Wienerisch

Wienerisch

Das Wienerische ist die in Wien gesprochene Stadtmundart und zählt zum ostmittelbairischen Dialekt. Seine Eigenheiten liegen vor allem im Bereich des Wortschatzes. Bereits im umliegenden Niederösterreich sind viele der Ausdrücke und Redewendungen ungebräuchlich; westlich von Oberösterreich gelten sie häufig als „kaum verständlich“.

Inhaltsverzeichnis

Sprachliche Eigenheiten

Der wienerische Dialekt ist zu unterscheiden von der österreichischen Form der deutschen Hochsprache (Österreichisches Deutsch), die andernorts gelegentlich als Dialekt missverstanden wird, aber ebenso von anderen in Österreich gesprochenen Dialekten (siehe auch Bairische Dialekte).

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts unterschied man noch vier Wiener Dialekte (benannt nach den Bezirken, in denen der jeweilige Dialekt beheimatet war): Favoritnerisch, Meidlingerisch, Ottakringerisch und Floridsdorferisch. Heute ist diese Unterscheidung nicht mehr zutreffend und man geht von einem Wiener Dialekt aus, dessen Verwendung sich jedoch diastratisch auffächert. Auch das früher im Adel und im gehobenen Bürgertum Wiens gebräuchliche Schönbrunner Deutsch, das „durch z. B. den Gebrauch von Nasalvokalen gekennzeichnet“[1] ist, ist Gegenstand zahlreicher Parodien (beispielsweise in den Graf-Bobby-Filmen aus den 60er Jahren mit Peter Alexander und Gunther Philipp oder im Wiener Kabarett der 1950er und 1960er Jahre).

Aussprache

Die Phonologie des Wienerischen unterscheidet sich von jener anderer mittelbairischer Dialekte nicht sonderlich. So finden sich folgende typische Merkmale des Mittelbairischen auch im Wienerischen:

z. B. alsooeso [ˈɔe̯so], SoldatSoedot [sɔe̯ˈdɔːt], fehlenföhn [fœːn], KälteKöödn [ˈkøːd̥n̩]
  • Vokalisierung des [l] am Wortende nach einem Vokal,
z. B. schnellschnöö [ʃnœː], vielvüü [fʏː]
  • Delabialisierung (Entrundung) palataler (d. h. vorderer) gerundeter Vokale,
z. B. Glück [ˈglʏk] → Glick [ˈglɪk], schön [ˈʃøːn] → schee [ˈʃẽː]
  • Labialisierung (Rundung) palataler ungerundeter Vokale vor [l],
z. B. schnellerschnöller [ˈʃnœlɐ], vielleichtvülleicht [fʏˈlɛːçt], wildwüüd [vyːd̥]

Folgende auffällige Eigenheiten des Wienerischen sind jedoch festzustellen:

  • Monophthongierung: Im Vergleich zum Standarddeutsch und zu anderen bairischen Dialekten werden Diphthonge (Zwielaute) monophthongiert, was aber im Falle des ei und des au von einheimischen Laien nicht als solches empfunden wird. Beispiele:
    • standarddeutsch heiß – bairisch hoaß – wienerisch haaß [haːs]
    • standarddeutsch weiß – wienerisch wääß [vɛːs]
    • standarddeutsch Haus – wienerisch Håås [hɒːs]
  • Typisch sind teilweise sehr gezogen ausgesprochene Selbstlaute, insbesondere am Satzende. Ein Beispiel: Heeaasd, i bin do ned bleeed, wooos waaasn ii, wea des woooa ('Hörst du, ich bin doch nicht blöd, was weiß denn ich, wer das war').
  • Meidlinger L: eine spezifische Realisierung des /l/, die vor allem der Arbeiterschicht zugesprochen wird
  • Vokaleinschub bei Konsonantenfolgen (Sprossvokal): Ebenfalls vor allem der Arbeiterschicht zugesprochen wird die Realisierung eines mitunter zwischen aufeinanderfolgende Konsonanten (meist in der Stammsilbe) eingeschobenen, kurzen – oft nur angedeuteten – Vokals (a-Schwa). Dieser Vokaleinschub führt in der Aussprache meist zu einer zusätzlichen Silbe, die über die Wortverlängerung eine Intensivierung – oft im negativen Sinne – fühlen lässt. Beispiele:
    • standarddeutsch Verschwinde! – wienerisch Vaschwind! – intensiviert Vaschawind!
    • standarddeutsch Verbrecher! – wienerisch Vabrecha! – intensiviert Vabarecha!
    • standarddeutsch abgebrannt – wienerisch oobrennt – intensiviert oobarennt
    • standarddeutsch Geradeaus! – wienerisch Groodaus! – intensiviert Garoodaus!

Grammatik

In der Grammatik finden sich keine Besonderheiten gegenüber anderen bairischen Dialekten. Es finden sich die typischen Abweichungen vom Standarddeutschen wieder, u. a. die Vermeidung des Genitivs, teilweise zusammengefallene Dativ- und Akkusativformen (z. B. i gib de Kinder a Göid, „ich gebe den Kindern Geld“), schon wesentlich seltener Dativ- statt Akkusativ-Konstruktionen (z. B. Griaß Ihna! statt Grüß Sie! usw., die Verwendung der Präposition ohne mit Dativ statt Akkusativ, etwa bei ohne mir vs. ohne mi) u. dgl. Wehle erwähnt die Skurrilität der Eins-Mehrzahl (z.B. I brauchert heut a påår mehlige Erdäpfel – håms ãã?). Dafür fehlt wiederum die Einzahl von Ei (z.B. Jessas, i brauchert no ã Eier. – Nur ans? – Jå, i såg jå: ã Eier!).[2]

Morphologie

Das Morphem {ur}

Im Wienerischen wird das Morphem {ur} (gesprochen [uːɐ]) vielseitig genutzt:

  • Es handelt sich beim standardsprachlichen ur- um ein Präfix zu Substantiven, Adjektiven und Adverbien – also um kein eigenständiges Wort –, das eigentlich ‘ursprünglich’ bedeutet, jedoch im Wienerischen auch – wie in folgenden Beispielen – rein verstärkende Bedeutung haben kann: Wenn jemand da Uahiafla ist, handelt es sich um eine Steigerung des Schimpfwortes Hiafla. Eine Uahetz bedeutet einen ‘Riesenspaß’. Wenn jemand uablad ist, dann handelt es sich um eine sehr übergewichtige Person.
  • Es kann aber im Wienerischen auch als Steigerungspartikel zu Verben verwendet werden, wobei es sich dann wie ein eigenständiges Wort verhält (Probe: Ersatz durch sehr, überaus u. dgl.), z. B. in Des gfreit mi ua (‘Das freut mich sehr’).
  • Es kann aber auch eine ganze Verbalphrase gesteigert werden, etwa in Du wiast ua VP[die Probleme kriagn] oder Wia hobn ua VP[die Gaude g'hobt].
  • Besonders oft wird ua in sarkastischen/ironischen Zusammenhängen verwendet: Des woa ja uagscheid! heißt ‘Das war ja sehr intelligent’ als Kommentar zu einer dummen Handlung.

Häufig wird diese Art der Steigerung bei Jugendlichen angetroffen, ältere, erwachsene Wiener benützen sie entweder gar nicht oder nur sehr selten.

Verkleinerungsformen

Die für das Bairische typischen Diminutivsuffixe -(e)l und -erl sind im Wienerischen – so lautet zumindest das Klischee – besonders häufig anzutreffen. So überrascht es auch nicht, wenn man diese Suffixe z. B. in Spitznamen für Wiener Baulichkeiten wiederfindet: Der Wiener Stephansdom wird meist kurz Steffl genannt; die unterirdische Passage mit Straßenbahnschleife beim Schottentor wird ihrer an eine Kochpfanne erinnernden Form wegen als Jonasreindl (Franz Jonas war der während deren Errichtung amtierende Bürgermeister; Reindl ist bairisch für 'kleiner Kochtopf') bezeichnet; das Dorotheum kennt man in Wien auch als Pfandl ('Pfandleihanstalt'). – Es gilt zu beachten, dass -(e)l und -erl manchmal distinktiv (bedeutungsunterscheidend) eingesetzt werden. So gibt es z. B. zwei Verkleinerungsvarianten von Haus, die nicht verwechselt werden sollten: Die eine Variante – Häuserl – bedeutet erwartungsgemäß 'kleines Haus', die andere – Häusl – heißt jedoch 'Toilette'. Und ein Lamperl ist nicht immer eine kleine Lampe, wie der Deutsche oft meint, sondern bezeichnet - je nach Kontext - auch ein kleines Schaf (Lamm - vgl. engl. lamb).

Wortschatz

Im Bereich des Wortschatzes weist sich das Wienerische am deutlichsten als eigenständig aus.

Einflüsse auf den Wortschatz

Das Wienerische bewahrt einerseits viele mittelhochdeutsche und teilweise auch althochdeutsche Wurzeln, andererseits hat es Ausdrücke aus vielen fremden Sprachen, vor allem aus dem Gebiet der ehemaligen k.u.k. Monarchie, integriert. Wehle spricht in diesem Zusammenhang von der Kühlschrank- respektive Schmelztiegelfunktion.[3]

Beispiele

Die Transkription des Wienerischen ist nicht standardisiert, der Lautwert der Beispiele ist daher im Folgenden nur unvollkommen wiedergegeben.

  • aus dem Althochdeutschen: Zähnd (‘Zähne’, von zand), Hemad (‘Hemd’, von hemidi)
  • aus dem Mittelhochdeutschen: Greißler (‘(kleiner) Lebensmittelhändler’, von griuzel (Diminutiv von gruz ‘Korn’)), Baaz (‘schleimige Masse’, von batzen ‘klebrig/weich sein’), si ohgfrettn (‘sich abmühen’, von gefrett, das; -s, ‘Ärger, Mühe’)
  • aus dem Hebräischen und Jiddischen: Masl (‘Glück’, von hebr. mazal), Hawara (‘Freund/Gefährte’, von hebr. chaver), Gannef (‘Gauner’, von hebr. ganav), Schnorrer (‘eine Person, die häufig um Gefälligkeiten bittet’, vom Jiddischen)
  • aus dem Tschechischen: Motschga (‘unappetitlicher Brei’, von močka ‘Pfeifenrückstand’ oder omáčka ‘Soße, Suppe’), Pfrnak (‘(große) Nase’, von frňák)
  • aus dem Ungarischen: Maschekseitn (‘die andere Seite’, von a másik), Gattihosn (‘(lange) Unterhose’, von gatya 'Hose')
  • aus dem Italienischen: Gspusi (‘Flirt’ (auch das betreffende Mädchen), von sposa), Gstanzl (‘Strophe eines (Scherz-)Liedes’, von stanza)
  • aus dem Französischen: Trottoa (‘Gehsteig’, von trottoir), Lawua (‘Waschschüssel’, von lavoir), Loschie (‘Unterkunft’, von logis), Blafoo (‘Zimmerdecke’, von plafond), Potschampel (‘Nachttopf’, von pot de chambre), Paraplüü (‘Regenschirm’, von parapluie)

Der Wortschatz des Wiener Dialekts wird u. a. erfasst und beschrieben im Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich.

Pragmatik

Im Wienerischen findet man vermehrt folgende pragmatische Eigenheiten:

Ein Beispiel: I bin an hoibn Dog ummadumgrennt, woa in hundert Gschäfter und hob nix gfundn entspricht wörtlich: ‘Ich bin einen halben Tag umhergelaufen, war in hundert Geschäften und habe nichts zum Einkaufen gefunden.’ – Gemeint ist damit aber, dass die Person vielleicht eine Stunde in vielleicht drei Geschäften war und nur ganz wenig eingekauft hat. Das wird von Wienern genau so verstanden.
Zum hyperbolischen Diskurs gehört auch – als „gegenläufige Übertreibung“ – die Verkleinerung, kenntlich durch Diminutivsuffixe wie -l oder -erl (etwa in Kaffeetscherl, Plauscherl …).

Betrachtet man typische Sprechakte einer Sprachgemeinschaft als Spiegel ihrer Mentalität, kann man die oben genannten Eigenheiten als markante Bestandteile des berühmten Wiener Schmähs bezeichnen.

Tendenzen

In jüngster Zeit wurde das Wienerische zunehmend zu Gunsten des Standarddeutschen zurückgedrängt, es entwickelte sich ein Standarddeutsch mit typisch Wiener Akzent (z. B.: Was hast’n für eine Note g’schrieben? statt original Wienerisch Wos host ’n fir a Notn kriagt?). Die für das Wienerische typische Monophthongierung, durch die es sich von den benachbarten Dialekten phonetisch besonders unterscheidet (vgl. Isoglosse), bleibt aber zumeist erhalten, allerdings in einer Form, in der das dabei entstehende „Pseudo-Standarddeutsch“ von vielen Auswärtigen (besonders aus den benachbarten Bundesländern) als hässlich empfunden wird. (Beispiel: Wäääßt, wos wir heut in der Schule für än gråååsliches Fläääsch kriegt ham? ['Weißt du, was für ein widerliches Fleisch wir heute in der Schule vorgesetzt bekamen?'] Die monophthongierten Diphthonge, wie <ei> ~ äää oder <au> ~ ååå, werden dabei besonders betont und in die Länge gezogen.)

Ein Grund für die Zurückdrängung des typischen Wiener Dialekts war lange Zeit die Einstellung, dass „Urwienerisch“ dem Proletariat zuzurechnen sei. Mit steigendem Lebensstandard ab den 1960er-Jahren legten Eltern Wert darauf, dass ihre Kinder „schön sprechen“ (d.h.: möglichst Hochdeutsch), um nicht niederen sozialen Schichten zugerechnet zu werden. Spätestens seit der Verbreitung einer Vielzahl grenzüberschreitend empfangbarer Fernsehprogramme jedoch kommen viel mehr die Sprachgewohnheiten Deutschlands zum Tragen. Die aufgrund der weitaus höheren Einwohnerzahl von Deutschen dominierte Medienwelt des Sprachraumes (Werbung, Buchübersetzungen, Filmsynchronisation) drängt ursprüngliche Ausdrucksformen in Österreich ebenso zurück[4] wie etwa in der Schweiz. Dies betrifft nicht nur Dialektausdrücke, sondern auch Variationen innerhalb der sog. Hochsprache (wie die Artikelwahl: „der Joghurt“ statt „das Joghurt“) und vor allem die Sprachmelodie. Dehnung und Färbung von Vokalen werden zunehmend übernommen („ajn Pfährd“ statt „ein Pferd“), ebenso wie Satzstellungen oder - in Deutschland übliche - Anglizismen („Sinn machen“)[5]. Das im etymologischen Sinne „ursprünglichere“ Deutsch[6] wird somit stetig von der in Deutschland vorherrschenden Alltagssprache verdrängt.

Die sukzessive Zurückdrängung des Wiener Dialektes ist in erster Linie eine Entwicklung entlang von Generationenjahrgängen. Aus aktuellen Beobachtungen lässt sich erkennen, dass unter den Geburtsjahrgängen 1965 bis 1970 noch ein größerer Teil den Wiener Dialekt spricht, darunter auch zahlreiche Angehörige der Mittelschichten. Etwa ab den Jahrgängen 1970 bis 1980 sprechen ganz überwiegend nur mehr Personen aus der Arbeiterschicht Dialekt. Bei Personen, die nach etwa 1985 geboren wurden, herrscht schließlich in allen sozialen Schichten die neue Form der ans Hochdeutsche angelehnten Wiener Umgangssprache vor. Die in den letzten Jahren geborenen Kinder dieser Generation wachsen somit bereits als zweite Generation ohne den Wiener Dialekt auf. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch das Sprachverhalten der zweiten bzw. inzwischen auch der dritten Generation der Migranten. In den betreffenden Altersgruppen stellen diese einen Anteil von etwa 40% an der Wiener Gesamtbevölkerung. Die deutsche Alltagssprache dieser Personen ist in der Regel ebenfalls die neue Wiener Umgangssprache, wobei in manchen Fällen – vor allem in phonetischer Hinsicht – auch noch Einflüsse der Herkunftssprachen der ersten Zuwanderergeneration festzustellen sind. Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der Weiterentwicklung der neuen Wiener Umgangssprache zumindest teilweise phonetische, syntaktische und lexikalische Einflüsse aus den Zuwandersprachen in die künftige Sprache der Gesamtbevölkerung, unabhängig von ihrer Herkunft, Eingang finden werden. Ein derartiger Prozess war bereits in Folge der starken Einwanderungsströme nach Wien um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu beobachten. Der von den ab etwa 1900 geborenen Jahrgängen gesprochene Wiener Dialekt war von zahlreichen Einflüssen (in Phonetik, Syntax, und Wortschatz) vor allem aus dem Tschechischen, Ungarischen, teilweise aus dem Jiddischen aber auch aus anderen Zuwanderersprachen geprägt. Der heute zurückgedrängte Wiener Dialekt ist somit ebenfalls bereits ein Produkt großer Migrantenströme nach Wien in der Vergangenheit.

Wienerische Literatur und Musik

Das Wienerische hat eine lange Tradition als Sprache für Literatur und Gesang.

Theater

Volksstück

Das Alt-Wiener Volkstheater des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die unteren und mittleren Gesellschaftsschichten als Zielpublikum und bediente sich auch ihrer Sprache. Die wichtigsten Autoren waren: Josef Alois Gleich, Karl Meisl, Adolf Bäuerle, Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy.

Für das 20. Jahrhundert sind vor allem Jura Soyfer („Der Lechner Edi schaut ins Paradies“) und Ödön von Horváth („Geschichten aus dem Wiener Wald“) zu nennen. Waren die Alt-Wiener Volksstücke noch durchwegs komödiantisch (und dennoch – soweit es die Zensur erlaubte – zeitkritisch), zeigte sich im Volksstück der 1930er Jahre eine strukturelle Änderung hin zu einem Ende, das keine dauerhafte Illusion einer heilen Welt zulässt. Die Konstante im Volksstück blieb jedoch die quasi authentische Sprache des Volkes.

Aus sprachlicher Sicht abzugrenzen sind hier die Volksstücke des Wiener Schriftstellers Ludwig Anzengruber aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Anzengruber verwendete in seinen Stücken eine Art „überregionalen Kunstdialekt“, der nicht authentisch ist.

Mittelstück

Eine Besonderheit der Wiener Kleinkunstbühnen der 1930er und 40er Jahre war das sogenannte Mittelstück, ein zwischen der Servierpause und der Zahlpause eines Kabarettprogramms aufgeführtes, kürzeres, zeitkritisches Theaterstück. Besonders erfolgreich – und durchgängig auf Wienerisch – war Rudolf Weys' Mittelstück „Pratermärchen“ (1936). Die nachhaltigsten Mittelstücke stammen aber von Jura Soyfer.[7]

Andere Dramenformen

Karl Kraus verfasste zwischen 1915 und 1922 sein satirisches Erster-Weltkrieg-Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ und verwendete, entsprechend seiner Intention, möglichst realitätsnah den kriegshetzerischen Irrwitz seiner Zeitgenossen zu dokumentieren, Dialoge fernab der Schriftsprache; so findet sich auch das Wienerische jener Zeit in diesem Text wieder.

1961 sorgte das zunächst im TV gezeigte, dann oft auf Bühnen aufgeführte Ein-Personen-Stück „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl Merz für Aufregung. Die Titelfigur ist ein opportunistischer Wiener, der seine subjektiven Erfahrungen des österreichischen Alltags der letzten Jahrzehnte seinem (nicht in Erscheinung tretenden) ihn anlernenden Vorgänger als Hilfskraft im Lager eines Feinkostladens erzählt.

Lyrik

Josef Weinheber veröffentlichte 1935 seinen erfolgreichen Gedichtband „Wien wörtlich“, in dem auch Gedichte auf Wienerisch enthalten sind („Es wäre nicht Wien“, „Der Phäake“).

Ebenfalls in den 1930ern schrieb Peter Hammerschlag seine skurrilen Gedichte, einige davon auf Wienerisch („Pülcherdialog ad infinitum“) oder zumindest mit wienerischem Einschlag – veröffentlicht wurden sie allerdings erst in den 1970ern von Friedrich Torberg.

In den 1950ern kam es mit einem Schwung zu einer Reihe von einflussreichen Veröffentlichungen auf Wienerisch. Hier sind H. C. Artmann („med ana schwoazzn dintn“) und die Wiener Gruppe, vor allem Gerhard Rühm und Konrad Bayer („glaubst i bin bled“) hervorzuheben.

In den 1970ern brachten es die Mundartdichter Trude Marzik („Aus der Kuchlkredenz“) und Anton Krutisch („Wiener Lavendel“) zu einer gewissen Popularität.

Mehrere Gedichtbände auf Wienerisch hat Hans Werner Sokop herausgegeben, es gibt von ihm auch zwei Gesänge von Dantes Göttlicher Komödie auf Wienerisch.

Prosa

Im umfangreichen humoristischen Werk Roda Rodas (1872–1945) findet man unter anderem wienerische Dialoge (z. B. in „Wie man dem Wienerherzen wehetut“).

1906 erschien in Wien der berühmt-berüchtigte pornografische Roman „Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“, dessen Dialoge sich – entsprechend dem Milieu, in dem die Handlung angesiedelt ist – besonders hinsichtlich des Sexual-Wortschatzes des Wienerischen bedienen.

1971 veröffentlichte Wolfgang TeuschlDa Jesus und seine Hawara“, eine Übertragung des Evangeliums ins Wienerische, die sehr populär wurde und heute als Klassiker gilt.

Zahlreiche Mundartbücher verfasste Hans Werner Sokop, der auch Kinderbuchklassiker wie den „Struwwelpeter“, viele Geschichten von Wilhelm Busch und „Der kleine Prinz“ ins Wienerische übertrug.

Comics

In der Mundart-Reihe der Comicserie Asterix erschienen folgende ins Wienerische übertragene Bände:

Wienerlied

Das alteingesessene Wienerlied konserviert gleichsam den Wortschatz und die Redensarten seiner Entstehungszeit. Das Wienerlied erlebte seine Hochblüte in der Zeit zwischen 1880 und 1930, wofür erhaltene Aufnahmen etwa von Maly Nagl aus den 1920ern und 30ern („I brauch’ ka schöne Leich’ …!“, „Mei Alte sauft so viel wia i“) ein eindrucksvolles Zeugnis ablegen. Als wichtige Autoren des Wienerliedes sind Wilhelm Wiesberg (1850–1896) („D’ Hausherrnsöhnl’n“) und Carl Lorens (1851–1909) („Jetzt trink ma no a Flascherl Wein“) hervorzuheben.

Der aufkommende Schlager und die überregional orientierte Unterhaltungsindustrie verwässerten aber das Genre zusehends.

In den 1970er Jahren wurde das Genre u. a. durch Horst Chmela („Ana hot immer des Bummerl“), Karl Hodina („Herrgott aus Sta'“) und André Heller („Wean, du bist a Taschnfeitl“) wiederbelebt. Auch Roland Neuwirth, der sich als Erneuerer des Wienerlieds begreift, trat zu dieser Zeit zum ersten Mal in Erscheinung und zeigte im Laufe seiner Karriere auch, dass die musikalische Ausdrucksform des Blues und der Wiener Dialekt sehr gut zusammenpassen. Die Tradition volksmusikalischer Einflüsse durch Zuwanderer ist etwa bei der Wiener Tschuschenkapelle zu hören („Erst wann’s aus wird sein“).

Viele Schauspieler von Wiener Bühnen sangen (und singen) ebenfalls Wienerlieder: z. B. Alexander Girardi („Fiakerlied“), Hans Moser („Die Reblaus“, „In der Kellergass’n“), Paul Hörbiger („Weil i a alter Drahrer bin“), Fritz Imhoff („Ja, wenn der Regen lauter Gumpoldskirchner wär“), Heinz Conrads usw., in späterer Zeit Peter Alexander, Michael Heltau und Stephan Paryla.

Auch etliche Wiener Opernsänger würdig(t)en das Wienerlied mit ihren Vorträgen, etwa Erich Kunz, Heinz Holecek, Walter Berry und Heinz Zednik.

Kabarettlied

Seit den 1910ern bis in die 50er, nur unterbrochen durch eine von den Nazis erzwungene Emigration in die USA, war Hermann Leopoldi („In der Barnabitengass’n“, „Schnucki, ach Schnucki“) ein Fixstern unter den Wiener Vortragskünstlern. In den 1950/60er Jahren spiegelten die kabarettistischen Lieder von Pirron und Knapp („Tröpferlbad“, „Hausmastarock“) die Wiener Lebensweise wider und waren so gut wie jedem bekannt. In den 1950ern und auch den Folgejahren konterkarierten Kabarettisten wie Gerhard Bronner („Die alte Engelmacherin“, „Krügerl vorm G’sicht“, gemeinsam vorgetragen mit Helmut Qualtinger) und Georg Kreisler das Wienerlied. In späterer Zeit taten es ihnen Kabarettisten wie Josef Hader („Warum“) gleich.

Aber nicht nur mit dem Wienerlied als zu unterminierender Schablone zeigte sich das auf Wienerisch vorgetragene Kabarettlied als ideales Mittel satirischer Botschaften. Das Duo Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger („Der Halbwilde“, „Der g’schupfte Ferdl“ usw.) sowie Georg Kreisler („Tauben vergiften“, „Am Totenbett“ usw.), aber z. B. auch Alfred Dorfer („I waas oft ned“) sind hier anzuführen. Ein besonderes Beispiel für die Abgründigkeit wienerischen Humores ist die 1966 produzierte Platte „Helmut Qualtinger singt Schwarze Lieder“, mit Texten von H. C. Artmann und Gerhard Rühm (Musik: Ernst Kölz).

Austropop

Als Startschuss für die sogenannte „Dialektwelle“ der österreichischen Popmusik gilt gemeinhin das 1970 veröffentlichte Lied „A Glock’n, die 24 Stunden läut'“, vorgetragen von der Wienerin Marianne Mendt, geschrieben von Gerhard Bronner. Im selben Jahr erschien das von der Ö3-Musicbox produzierte „Glaubst i bin bled“ der Worried Men Skiffle Group.[8] 1971 folgte „Da Hofa“ von Wolfgang Ambros und „Sie habn a Haus baut“ von Arik Brauer, 1972 „Der Tschik“ von Georg Danzer sowie „Alle Menschen san ma zwider“ (nach der Melodie der heutigen Europahymne) von Kurt Sowinetz.

In den folgenden Jahren konnten Ambros („Es lebe der Zentralfriedhof“, „Die Blume aus dem Gemeindebau“) und Danzer („Jö schau“, „Hupf in Gatsch“) ihren Ruf als Wiener Originale festigen. Daneben etablierten sich andere Wiener Künstler, die im Dialekt ihrer Heimatstadt singen: Sigi Maron („He Taxi“, „Da Hausmasta“), Peter Cornelius („Hampelmann“, „Du entschuldige, i kenn di“), Heli Deinboek („Waun de Neurosen blüh’n“, „Too dörti für Gerti“), Ulli Bäer („Der Durscht“), Rainhard Fendrich („Ich bin ein Negerant, Madame“, „Zwischen 1 und 4“), die Neue-Deutsche-Welle-Band DÖF („Taxi“, „L. Hirschinger“), Ostbahn-Kurti („I hea di klopfn“, „Neiche Schoin“), Richard Weihs („Grantscherbn Blues“, „Ringlgschpü“), Alkbottle und viele andere.

Auch „Zugereiste“ wie der Steirer Ludwig Hirsch („Die Omama“) und die Schweizerin Maria Bill („I mecht landen“) lieferten Beiträge zum wienerischen Austropop.

Die musikalischen Vorbilder für den Austropop sind zwar hauptsächlich in den USA und Großbritannien zu suchen, aber auch dem Wienerlied wurde wiederholt Reverenz erwiesen, nicht zuletzt durch modernere Interpretationen der Extremschrammeln. Beispiele hierfür sind auch Ambros’ „Wem heit net schlecht is“ (1975), Danzers „Heut’ bin i wieder fett wie ein Radierer“ (1972), das 1984 aufgenommene Ambros/Fendrich-Duëtt „'s Naserl“ (eine alte Hans-Moser-Nummer aus dem Film „Ober, zahlen“) oder der Wienerlied-Ausflug „Leckt’s mi“ der steirischen EAV.

Dass man auf Wienerisch auch rappen kann, bewiesen unter anderem Falco („Der Kommissar“, 1981), Drahdiwaberl („Die Galeere“, 1983) und Schönheitsfehler („A guata Tag (in da Betonwüste)“, 1996).

Quellen

  1. Moosmüller 1987, S. 1
  2. Vgl. Wehle 1980, S. 40.
  3. Vgl. Wehle 1980, S. 11f.
  4. Robert Sedlaczek, „Das österreichische Deutsch“, S. 14ff
  5. Rez gscheid!, EVOLVER zum International Year of Languages 2008
  6. Peter Wehle, „Sprechen Sie Wienerisch?“, S. 33ff
  7. Vgl. Rösler 1993, S. 162ff.
  8. DoRo-Dokumentation Weltberühmt in Österreich - 50 Jahre Austropop

Siehe auch

Literatur

Allgemein

Phonologie

  • Sylvia Moosmüller: Soziophonologische Variation im gegenwärtigen Wiener Deutsch. Eine empirische Untersuchung. Franz Steiner , Stuttgart 1987, ISBN 3-515-05093-0.

Wortschatz

  • Arthur Fetzer (Hrsg.): Schmutzige Wörter Wienerisch–Deutsch. Eichborn, Frankfurt/Main 1993, ISBN 3-8218-2356-9.
  • Maria Hornung, Sigmar Grüner: Wörterbuch der Wiener Mundart. Neubearbeitung. öbvhpt, Wien 2002, ISBN 3-209-03474-5.
  • Wolfgang Teuschl: Wiener Dialekt-Lexikon. 2. Auflage. Schwarzer, Purkersdorf 1994, ISBN 3-900392-05-6.
  • Peter Wehle: Sprechen Sie Wienerisch? Ueberreuter, Wien/Heidelberg 1980, ISBN 3-8000-3165-5.
  • Oswald Wiener: Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen. In: Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt. Rogner & Bernhard, München 1969, S. 285–389.
  • Josef Hader: Wienerisch mit The Grooves. digital publishing, München 2008, Audio-CD plus Textheft, ISBN 978-3-89747-723-0.
  • Franz Seraph Hügel: Der Wiener Dialekt. Lexikon der Wiener Volkssprache (Idioticon Viennense), A. Hartleben's Verlag, Wien-Pest-Leipzig 1873 (Online in der Google Buchsuche-USA)

Anthologien

  • Walter Rösler (Hrsg.): Gehn ma halt a bisserl unter. Kabarett in Wien von den Anfängen bis heute. 2. Auflage. Henschel, Berlin 1993, ISBN 3-89487-185-7.

Weblinks

Wortschatz

Allgemein


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