belegt. Seit etwa 700 v. Chr. bis 600 v. Chr. wurde Gallien von keltischen Volksgruppen besiedelt, die das Gallische, eine keltische Sprache, in diesem Gebiet einführten. Die nichtkeltischen Stämme der Iberer nördlich der Pyrenäen und der Ligurer am Mittelmeer blieben dabei vorerst eigenständig.

Etwa im Jahre 600 v. Chr. gründeten ionische Griechen an der Mündung der Rhône die Stadt Massilia (heute Marseille). Massilia entwickelte sich zu einer bestimmenden Stadt in der Region.

Das Gebiet in der Poebene, das von den keltischen Stämmen der Cenomanen, Insubrer und Boier besiedelt wurde, kam etwa 200 v. Chr. unter römische Herrschaft. Das Gebiet wurde zur römischen Provinz Gallia cisalpina.

Römische Eroberung

Ab 125 v. Chr. begann Rom mit der Eroberung der Mittelmeerküste sowie des Rhônetals. 122 v. Chr. gründeten die Römer die Stadt Aquae Sextiae (Aix-en-Provence). 121 v. Chr. richteten die Römer die Provinz Gallia Narbonensis (etwa die heutige Provence) mit dem wenig später (118 v. Chr.) gegründeten Verwaltungszentrum Narbo ein.

113 v. Chr. begann der Einfall der germanischen Kimbern und Teutonen in das heutige Südfrankreich und Oberitalien. Im Jahr 105 v. Chr. konnten diese Stämme zwei römische Heere an der Rhône bei Arausio schlagen, was in Rom zu Panik führte. Erst im Jahr 102 v. Chr. besiegte der römische Feldherr Gaius Marius die Teutonen bei Aquae Sextiae. 101 v. Chr. siegte Marius in Oberitalien nahe dem Ort Vercellae (Vercelli) dann auch über die Kimbern.

In den Jahren 58–51 v. Chr. wurde Gallien bis zum Rhein vom römischen Feldherrn Gaius Iulius Caesar erobert. Auch der letzte große gallische Aufstand unter Vercingetorix im Jahre 52 v. Chr. wurde in der Schlacht um Alesia schließlich niedergeschlagen. Caesar berichtet über diesen Konflikt, der ein aus innenpolitischen Gründen geführter Angriffskrieg war, in seinem Werk De bello gallico - Der Gallische Krieg. An seinem Ende hatten nach modernen Schätzungen (W. Will) mehrere Millionen Gallier den Tod gefunden. Es war Caesar, der den Rhein als die Nordgrenze Galliens definierte - dies war eigentlich eine willkürliche Entscheidung, da nicht nur viele Kelten auch rechts des Rheins im heutigen Süddeutschland lebten, sondern weil umgekehrt auch einige Germanenstämme links des Rheins siedelten. Dennoch setzte sich Caesars willkürliche Grenzziehung langfristig durch; der Rhein galt fortan als Grenze zwischen Gallien und Germanien.

Kaiserzeit und Romanisierung

Die gallischen Provinzen Narbonensis, Aquitania, Lugdunensis und Belgica zur Zeit von Kaiser Trajan (117 n. Chr.)

Im Zuge der folgenden Befriedung des ausgebluteten Gebietes wurde eine römische Zivilverwaltung eingesetzt. Als Amtssprache wurde das Lateinische verwendet. Dieses entwickelte sich, parallel zu den anderen nicht-italischen Provinzen unter Einfluss der einheimischen Sprache (hier also des Gallischen) später zum Vulgärlatein, das die hauptsächliche Sprachgrundlage des späteren Französischen bildet. Es entstand eine gallo-römische Mischkultur. Insbesondere in Nîmes und Arles finden sich noch heute bedeutende römische Bauten der Periode.

Den nördlich des Po in Italien lebenden keltischen Stämmen wurde unter Caesar bald nach 50 v. Chr. das römische Bürgerrecht gewährt; die alte Provinz Gallia Cisalpina wurde damit ein Teil Italiens (und ist es bis heute). Im transalpinen Gallien - dem "eigentlichen" Gallien - hingegen wurde das Bürgerrecht an die lokalen Eliten vergeben, um als Anreiz zur Kooperation mit Rom zu dienen. Das Gebiet scheint sich in der Folge rasch ökonomisch erholt zu haben.

Unter Kaiser Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) wurde Gallien administrativ in das Imperium Romanum eingegliedert. Die neu entstandende Provinz Narbonensis hatte aufgrund ihrer Lage und Historie bereits früher enge Verbindungen zum römischen Mutterland. Aus der Gallia comata entstanden drei Provinzen, Gallia Aquitania, Gallia Lugdunensis und Gallia Belgica, die häufig auch als die Tres Galliae bezeichnet wurden. Lugdunum (Lyon) wurde Ort eines zentralen Kaiserkulttempels für die drei gallischen Provinzen (ohne die Belgica). Besonders in Südgallien hatte die Romanisierung dann bereits unter Kaiser Claudius einen Grad erreicht, der es ermöglichte, römische Gallier in den Senat aufzunehmen. Unter Domitian entstanden aus den beiden Militärbezirken am Rhein um 85 n. Chr. die beiden Provinzen Germania superior und Germania inferior. Im 2. Jahrhundert scheinen die gallischen Provinzen dann einen ersten Höhepunkt ihrer ökonomischen und kulturellen Entwicklung erlebt zu haben. 212 verlieh Kaiser Caracalla schließlich allen freien Reichsbewohnern - auch den Galliern - das römische Bürgerrecht (Constitutio Antoniniana).

Spätantike

Die erste Blüte des römischen Galliens endete während der Zeit der Reichskrise des 3. Jahrhunderts, als das Gebiet von äußeren Feinden und inneren Unruhen (Bagauden) heimgesucht wurde und ab 260 einige Jahre faktisch unabhängig von Rom war, bevor Kaiser Aurelian es wieder unterwarf.

In der Spätantike stabilisierte sich seit Diokletian die Lage wieder: Um 300 wurden zahlreiche Festungsanlagen modernisiert; in Lutetia (Paris), Augusta Treverorum (Trier) und Vienne residierten zeitweilig römische Kaiser. Seit der Reichsreform unter Diokletian war das römische Reich in vier Präfekturen (Gallia, Illyricum, Italia et Africa, Oriens) und 15 Diözesen eingeteilt. Die Präfektur Gallia bestand aus den Diözesen Hispaniae (XV), Septem Provinciarum (ehemals Viennensis) (XIV), Galliae (XIII) und Britanniae (XII), wobei letztere bereits um 400 von den Römern geräumt wurde. Das Christentum hatte in Gallien bereits im 2. Jahrhundert Fuß gefasst und erlebte nach 312 eine rasche Verbreitung, wenngleich sich die alten Kulte noch mindestens bis ins 5. Jahrhundert hielten. Gerade im 4. Jahrhundert, als sich mehrere Kaiser längere Zeit in Gallien aufhielten - so konnte etwa Julian um 357 noch einmal die Rheingrenze sichern -, erlebte die antike Kultur in der Region eine späte Blüte, wie etwa das Werk des Ausonius illustriert.

Die Völkerwanderung, die gegen Ende des 4. Jahrhunderts einsetzte, beendete für Gallien um 400 eine lange Zeit des erneuten Wohlstandes und relativen Friedens als Teil des römischen Reiches. Im Verlauf der Völkerwanderung drangen mit ab dem Rheinübergang von 406 germanische Stämme (Vandalen, Alamannen, Westgoten, Burgunden, Franken) nach Gallien ein. Im 5. Jahrhundert etablierten die Franken, Burgunden und Westgoten ihre Herrschaft in Gallien, zuerst als Föderaten, dann als souveräne Reiche. Der letzte Kaiser, der seine Ansprüche in Gallien kurzzeitig durchzusetzen vermochte, war um 470 Anthemius. Noch vor dem Ende des weströmischen Kaisertums 476 zerbrach die römische Herrschaft in Gallien. In Nordgallien operierte um 470 der römische Befehlshaber Paulus, der im Kampf gegen sächsische Plünderer unter Adovacrius fiel. Bis 486/87 hielt sich in Nordgallien noch Syagrius, der Sohn des Heermeisters (magister militum) Aegidius, der nach seinem Zerwürfnis mit der weströmischen Regierung hier einen eigenständigen Herrschaftsbereich errichtet hatte. Syagrius wurde Gregor von Tours zufolge als „König der Römer“ (rex Romanorum) bezeichnet; ob dies zutrifft, ist unklar. 486/87 wurde sein Herrschaftsbereich von Chlodwig I. gewaltsam in das Frankenreich inkorporiert. Chlodwig besiegte 507 auch die Westgoten, womit ganz Gallien bis auf die Mittelmeerküste fränkisch war. Chlodwigs Söhne und Enkel konnten bis 540 dann auch diese Gebiete erobern.

Während einer längeren Übergangszeit wurde die antik-römische Kultur noch vom gallo-römischen Adel gepflegt und insbesondere von der römisch-katholischen Kirche tradiert. Bekannte Persönlichkeiten dieser Transformationsepoche waren unter anderem Sidonius Apollinaris, Avitus von Vienne, Venantius Fortunatus und Gregor von Tours. Auch das westgotische und fränkische Königtum knüpfte nach dem Untergang des weströmischen Reiches an die spätantike Tradition an. Die Gallo-römische Kultur verlor jedoch infolge des Umbruchsprozesses (vor allem im 5. Jahrhundert) viel von ihrem antiken Charakter, und spätestens im späteren 6. Jahrhundert begann in der Region das Frühmittelalter.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Paul-Marie Duval: Gallien. Leben und Kultur in römischer Zeit. Stuttgart 1979 (Übersetzung C.H. Steckner)

Belege

  1. Vgl. Ian N. Wood, The Merovingian Kingdoms, Harlow 1994, S. 5–32.
46.52.9

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