Hochschulreform

Hochschulreform

Die Hochschulreform bezeichnet eine größere Umgestaltung bestehender Strukturen und Inhalte innerhalb des Hochschulsystems. Dabei verteilen sich deren mehrstufige Teilprozesse schwerpunktmäßig auf eine Vielzahl von Akteuren. Die konzeptionelle Planung und Erprobung wird von zahlreichen Institutionen, Sachverständigen und Interessenvertretern angeregt und unterstützt; Koordinierung und Planung zwischen Bund und Ländern obliegen in erster Linie den hochschulpolitischen Akteuren und die konkrete Ausführung und Implementierung erfolgt vor allem auf Ebene der Kultusministerien der Länder.

Eine Hochschulreform ist meist eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Anforderungen an Wissenschaft, Hochschule und Lehre. Dazu gehören etwa demographische Entwicklungen, sozioökonomischer Strukturwandel in den Beschäftigungssektoren, technologischer Fortschritt und internationale Wettbewerbsentwicklung. Auch Reformen auf anderen Ebenen des Bildungssystems (wie etwa eine Schulreform) können eine Hochschulreform veranlassen.

Einen langwierigen und umfangreichen Vorlauf zu den Reformen bilden dabei Berichte, Studien, Empfehlungen von Expertengremien sowie Verfahren der (größtmöglichen) Konsensbildung. Als formale und legislatorische Grundlagen werden das Hochschulrahmengesetz bzw. die Hochschulgesetze der Länder erarbeitet und gegebenenfalls nachträglich abgeändert bzw. ergänzt. Diese sogenannten Novellierungen sind auch Indiz für die Einflussnahme diverser Entscheidungsinstanzen, Interessenvertretungen und Teile der Öffentlichkeit auf den Verlauf der Reformen, insbesondere bei medienrelevanten Themen.

Inhaltsverzeichnis

Bereiche

Die Ziele und Inhalte von Hochschulreformen können einen oder mehrere der folgenden Bereiche betreffen (die Angaben in Klammern sind nur Beispiele und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Zugang zu bzw. Qualität und Struktur von Studium, Lehre und Forschung (Auswahlrecht, Studienstrukturreform und Bologna-Prozess, Einführung des Teilzeitstudiums, virtuelle Lehre,...);
  • Mitwirkung und Autonomie sowohl innerhalb der Institutionen als auch zwischen Hochschulen und politischen Instanzen (Reform der Organisations- und Steuerungsmodelle, ...);
  • Hochschulfinanzierung; Studienfinanzierung; Studiengebühren
  • Umbildungen in der Struktur des akademischen und administrativen Personals (Einführung der Juniorprofessur, leistungsbezogene Vergütungselemente bei der Professorenbesoldung,...);
  • Gleichstellungsarbeit (Förderung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen, Besetzung der Berufungskommissionen, familiengerechte Hochschule, Girls Days,...);
  • Adaption administrativer und (informations- bzw. kommunikations)technischer Infrastrukturen zur optimalen Implementierung der Reformmaßnahmen

In Folge dessen fasst der Begriff Hochschulreform meist verschiedene, in teilweise voneinander unabhängigen Bereichen greifende Maßnahmen zusammen.

Mit zunehmender Internationalisierung des Hochschulwesens (nicht erst seit Beginn des Bologna-Prozesses 1999) werden nationale Hochschulreformen in steigendem Maße international ausgerichtet und übernational koordiniert. Ein Stichwort ist dabei die angestrebte und vielfach angezweifelte Homogenisierung des europäischen Hochschulraumes.

Geschichtlicher Abriss der Hochschulreformen in BRD und DDR seit 1945

Anfangszeit der Republiken und 1950er Jahre: Gegensätzliche Entwicklungen

  • In den ersten Jahrzehnten nach 1949 war die Bundesrepublik eher durch die Rückbesinnung auf Bildungstraditionen der Weimarer Republik, weniger durch einschneidende Reformen im (Hochschul)bildungswesen geprägt.
  • Währenddessen erfolgte in der DDR die Umorientierung im Sinne eines ideologischen und politischen Gleichklangs mit der Sowjetunion. Beschlüsse der SED u.a. zum Hochschulwesen vom Januar 1951 wurden zum Ausgangspunkt der Einführung stalinistischer Strukturen. Der sukzessiven Umgestaltung der Hochschulen nach dem Vorbild der sowjetischen Pädagogik widersetzten sich zahlreiche Studenten und Wissenschaftler, u.a. durch Abwanderung und Flucht in den Westen.

Ähnliche Reformprozesse im Sinne der Modernisierung

  • Seit Anfang der 1960er Jahre beobachtete man in beiden Ländern eine aktive Reformperiode mit dem Ziel der Modernisierung: hier wie dort galt der Ausbau und die Verbesserung des Bildungswesens als Garant für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

Reformhochphase und deutsch-deutsche Spezifika

  • Die Phase zwischen 1965 und 1973 gilt allgemein bildungspolitisch wie auch bezüglich des Hochschulwesens als eine der wichtigsten Reformperioden.
  • Ausschlaggebend für ihre Ausprägung in der Bundesrepublik waren nicht zuletzt die Forderungen der Öffentlichkeit und die Kritik durch die Studentenbewegung. Eine neue Priorisierung der Bildung in Einklang mit den demographischen Entwicklungen, hohe staatliche Ausgaben im (Bildungs- und) Hochschulwesen und die Neugründung von Universitäten sind einige der charakteristischen Faktoren.
In den 1960er Jahren wird der mangelhafte Zustand des Bildungssystems von Kritikern wie Georg Picht diskutiert.
Im Zuge der weltweiten Studentenbewegung (68er) erkämpfen Studenten in Deutschland, Frankreich (Mai-Unruhen) und den USA (Free Speech Movement) eine Öffnung und Demokratisierung der Hochschulen.
Die Hochschulreform in Deutschland von 1977 strebte eine umfassende Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen an, was Bildungschancen angeht (humanistisches Bildungsideal).
Aber auch neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung sollten stärker integriert werden (z.B. Neue Mathematik). Das Studium soll, auch nach UN-Vereinbarungen, gebührenfrei sein.
Bildung wird als hohes Gut für die Gesellschaft gesehen, nicht nur in Hinblick auf wirtschaftlichen Erfolg.
  • In der DDR dagegen war der Reformprozess zentral gesteuert und kontrolliert. Der steigenden Studentenzahl in der BRD steht hier die Drosselung des Hochschulzugangs zu Gunsten der Facharbeiterausbildung gegenüber. Hier bewirkten insbesondere der Beschluss (vom 3. April 1969) über die Weiterführung der dritten Hochschulreform und die Entwicklung des Hochschulwesens bis 1975 die Reorganisation der inneren Strukturen der Hochschulen (Sektionen) und des Studiums.

Die 1980er Jahre: Parallele Reformbestrebungen durch internationalen Wettbewerb

  • Die 1980er Jahre waren in DDR und BRD geprägt von einer verstärkten Ausrichtung nach dem Leistungsprinzip in Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung, bedingt durch die internationale Konkurrenzsituation. Dies schlug sich u.a. in verstärkten Maßnahmen insbesondere zur Begabtenförderung nieder.

Die Wende und die 1990er Jahre

  • 1990 erfolgten die Konstituierung einer gemeinsamen Bildungskommission und Maßnahmen zur Neuordnung des Bildungswesens in den fünf neuen Ländern sowie die Anpassung an westdeutsche Strukturen im Schul- und Hochschulbereich.

21. Jahrhundert

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wieder weltweite Hochschulreformen an. Anlass ist eine mangelhafte Finanzierung der Hochschulen.

Im Mittelpunkt stehen im Zeitalter von Globalisierung und Standort-Konkurrenz Diskussionen um das Modell der Eliteuniversität, die wirtschaftliche Ausgestaltung des Studiums (Studiengebühren), aber auch die Rücknahme von politischem Einfluss der Studenten innerhalb der Hochschule zugunsten externer Gremien, und die Umwandlung von Bildung in eine Dienstleistung. Betont wird nun, dass sich die Hochschulen einen Wettbewerb liefern und am Markt bestehen müssen. Zudem sehen sich staatliche Hochschulen aufgrund des steigenden Wettbewerbs mit privaten Hochschulen starker Konkurrenz ausgesetzt.

Hintergründe, ausschlaggebende Faktoren und Schlagworte zu Hochschulreformen

Die Anpassung an neue Bedingungen und die Herausforderungen der Zeit erfordern neue Konzepte, so dass mit den durchgeführten Restrukturierungen häufig ein Wandel und ein Bruch mit hochschulpolitischen Traditionen assoziiert werden. Im öffentlichen Diskurs werden dabei hochschulpolitische Konsensfindung und Entscheidungsprozesse in starkem Maße von kontroversen und selten wertneutralen Schlagworten begleitet. Über die realen Kontextbedingungen hinaus geht es häufig um konträre Interessenlagen der verschiedenen Akteure und die Vereinbarkeit von Kontinuität und Innovation in der Entwicklung des deutschen (und damit verbunden auch des europäischen) Hochschulwesens. Im Übrigen wurde die Mehrzahl der heute aktuell erscheinenden Faktoren und Schlagworte im Lauf der Jahrzehnte bereits angeführt und kontrovers diskutiert; ihre spezifischen Inhalte und Charakteristika, ihre jeweiligen Befürworter oder Gegner jedoch bedeuten jeweils neue Ausgangspunkte, Konsequenzen und Perspektiven. Daher wurde der Versuch unternommen, die Liste nicht rein chronologisch, sondern nach Popularität und absteigender Verwendungshäufigkeit innerhalb des Gesamtzeitraums zu erstellen.

  • Demographischer Wandel und Chancenungleichheit
  • Die Krise der deutschen Universität
  • Modernisierung und Erhöhung von Effizienz in Wissenschaft, Forschung und Lehre
  • Internationale Mobilität und Sichtbarkeit; Internationalisierungsstrategien
  • Mangel an Absolventen gemäß Arbeitsmarktnachfrage; Fachkräftemangel
  • akademische Mobilität und Flexibilität, Brain Drain
  • Universität als Unternehmen und Dienstleistungsanbieter, managementorientierte Steuerungskonzepte
  • Profilbildung, Differenzierung, Konvergenz (Bildungsbericht 2006)
  • Erhöhung der Studierbarkeit und der sogenannten „Employability

Die zugrunde liegenden Texte (Gesetze etc.)

Hochschulrahmengesetz (HRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999 (BGBl. I S. 18), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. April 2007 (BGBl. I S. 506) : „§8 : Studienreform : Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln.“

An Hochschulreformen beteiligte Institutionen und Akteure

Weiterer Kontext

Wilhelm von Humboldt steht für einen gewandelten Bildungsbegriff der Aufklärung.

Die Reformpädagogik strebt eine Reformierung älterer pädagogischer Grundsätze an.

Siehe auch

Literatur

  • Oskar Anweiler, Hans-Jürgen Fuchs, Martina Dorner, Eberhard Petermann (Hrsg.): Bildungspolitik in Deutschland 1945–1990. Ein historisch-vergleichender Quellenband. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1992.
  • Ausverkauf der Philosophie. Die Folgen der Hochschulreform. Nr. 44 der Zeitschrift Widerspruch. Widerspruch, München 2006.
  • Christine Burtscheidt: Humboldts falsche Erben. Eine Bilanz der deutschen Hochschulreform. Campus, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-593-39272-1.
  • Frauke Gützkow, Gunter Quaißer (Hrsg.): Jahrbuch Hochschule gestalten 2007/2008: Denkanstöße in einer föderalisierten Hochschullandschaft. Bielefeld 2008, ISBN 978-3-937026-58-9.
  • Richard Münch: Akademischer Kapitalismus, Über die politische Ökonomie der Hochschulreform. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-518-12633-2.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hochschulreform — Hoch|schul|re|form, die: Reform der Organisation u. Verwaltung der Hochschule, der Studiengänge u. Ä. * * * Hoch|schul|re|form, die: Reform der Organisation u. Verwaltung der Hochschule, der Studiengänge u. Ä …   Universal-Lexikon

  • Hochschulreform — Hoch|schul|re|form …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Gerald Bast — (* 24. November 1955 in Freistadt) ist ein österreichischer Hochschuljurist und seit 2000 Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien.[1] Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Leistungen …   Deutsch Wikipedia

  • Eduard Mühle — (* 21. Juli 1957 in Bad Rothenfelde/Landkreis Osnabrück) ist ein deutscher Historiker. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Wissenschaftliches Wirken 3 Buchveröffentlichungen (Auswahl) …   Deutsch Wikipedia

  • Bereich für Ur- und Frühgeschichte der Universität Jena — Blick auf einen Teil der Studiensammlung im Seminarraum des Bereichs Keltische Schnabelkanne aus der Borscher Aue. Die Ur und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Jena …   Deutsch Wikipedia

  • Germanisches Museum der Universität Jena — Blick auf einen Teil der Studiensammlung im Seminarraum des Bereichs Keltische Schnabelkanne aus der Borscher Aue. Die Ur und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Jena …   Deutsch Wikipedia

  • Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Jena — Blick auf einen Teil der Studiensammlung im Seminarraum des Bereichs Keltische Schnabelkanne aus der Borscher Aue. Die Ur und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Jena …   Deutsch Wikipedia

  • Institut für prähistorische Archäologie der Universität Jena — Blick auf einen Teil der Studiensammlung im Seminarraum des Bereichs Keltische Schnabelkanne aus der Borscher Aue. Die Ur und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Jena …   Deutsch Wikipedia

  • Peer Pasternack — (* 1963 in Köthen) ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle Wittenberg. Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Arbeit 2 Buchpublikationen 2.1 Monografien …   Deutsch Wikipedia

  • Prähistorische Sammlung der Universität Jena — Blick auf einen Teil der Studiensammlung im Seminarraum des Bereichs Keltische Schnabelkanne aus der Borscher Aue. Die Ur und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Jena …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”