Emirat von Córdoba

Emirat von Córdoba

Als Emirat von Córdoba wird das 756 von Abd ar-Rahman I. begründete umayyadische Exilreich auf der Iberischen Halbinsel bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Herrscher der Umayyaden

Al-Andalus, das von Muslimen eroberte Gebiet der Iberischen Halbinsel, ca. 910

Seit der Eroberung des Westgotenreichs durch die Muslime unter Tariq ibn Ziyad und Musa ibn Nusayr (711–714) kam das muslimische Al-Andalus kaum zur Ruhe. Immer wieder flammten Kämpfe zwischen Arabern und Berbern sowie unter den Arabern selbst auf. Grund hierfür waren einerseits die Unzufriedenheit der Berber, die als Krieger die Hauptlast bei der Einnahme Südspaniens getragen hatten, bei der Verteilung von Ämtern und Ländereien aber kaum bedacht wurden, und Stammesstreitigkeiten zwischen den arabischen Garnisonen aus den verschiedenen Militärdistrikten (Djund) des Stammreichs. Auch versuchten die Statthalter der umayyadischen Kalifen in Damaskus die Provinz al-Andalus unabhängig von der Zentralmacht zu regieren, was durch die weite Entfernung vom Reichszentrum in Syrien auch begünstigt wurde. Allerdings sollte dann gerade ein Umayyade die Eigenstaatlichkeit des muslimischen Andalusiens begründen:

Im Jahre 749 n. Chr. (132 gemäß dem islamischen Kalender) erlitt der letzte umayyadische Kalif des islamischen Kernreichs, Merwan II., beim Wadi Zab, einem Nebenfluss des Tigris, eine vernichtende Niederlage. Sein ca. 12.000 Mann starkes Heer wurde von einer Koalition verschiedener Stämme Südarabiens sowie der Schiiten unter Oberbefehl eines Generals namens 'Abd Allahs ibn 'Ali aufgerieben. Die Macht im Reich fiel den sogenannten Abbasiden zu, den Nachkommen des Patriarchen al-'Abbas ibn 'Abd al-Muttalib. Erster Kalif der neuen Dynastie wurde Abu l-Abbas as-Saffah. Der ließ das Land von Mitgliedern der bisherigen Herrscherfamilie säubern und diese zum Teil bestialisch töten. Den Ältestenrat der Umayyaden ließ Abu al-'Abbas zu einem angeblichen Versöhnungsessen nach Abu Futrus in Palästina laden und ermorden.[1][2]

Allein der umayyadische Prinz Abd ar-Rahman ibn Mu'awiya entging dem Massaker in Abu Futrus, da er dem Bankett fernblieb und stattdessen auf die Jagd ging. Nach mehrjähriger Flucht durch das heutige Syrien, Jordanien, Ägypten, Libyen, Tunesien und Algerien bis nach Marokko brachte sich Abd ar-Rahman zunächst bei Verwandten in Sicherheit. Der Überlieferung zufolge war er Sohn eines hochrangigen Umayyaden-Prinzen und einer in Nordafrika gefangenen Sklavin namens Rah. Beim mütterlichen Stamm der Nafza verbrachte er einige Jahre im Exil, bis er schließlich 755 mit Berbertruppen in Almuñecar (Andalusien) landete. Mit Unterstützung in Andalusien stationierter arabischer Truppen stürzte er im Mai 756 den regierenden Statthalter von Al-Andalus Yusuf al-Fihri in Córdoba.[1][2] Im gesamten arabischen Raum ist der erste Emir von Córdoba als Abd ar-Rahman ad-Dakhil bekannt, als der „neu Angekommene“ oder „Ankömmling“.[1][2]

Mit seiner Erhebung zum Emir (756–788) begann die politische Organisation des umayyadischen Reichs in Spanien. So gründete er die Markgrafschaften Saragossa, Toledo und Mérida, um die Grenze gegen die christlichen Reiche in Nordspanien zu sichern.

Im September 786 n. Chr. (169/170 nach der Hidjra)[1] begann Abd ar-Rahman I. den Bau der Freitags-Moschee in seiner Hauptstadt Córdoba mit dem Abriss einer christlichen Kirche, die ihrerseits wahrscheinlich auf den Resten eines römischen Tempels stand. Die Große Moschee wurde über Generationen von seinen Nachfolgern im Amt immer wieder erweitert.

Für den Westen rückte das islamische Reich auf der Iberischen Halbinsel im Zusammenhang mit der Niederlage Karls des Großen im Jahre 778 in den Fokus des Interesses. Wie es scheint, war der Emir nicht direkt in diese Auseinandersetzung verwickelt. Die Statthalter von Barcelona und Girona hatten den Kaiser der Franken in Paderborn aufgesucht und zu dem Feldzug gegen Abd ar-Rahman ibn Mu'awiyas Reich eingeladen. Dann aber übergaben sie nicht, wie verabredet, kampflos die Stadt Saragossa. Auf seinem Rückzug wurde Karl der Große von aufgebrachten Vaskonen, Vorfahren der heutigen Basken, bedrängt. Er konnte mit kleinem Geleit und knapper Not die Pyrenäen überqueren und sich in Sicherheit bringen. Das Hauptkontingent des Heers wurde beinahe vollständig vernichtet. Die Nachhut unter Hruotland wurde beim Pass von Roncesvalles (Roncevaux) in einen Hinterhalt gelockt und aufgerieben. Das Ereignis ging in das altfranzösische Chanson de Roland und seine spätere deutsche Fassung, das Rolandslied ein. Eine Quelle berichtet, Emir Abd ar-Rahman sei Karl entgegengezogen, doch scheint er den Franken nicht mehr auf dem Boden des Emirats angetroffen zu haben.

Nach Abd ar-Rahmans Tod am 30. September 788 übernahm sein Sohn Hischam I. die Regentschaft über das Emirat von Córdoba. Er bestieg am 7. Oktober 788 den Thron.

Unter al-Hakam I. (796–822) konnte der Aufbau des Emirats fortgesetzt werden. Wiederum kam es zu Zusammenstößen mit den Franken unter Karl dem Großen, die 801 Barcelona eroberten und 806 die Spanische Mark südlich der Pyrenäen gründeten. Es folgte eine Reihe offiziell besiegelter Waffenstillstände (so 810 (195 Hidjra), 812 (197 Hidjra)), die aber stets gebrochen werden. Dabei scheinen die Franken sich offensiv, die Omayyaden eher defensiv verhalten zu haben. Im Jahre 812 wurde mit Admiral Yahya ibn Hakam, offensichtlich einem Enkel Abd ar-Rahmans I. und Sohn des zweiten Emirs, sogar ein Andalusischer Botschafter in die fränkische Hauptstadt Aachen entsandt. Obwohl er als sehr engagiert beschrieben wird, hielt doch auch dieser Friede kaum über Karls Tod 814 (199 Hidjra) hinaus. Schon 815 (200 Hidjra) brachen neue Feindseligkeiten aus.

Im Jahre 818 musste ein Aufstand in Córdoba niedergeschlagen werden. Tausende Aufständische flohen nach Marokko zu den Idrisiden und siedelten sich in Fès an.

Im 9. Jahrhundert wurden die Küsten des Emirats durch die Normannen bedroht, doch konnten diese nach dem Aufbau einer Flotte erfolgreich bekämpft und abgewehrt werden. Gleichzeitig kam es durch die geförderte Zuwanderung von Syrern zu einer verstärkten Orientalisierung des Reichs. Dies führte aber zu einer zunehmenden Abwanderung von Christen aus dem Emirat in die christlichen Reiche von Nordspanien.

Mitte des 9. Jahrhunderts begann unter Muhammad I. (856–886) eine schwere Krise des Emirats, als die Markgrafschaften Mérida, Toledo und Saragossa von den Umayyaden abfielen und im Süden der Aufstand des Umar ibn Hafsun von Bobastro ausbrach (880–917). Unter Abdallah (888–912) beherrschten die Umayyaden zeitweise nur noch Córdoba und sein Umland. Der Untergang des Reiches konnte nur durch ein Bündnis mit Kastilien verhindert werden. Auch wenn unter Abdallah schon die Rückeroberung von al-Andalus begann, konnte doch erst sein Nachfolger Abd ar-Rahman III. (912–961) das Reich endgültig wieder befrieden und vereinigen. 929 ließ er sich zum Kalifen ausrufen und gründete damit das Kalifat von Córdoba.

Kulturelle und zivilisatorische Bedeutung

Das Emirat von Cordoba wurde zur ersten Hochkultur im mittelalterlichen Europa.[3][4] Einen erheblichen Anteil daran hatte das Zusammenleben verschiedener Völker und Religionen in einem gemeinsamen Staatswesen. Dass dieses Zusammenleben weitgehend friedlich verlief, ist eine zivilisatorische Leistung, die einerseits auf der Zusammensetzung der Bevölkerung und andererseits auf der Toleranz des vorherrschenden andalusischen Islam beruhte. Das Emirat wurde immer noch von Nachfahren der römischen Kolonialisten bewohnt, aber auch von Nachfahren der Kelten, der iberischen Urbevölkerung, einem kleinen Kontingent Juden, den Westgoten (visogothi) und deren Nachkommen in großer Zahl, den Berber-Söldnern der arabischen Eroberer und den hauptsächlich aus Syrien und dem Jemen stammenden Arabern. Die Letztgenannten hatten die politische Macht inne, stellten aber wahrscheinlich nur 10 Prozent der Gesamtpopulation. Eine gewisse Toleranz war daher für sie angeraten. Bei den in al-Andalus akzeptierten Glaubensgemeinschaften handelte es sich um die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, wobei auch verschiedene Untergruppen wie die Schiiten zunächst noch toleriert wurden. Das parallele Vorliegen verschiedener Religionen führte zu einer Vergleichbarkeit und damit letztlich auch zu einer Relativierung der Glaubensinhalte. So wandte sich der islamische Jurist, Theologe und Philosoph Abu al-Walid Muhammad Ibn Rushd (lateinisch Averroes) (1126-1198) gegen den Fatalismus, der Christentum wie Islam gleichermaßen durchdrang. Stattdessen entwickelte er die Vorstellung, die materielle Welt sei ewig und Gott nur ein Teil der Welt, eine Art innerer Motor. Eine göttliche Schöpfung, eine creatio ex nihilo, schloss er nach Studium der Schriften aus, ebenso die Existenz einer unsterblichen Seele und der Auferstehung. Diese differenzierte Position des Averroes wurde über seine Schriften weit ins mittelalterliche Europa getragen und resultierte im so genannten Averroismus, der jedwede Göttlichkeit verleugnete und zu einer der Urquellen der europäischen Vernunftphilosophie wurde, zum Ideal einer von religiösen Prämissen freien Erkenntnis.[5] Seit 1230 wurde der Kommentar des Averroes im Westen bekannt. Er spielt eine Rolle bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Auf zwei Synoden wurden die Hauptlehren des Averroismus 1270 und 1277 unter dem Pariser Bischof Stephan Tempier verurteilt.[5] Der andalusische Arzt Abu al-Cassis al-Zahri benutzte im 10. Jahrhundert Katzendarm zum Verschließen von Wunden nach operativen Eingriffen. Seine Chirurgische Enzyklopädie diente 500 Jahre lang als Lehrmaterial in den Universitäten Europas.

Einzelnachweise

  1. a b c d Manuel Nieto Cumplido: Del Eufrates al Guadalquivir – Abd al-Rahman I. Sevilla, RC 1991, ISBN 8487041418.
  2. a b c Évariste Lévi-Provençal: Histoire de l'Espagne Musulmane, (710-912). Paris, 1950.
  3. William Montgomery Watt: Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter. Wagenbach, Berlin 2002, ISBN 3-8031-2420-4.
  4. André Clot: Das maurische Spanien. Albatros, Düsseldorf 2004, ISBN 3-491-96116-5.
  5. a b Evangelisches Kirchenlexikon. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1989, ISBN 3-525-50132-3.

Literatur

  • Ulrich Haarmann, Heinz Halm (Hrsg.): Geschichte der Arabischen Welt. 4. Auflage. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47486-1.
  • Wilhelm Hoenerbach (Hrsg.): Islamische Geschichte Spaniens: Übersetzung der Aʻmāl al-a'lām und ergänzender Texte. Artemis, Zürich/Stuttgart 1970, DNB 457049499.
  • Arnold Hottinger: Die Mauren. Arabische Kultur in Spanien. Wilhelm Fink Verlag, München 1995. ISBN 3-7705-3075-6.
  • Christian Müller: Gerichtspraxis im Stadtstaat Córdoba. Zum Recht der Gesellschaft in einer mâlikitisch-islamischen Rechtstradition des 5./11. Jahrhunderts. Brill, Leiden und andere 1999, ISBN 90-04-11354-1.
  • Antonio Muñoz Molina: Stadt der Kalifen. Historische Streifzüge durch Córdoba. Rowohlt, Reinbek 1994, ISBN 978-3-499-13281-0.

Siehe auch


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