Kurt Gerron

Kurt Gerron
Das Komikerduo Siegfried Arno und Kurt Gerron 1931 bei einer Kochkunstausstellung
Walk of Fame des Kabaretts in Mainz

Kurt Gerron (eigentl. Kurt Gerson) (* 11. Mai 1897 in Berlin; † 28. Oktober[1] 1944 in Auschwitz) war ein deutsch-jüdischer Schauspieler, Sänger und Regisseur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend / Teilnahme am Ersten Weltkrieg

Gerron wurde in eine wohlhabende Berliner Kaufmannsfamilie geboren und war ein Einzelkind. Nachdem er mit 17 Jahren erfolgreich das Abitur abgelegt hatte, wollte er Medizin studieren, musste jedoch stattdessen zunächst als Frontsoldat in den Ersten Weltkrieg ziehen. Durch eine schwere Verletzung wurde er kampfuntauglich und konnte nun sein Studium beginnen, das aber verkürzt wurde, damit man ihn wiederum in den Krieg schicken konnte, diesmal als Lazarettarzt.

Die Anfänge: Theater, Stummfilm, Kabarett

Nachdem er während seiner Militärzeit im Ersten Weltkrieg mehrfach verwundet worden war und später seine Arbeit als Arzt aufgegeben hatte, wandte er sich 1920 der Schauspielerei zu. Von 1920 bis 1925 war er unter anderem an den Berliner Reinhardt-Bühnen engagiert. Daneben trat er in Revuen und Kabaretts auf. Seit den frühen 20er-Jahren war er auch in Nebenrollen im Stummfilm zu sehen. Durch seine Kriegsverletzung, die eine Drüsenfunktionsstörung nach sich zog, litt er an zunehmendem Übergewicht; seine dadurch massige, derb bis grotesk wirkende körperliche Erscheinung trug maßgeblich dazu bei, dass er zu seinem Leidwesen praktisch nur für undurchsichtige oder fragwürdige Charaktere besetzt wurde.

Ab 1926 führte Gerron zusätzlich Regie und setzte sich ab 1931 auch im Tonfilm durch. Berühmtheit erlangte er durch seine Darstellungen und Gesangsvorträge in der 1928 sensationell erfolgreich uraufgeführten Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill. Er spielte darin den Moritatensänger, als welcher er „Die Moritat von Mackie Messer” vortrug, sowie die Rolle des Londoner Polizeichefs Tiger Brown. Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, wurde Gerron gezwungen, seine Regiearbeit an dem UFA-Film Kind, ich freu' mich auf Dein Kommen (1933) aufzugeben.

Große Erfolge: Der Tonfilm

Gerrons wohl größte Rolle war die des Zauberkünstlers Kiepert in Josef von Sternbergs Der blaue Engel (1930), außerdem wirkte er auch in der Filmoperette Die Drei von der Tankstelle (1930), die für den noch unbekannten Heinz Rühmann der Durchbruch im Filmgeschäft bedeutete. Gute Kritiken erhielt Gerron auch als Regisseur beliebter Filme wie Es wird schon wieder besser mit Heinz Rühmann oder Der weiße Dämon mit Hans Albers.

Flucht und Exil

Mit seiner Frau Olga und seinen Eltern floh Gerron 1933 nach der nationalsozialistischen Machtergreifung nach Paris, von da über Österreich und Italien nach Amsterdam. Nach der Besetzung der Niederlande spielte Gerron noch eine Weile an der Hollandse Schouwburg, die nun „Joodsche Schouwburg“ hieß, bis das gesamte Ensemble in das KZ Theresienstadt deportiert wurde.

1943 wurde Gerron und seine Familie in das niederländische Durchgangslager Westerbork deportiert, Ende Februar 1944 dann ebenfalls nach Theresienstadt.

Gerrons Freund Peter Lorre und Marlene Dietrich hatten noch versucht, ihn rechtzeitig nach Hollywood zu holen. Doch Gerron lehnte ab, wohl, weil ihm die deutsche Sprache zum Arbeiten notwendiges Handwerkzeug war. Möglicherweise hoffte er auch auf einen Umschwung in Deutschland, wie viele der Juden, die nicht weiter als in die benachbarten Niederlande emigrierten.

Das Ende: Theresienstadt

In Theresienstadt erkannte ein SS-Mann Gerron, der in einem Nazi-Propagandastreifen durch Ausschnitte aus seinen Filmrollen als Prototyp des „minderwertigen Juden“ vorgeführt worden war, und schlug den ihm arglos Entgegentretenden brutal zusammen. Später agierte Gerron auf der Bühne des von ihm gegründeten Ghetto-Kabaretts „Karussell“.[2]

Im August 1944 wurde Gerron von der SS gezwungen, den vorgeblich dokumentarischen Film „Theresienstadt“ zu inszenieren. Dieser Film wurde später unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt.

Einige Überlebende kreideten Gerron seine Mitwirkung an diesem Propagandafilm an, andere, vor allem solche, die er durch Besetzung für den Film vor der Deportation nach Auschwitz zu retten suchte, zeigten Verständnis für seine Pseudo-Kollaboration. Gerron selbst scheint geglaubt zu haben, dass ihn einzig seine Theater- und Filmkompetenz und seine bereitwillige Mitwirkung an diesem Film davor bewahren könnte, von den Nazis ermordet zu werden. Nach Abschluss der Filmarbeiten wurde Kurt Gerron, mit anderen an diesem Film Beteiligten, im Oktober 1944 mit der Anweisung „Rückkehr unerwünscht“ nach Auschwitz transportiert, wo er in einer Gaskammer ermordet wurde.

Filmografie

Als Darsteller

Stummfilme

Tonfilme

Als Regisseur

  • Der Liebe Lust und Leid (Uraufführung: Oktober 1926)
  • Der Stumme von Portici (Uraufführung: 13. Mai 1931)
  • Meine Frau, die Hochstaplerin (Uraufführung: 18. September 1931)
  • Es wird schon wieder besser (Uraufführung: 6. Februar 1932)
  • Ein toller Einfall (Uraufführung: 14. Mai 1932)
  • Der weiße Dämon (Uraufführung: 19. November 1932)
  • Heut' kommt's drauf an (Uraufführung: 17. März 1933)
  • Kind, ich freu' mich auf dein kommen (beendet durch Erich von Neusser; Uraufführung: 26. Juni 1933)
  • Une femme au volant (Frankreich 1933)
  • Incognito (Frankreich 1933)
  • Bretter, die die Welt bedeuten (Österreich; Uraufführung: 1. Februar 1935)
  • Het mysterie van de Mondscheinsonate (Niederlande; Uraufführung: 7. November 1935)
  • Merijntje Gijzen's jeugd (Niederlande; Uraufführung: 17. September 1936)
  • Eeen dag bij de A.V.R.O. (Dokumentarfilm; Niederlande 1936)
  • Drie wenschen (Niederlande; Uraufführung: 9. Dezember 1937)
  • Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet

Siehe auch

Dokumentarfilm

  • Kurt Gerron – Gefangen im Paradies“ / „Prisoner of paradise“ von Malcolm Clarke und Stuart Sender, USA, 2002. Äußerst negative Bewertung: Online verfügbar (PDF)
  • Kurt Gerrons Karussell“ von Ilona Ziok D. 1999 mit Ute Lemper, Bente Kahan, Ben Becker, Max Raabe, Manuel Göttsching u.a. Filmportal.

Fortwirken

Viktor Rotthaler bezeichnet Gerron (neben Fritz Grünbaum) als einen jüdischen Künstler, dem Dani Levy in Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler ein Denkmal gesetzt hat: Er bekommt in Levys Phantasie noch eine kleine Gnadenfrist. Den Trainingsanzug, den Gerron in Theresienstadt getragen hat, trägt nun Hitler höchstpersönlich. Es wird Gerron sein, der Grünbaum ... bestätigen wird, dass das Lager Sachsenhausen, wie von Grünbaum gewünscht, aufgelöst wurde. Mit vorgehaltener Pistole wird man ihn zu dieser letzten großen Lüge seines Lebens zwingen.

Literatur

  • Barbara Felsmann, Karl Prümm: Kurt Gerron – Gefeiert und gejagt. 1897–1944. Das Schicksal eines deutschen Unterhaltungskünstlers. Berlin, Amsterdam, Theresienstadt, Auschwitz. Edition Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3-89468-027-X (Beiträge zu Theater, Film und Fernsehen aus dem Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin 7 = Reihe deutsche Vergangenheit 63).
  • Ulrich Liebe: Verehrt, Verfolgt, Vergessen. Schauspieler als Naziopfer. Beltz Quadriga, Weinheim u. a., 1992, ISBN 3-88679-197-1.
  • Roy Kift: Camp Comedy. A play featuring original cabaret songs from Gerron's Karussell cabaret, and dealing with Gerron's moral dilemma in making the propaganda film for Goebbels. In: Robert Skloot (Hrsg.): The theatre of the Holocaust. Volume 2: Six plays. University of Wisconsin Press, Madison WI u. a. 1999, ISBN 0-299-16274-5, German translation available from the author. (weitere Information: Online verfügbar).
  • Katja B. Zaich: „Ein Emigrant erschiene uns sehr unerwünscht.“ K. G. als Filmregisseur, Schauspieler und Cabaretier in den Niederlanden. In: Claus-Dieter Krohn, Lutz Winckler, Irmtrud Wojak, Wulf Koepke (Hrsg): Film und Fotografie. Edition Text und Kritik, München 2003, ISBN 3-88377-746-3, S. 112–128 (Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 21).
  • Charles Lewinsky: Gerron. Roman. Nagel&Kimche, Zürich 2011, ISBN 978-3-312-00478-2.

Einzelnachweise

  1. IMDb und filmportal.de nennen den 28. Oktober als Sterbetag, Adolf Heinzlmeier und Berndt Schulz: Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars 15. Oktober, Ulrich Liebe (Hg.): Von Adorf bis Ziemann. Die Bibliographie der Schauspieler-Biographien 1900-2000 den 30. Oktober, Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films „Ende Oktober“.
  2. http://www.ghetto-theresienstadt.de/pages/g/gerronk.htm

Weblinks

 Commons: Kurt Gerron – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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