Gemüth

Gemüth

Gemüth umfaßt, dem Wortsinne nach, alle Arten von Muth, als Unmuth, Uebermuth, Hochmuth, Schwermuth, Langmuth, Wehmuth, Demuth, Großmuth u. v. A. Gemüth ist hiernach zuerst das in Thätigkeit versetzte, moralische Empfindungsvermögen oder Gefühl; die Momente der Erregung bezeichnen die oben genannten Arten, in denen sich die besonderen Eindrücke nach innen und außen offenbaren, als: im Unwillen, ausgelassener Lebenslust, Stolz, Tiefsinnigkeit, Ausdauer im Dulden, Schwärmerei für Schmerz, Ergebung, edler Nachsicht u. s. f. Diese verschiedenen Aeußerungen des Gemüthes heißen Gemüthsstimmungen, im erhöhteren Zustande Gemüthsbewegungen, im höchsten Leidenschaften. Die Quelle des Gemüthes ist das Blut, Zur Gemüthlichkeit, d. i. zur leichten Reizbarkeit des Gemüthes (zu unterscheiden von Empfindlichkeit, der krankhaften Erregbarkeit desselben) scheint jene durch Klima besonders bedingte Mischung von Blut erforderlich, die sich eben so wenig allzu schnell verflüchtigt als zu strengflüssig ist, mit Einem Worte, jenes gemäßigte Temperament, das dem germanischen Volke eigen ist, wie allen ihm zunächst verwandten Menschenstämmen. Der Franzose z. B. weiß nicht viel von Gemüthlichkeit, wofür er auch kein Wort hat; eben so wenig der Italiener, der Spanier, der Portugiese u. s. f., bei welchen jene mittleren Chorden der Herzensscala nur leicht berührt werden, die das Gemüth begrenzen, weil sich augenblicklich das ganze Seeleninstrument in stürmische Schwingung versetzt; entgegen dem Nationaltemperamente des Nordens, in welchem das umgekehrte Verhältniß vorwaltet. Wie im Leben, so in der Literatur und Kunst. Das deutsche Gemüth äußert sich in Allem, was wir thun, denken und schaffen; wir leben ein Gemüthsleben, das Gemüth ist unsere letzte Instanz, die Appellation für alle Falle des Wissens und Könnens. Im höchsten Norden wie im tiefsten Süden ist nur Glut der Empfindung oder kalte Melancholie, wie am klarsten die Volkslieder darthun. Der Gemüthlichkeit des Deutschen kommt jene des Engländers zunächst, der ihm auch der nächste Blutsverwandte ist; auch sein häusliches Leben und seine Literatur athmen tiefe Gemüthlichkeit, deren warmer Hauch nur bisweilen der scharfe Wind der Politik abkühlt. Diesem nähern sich die Holländer, Dänen, Schweden; die Russen und Polen sind schwermüthig, nicht sowohl die Reichen, denen meist französische Erziehung zu Theil wird, als vielmehr das Volk – Gemüthlichkeit endlich ist der fruchtbarste Grund der Poesie, wie hier eben wieder die Deutschen und ihre Stammverwandten beweisen; welche Poesie hielte einen Vergleich aus mit der ihrigen? Die Spanier leuchten, die Italiener strahlen, die Franzosen schimmern; erstere aber erwärmen. Da leichte Erregbarkeit des Gefühles, Gemüthlichkeit, dem germanischen Weibe so eigen ist, sind wir auch so reich an herrlichen Frauenwerken, die immer da am trefflichsten erscheinen, wo sie Gegenstände der Gemüthswelt zur künstlerischen Behandlung ausersehen.

B–l.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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