Rathenower Optische Werke

Rathenower Optische Werke
Erste Produktionsstätte der ROW in Dunckers Geburtshaus in Rathenow, Kirchplatz 12

Die Rathenower Optischen Werke (ROW) gehörten zu den bedeutendsten Herstellern von Linsen und anderen optischen Instrumenten in der DDR. Das Unternehmen wurde 1801 als Königlich privilegierte optische Industrie-Anstalt vom Pfarrer Johann Heinrich August Duncker und von Samuel Christoph Wagener, dem Leiter der Industrieschule der Rathenower Garnison, gegründet.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Von der Gründung 1801 bis 1945

Duncker hatte seit 1790 Mikroskope hergestellt. Im Jahr der offiziellen Unternehmensgründung 1801 ließ er eine von ihm entwickelte Vielschleifmaschine patentieren. Mit dieser Maschine konnten elf Linsen gleichzeitig geschliffen und dann poliert werden.[2] Die Produktion von Linsen und damit ausgestatteten Fertigerzeugnissen erfolgte in einem Teil des Geburtshauses Dunckers, einem Pfarrhaus.[3] Wichtige frühe Produkte waren neben Linsen für Mikroskope, Lupen und Brillen sowie astronomische Fernrohre und weiterhin Mikroskope. Als erste Arbeiter wurden invalide Soldaten und Waisenkinder eingesetzt.[3] Während Duncker die technische Leitung innehatte, kümmerte sich Wagener um den Verkauf. Trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten wuchs die Produktion stetig an. Ab 1815 mussten gesonderte Produktionsräume angemietet werden.

Wagener verließ 1806 das Unternehmen, war jedoch als Mitinhaber des Patentes jahrelang auszubezahlen. Krankheitsbedingt musste Duncker die Leitung des Unternehmens 1819 abgeben. Die Industrie-Anstalt wurde 1824 Eigentum von Dunckers Sohn Eduard (* 12. März 1797; † 1888), der sie bis 1845 leitete.[3][1] Der Schwerpunkt der damaligen Produktion lag auf Brillen, die nicht mehr über Hausierer, sondern Handelsgeschäfte und Industriemessen verkauft wurden.[1] 1834 kam es zu einem Umzug und damit bedeutsamen Erweiterungen der Produktionsstätten.

1845 übernahm Eduard Dunckers Neffe Emil Busch die Leitung des Unternehmens. 1848 wurde eine Arbeiterkrankenkasse gegründet. Weil ab 1850 in Rathenow weitere optische Betriebe entstanden, animierte dies Busch zur Rationalisierung und zur Einführung neuer Produkte.[1][2] Bis 1851 stieg die Zahl der Beschäftigten auf 130.[3] Im Jahr 1852 kamen zusätzlich Fotoapparate und Objektive in das Produktionssortiment, u. a. 1865 das neu erfundene Weitwinkelobjektiv Pantoscop.

1872 erfolgte die Umwandlung zur Emil Busch Aktiengesellschaft.[3] Die Produkte wurden in alle Welt verkauft. Die Produktion von Feldstechern für das preußische, deutsche und ausländische Militär wurde bis zum Ersten Weltkrieg ein wichtiges Geschäftsfeld.[1] Die Firmenbezeichnung lautete ab 1908 offiziell Emil Busch AG Optische Industrie.[4] Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise führten zu einer Verringerung der Zahl der Beschäftigten.[3]

Die Zwischenkriegszeit war von einer stürmischen technologischen Entwicklung gekennzeichnet. So stellte die Emil Busch AG 1927 ein Augenrefraktometer nach Thorner[5] zur Messung von Fehlsichtigkeit vor.[6] Im gleichen Jahr soll die Beziehung zwischen Busch und Carl Zeiss, die seit längerem über Kartellabsprachen verbunden waren, durch Kapitalverflechtung noch enger geworden sein. Busch bezog später die Linsen von Zeiss.

Während des Zweiten Weltkrieges war das Unternehmen vollständig für die Rüstungsindustrie tätig. Produziert wurden beispielsweise Entfernungsmesser für die Artillerie und Groß-Binokulare (10 × 80) für die Flugzeugerkennung. Produkte der Emil Busch AG tragen die Herstellercodes cxn und krq. Kriegsproduktion kam auch aus einem Zweigwerk in Budapest.[7] Auch die Emil Busch A. G. beschäftigte in dieser Zeit Zwangsarbeiter. An das Unternehmen war ein Außenkommando des Frauen- und Jugendgefängnisses Berlin-Lichtenberg angegliedert.[8] Ab 1943 wurde die Carl Zeiss-Stiftung Mehrheitsaktionär.[4] Kurz vor Ende des Krieges wurden die Produktionsanlagen weitgehend zerstört.

Enteignung 1945 und Gründung des VEB ROW

Brillenproduktion in Rathenow, 1948

Per Gesetz wurde die Emil Busch AG in Rathenow nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell enteignet. Der zweitgrößte optische Betrieb in Rathenow, Nitsche & Günther, wurde im November 1945 ebenfalls enteignet. Im März 1946 entstanden aus Nitsche & Günther die Rathenower optischen Werke mbH. Am 1. Juli 1948 wurde die Rathenower Betriebsstätte der Emil Busch AG zum Betriebssitz des neu gegründeten Volkseigenen Betriebes Rathenower Optische Werke (VEB ROW), in dem die Rathenower optischen Werke mbH aufgingen. Am Ende des Jahres 1950 waren im VEB ROW bereits wieder 1856 Arbeiter beschäftigt.

Der VEB ROW wurde ab 1966 in das Kombinat VEB Carl Zeiss Jena eingegliedert.[3]

Ein Großteil der kleinen, nicht verstaatlichten optischen Unternehmen in Rathenow wurden im März 1958 zur Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) J. H. A. Duncker zusammengeschossen. 1972 wurde aus der PGH der VEB Hermann Duncker, der 1978 ebenfalls dem Kombinat Carl Zeiss angegliedert wurde. Es folgte 1980 der Zusammenschluss der beiden Rathenower Großbetriebe zum VEB Rathenower Optische Werke ‚Hermann Duncker‘. Der VEB war bis 1989 alleiniger Hersteller von Brillen in der DDR. Der VEB ROW hatte Ende 1989 etwa 4420 Mitarbeiter.[3]

Neugründung der Busch-AG in Westdeutschland

Brillenproduktion der Emil Busch GmbH in Göttingen, 1953

Die Emil Busch AG verlegte 1949 ihren Sitz nach Göttingen und baute dort eine Fertigung von Brillengläsern auf. Das Unternehmen firmierte ab 1953 als Emil Busch GmbH, Göttingen. Das Unternehmen hat sich mittlerweile auf die Produktion optischer Messinstrumente spezialisiert. Der Hauptsitz befindet sich heute in Oberkochen.[9]

Der VEB ROW nach 1990

Ende 1989 wurden die ROW wieder aus dem Kombinat VEB Carl Zeiss Jena herausgelöst und im Juli 1990 in eine GmbH überführt. Die Treuhandanstalt spaltete von der GmbH 1991 den Bereich Mikroskoptechnik ab, der heute zu Askania gehört.

Die ROW-Belegschaft wurde größtenteils entlassen und die alten Produktionshallen abgerissen. 1992 wurden die übrig gebliebenen Einzelunternehmen privatisiert und Grundstücke sowie die restlichen Gebäude der ROW verkauft. Ein Teil gehört heute zum Augenoptik-Hersteller Essilor.[10] Das Unternehmen Fielmann kaufte 1996 das ehemalige Verwaltungsgebäude und ließ es sanieren. Seit Februar 1997 hat die Stadtverwaltung Rathenow das Haus gemietet.

Produkte

ROW-Stand zur Leipziger Herbstmesse 1954

Mikroskope

Mikroskope gehörten zu den ersten Produkten von Duncker noch vor der offiziellen Unternehmensgründung. Ein bekanntes Kleinmikroskop (Modell KMC, Design: Erich John) wurde seit Mitte der 1960er-Jahre in rund 500.000 Exemplaren hergestellt.

Die Mikroskopfertigung erfolgt seit 1995 bei der Askania Mikroskop Technik Rathenow.[11]

(Astronomische) Fernrohre, Zielfernrohre

Bereits zur Weltausstellung in London 1851 bot die Optische Industrie-Anstalt Rathenow ein astronomisches Fernrohr mit einer Öffnung von 105 mm an. 1914 war die Produktpalette um mehrere kleine Fernrohre bis hinunter zu 68 mm ergänzt worden. Neben den Fernrohren wurden Montierungen, Okulare und Umkehrprismen angeboten. Ein 150 mm-Achromat mit 2000 mm Brennweite zum Teleskop-Sebstbau kostete damals 900 Mark. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion astronomischer Fernrohre nicht wieder aufgenommen.[12]

Während des Ersten Weltkrieges wurden neben Feldstechern auch Zielfernrohre hergestellt (u. a. das Modell Visar).[13] Ein Feldstecher war das Gallileo 3 1/2x40.

Brillen

Zur industriellen Fertigung von Brillengläsern kam bald die Produktion von Brillenfassungen mit den eingravierten Buchstaben OIAR (Optische Industrie-Anstalt Rathenow). Als Materialien wurden Stahldraht, Horn, Schildpatt, Leder und Neusilber verwendet.[14] Aus UV-absorbierenden Gläsern von Carl Zeiss stellte die Emil Busch AG Sonnenbrillen unter der Bezeichnung Ultrasin-Gläser her.[15] Der spätere VEB ROW fertigte Sportbrillen wie das Modell START.

Als Besonderheit wurde in den 1930er- und 1940er-Jahren eine Fernglasbrille hergestellt (ROW Galistar), später als Multifunktions-Fernglas-Bausatz Unistar auf dem Markt (1964, Design: Erich John).[16]

Kameras und Kameraobjektive

Projektionsobjektiv Diarectim 1:4/250

Das Pantoscop als erstes Weitwinkelobjektiv wurde ab 1867 als Aufnahmeobjektiv einer Messbildkamera von Albrecht Meydenbauer (Berlin) eingesetzt. Die Fotos der gemeinsam mit Meydenbauer gebauten Spezialkamera konnten erstmals als genaue Vorlage für maßstabgerechte Zeichnungen von Gebäuden verwendet werden. Es wurden aber auch Standardobjektive hergestellt, etwa Portraitobjektive nach Petzval. Objektive für Großformatkameras waren weiterhin ein Glyptar-Anastigmat (z.B. 1:3,5/75 mm) oder ein R.O.J.A (vormals Emil Busch)-Rapid Aplanat No.2 1:8/200 mm.

Ab 1920 wurden Nicola Perscheid-Objektive in verschiedenen Brennweiten angeboten.[17] Der Tiaranar–Anastigmat (1:4,5/135 mm) war ein Objektiv mit Compur-Verschluss.

Für verschiedene zweilinsige Mittelformat-Spiegelreflexkameras wie die Welta Reflekta, die Welta Reflekta II oder die Welta Peerflekta II[18] wurden Objektive angeboten. Hinzu gehört insbesondere das Pololyt 1:3, 5/75 aber auch die ähnlich spezifizierten Rectan-Objektive 1:3,5/75.

Ab der Jahrhundertwende kamen unter dem Namen R.O.J.A verschiedene Kameras auf dem Markt, etwa eine aus Edelholz gefertigte Kamera für Negativplatten mit 13x18 cm mit einem Busch Anastigmat-Objektiv Serie II No.3 1:5,5/190 mm. Handkameras kamen um 1904 in das Produktionssortiment.[19] Ein Beispiel ist die ROJA-Spiegelreflex-Kamera mit Zentralverschluss. Die Kamera nahm Filmplatten der Größen 9 × 12 cm und 10 × 15 cm auf und konnte 6 × 13 cm-Stereoskopie-Aufnahmen manchen. Als Objektive waren Glaukar-Anastigmate 1:3.1, Omnar-Anastigmate 1:4.5 und ein Bis-Telar 1:7 erhältlich. Als klassische Balgen-Klappkamera kam um 1910 die Preis-Kamera auf den Markt, ein Modell für den kleinen Geldbeutel. Der Sucher (Sellar) war als kleiner Hohlspiegel ausgeführt.

Projektionstechnik

Die Emil Busch AG hatte bereits in der Frühzeit der Kinotechnik Projektionsobjektive und Kondensatoren hergestellt. Die eigenen optischen Erzeugnisse wurden als die ‚Seele‘ der Projektoren beworben. Die Herstellung von Projektionsoptiken wurde nach 1945 von der ROW weiter geführt.[20] Bekannt sind beispielsweise die ROW-Diarectim- und Epirectim-Objektive beispielsweise für Episkope des Leipziger Unternehmens Heinrich Malinski. Ein Projektionsobjektiv mit 52 mm Außendurchmesser ist das Neokino (f=120 mm).

Für die Projektion von Breitwand-Filmen wurden unter dem Markennamen Rectimascop Anamorphoten hergestellt. Beispiels sind das Rectimascop 48/2×, das Rectimascop 80/2× oder das Rectimascop IV 64/2×. Eine Reihe von Projektionsobjektiven für ‚normale‘ Kinofilme war das Visionar (z. B. 1:1,6/92, 1:1,6/109 oder 1:1,9/130 und 1:1,9/141). Rectimascop und Visionar waren zumindest zeitweilig mit den Label für 1. Qualität von DDR-Waren ausgezeichnet.

Weblinks

 Commons: ROW – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Geschichte der ROW im Archiv der TU Dresden (online)
  2. a b Informationen des Fördervereins Optik
  3. a b c d e f g h Geschichte der ROW
  4. a b Aktie der Emil Busch AG aus dem Jahr 1929 mit Details zum Unternehmen auf einer Auktion; abgerufen im November 2010
  5. Thorner-Refraktometer auf der Website des Optik-Museums
  6. 135 Jahre Rathenower augenoptische Werkstatttechnik (2009) auf "oabb optic alliance brandenburg berlin"; abgerufen am 16. November 2010
  7. Homepage von Rechenschieber-Sammlern
  8. Informationen des Bundesarchivs über Haftstätten in der Nazizeit
  9. Website mit Adresse der Emil Busch GmbH in Oberkochen; abgerufen am 16. November 2010
  10. Geschichte auf Essilor Website
  11. Homepage der Fa. Askania Mikroskoptechnik
  12. Darstellung der Fernrohre der emil-Busch AG
  13. Homepage mit der Darstellung alter Waffen
  14. Erläuterung OIAR
  15. Website mit Darstellung früherer Brillen
  16. Bildarchiv mit DDR-Industrieformen, u. a. Brillen
  17. Objektive online
  18. Online zur Peerflekta
  19. Homepage zu verschiedenen Kameras
  20. Filmprojektoren online

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