Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht
Bundesverfassungsgericht
— BVerfG —
Bundesadler der deutschen Bundesorgane
Staatliche Ebene Bund
Gründung 28. September 1951[1]
Hauptsitz Karlsruhe
Behördenleitung Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Website www.bundesverfassungsgericht.de

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist in der Bundesrepublik Deutschland das Verfassungsgericht des Bundes. Als Hüter der deutschen Verfassung hat das Gericht eine Doppelrolle einerseits als unabhängiges Verfassungsorgan und andererseits als Teil der judikativen Staatsgewalt auf dem speziellen Gebiet des Staats- und Völkerrechts. Durch seine maßgeblichen Entscheidungen liefert es eine verbindliche Interpretation der Verfassung.[2][3]

Obwohl es Entscheidungen anderer Gerichte kontrolliert, gehört es nicht zum Instanzenzug, sondern überprüft sie als Akte der Staatsgewalt, wie das Handeln von allen anderen Staatsorganen. Dabei findet keine vollständige Rechtsprüfung statt, sondern eine Entscheidung am Maßstab des Verfassungsrechts gemäß Art. 93 Abs. 1 GG. Insofern ist es unzutreffend, das Verfassungsgericht als das oberste deutsche Gericht zu bezeichnen.

Das Gericht hat seinen Sitz in Karlsruhe und ist als Verfassungsorgan von einem befriedeten Bezirk umgeben. Geschützt wird es von der Bundespolizei. Der bekannte Hauptbau im rationalistischen Stil ist ein Entwurf des Architekten Paul Baumgarten.

Wegen einer Grundsanierung des in den Jahren 1965 bis 1969 errichteten Gebäudeemsembles ziehen die beiden Senate, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Funktionspersonal des Gerichts (zusammen ca. 120 Mitarbeiter) ab 21. Juli 2011 vorübergehend in drei ehemalige Stabsgebäude des Kommandos 1 der Luftwaffendivision der Bundeswehr um. Der vorübergehende Amtssitz befindet sich an der Rintheimer Querallee 11 in Karlsruhe. Das Verwaltungspersonal verbleibt überwiegend am Stammsitz. Die Bauarbeiten werden voraussichtlich drei Jahre dauern.[4]

Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

50 Jahre Bundesverfassungsgericht: deutsche Sonderbriefmarke von 2001

Verfassungsgerichtsbarkeit ist in Deutschland keine Erfindung aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits Institutionen wie das Reichskammergericht ab 1495 und der Reichshofrat ab 1518 sprachen Recht zwischen Staatsorganen. Nach der Paulskirchenverfassung 1849 hätte das Reichsgericht mit verfassungsrechtlichen Kompetenzen ausgestattet sein sollen, nach dem Vorbild des US Supreme Court. 1850 entstand mit dem Bayerischen Staatsgerichtshof in Deutschland das erste spezielle Gericht für verfassungsrechtliche Fragen. Die Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 hingegen sah kein Verfassungsgericht vor. Die Weimarer Verfassung führte 1919 mit dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich ein eingeschränktes Verfassungsgericht ein.

Mit dem Bundesverfassungsgericht sah ab 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) eine juristische Infrastruktur sui generis vor.

Errichtung, Aufgaben und Besetzung des Verfassungsgerichts werden in den Artikeln 92 bis 94 GG geregelt. Weitere Regeln über Organisation, Befugnisse und Verfahrensrecht finden sich im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG). Das Gericht bedurfte anders als die übrigen Verfassungsorgane der Konstituierung durch dieses Gesetz. Es nahm seine Arbeit zwei Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes auf – am 9. September 1951 wurden die ersten Entscheidungen getroffen; als „Tag der Eröffnung“ wird in den Annalen des Gerichts der 28. September 1951 bezeichnet.

Bindungswirkung und Gesetzeskraft

Die besondere Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts kommt in § 31 Abs. 1 BVerfGG zum Ausdruck:

„Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.“

Die formelle Bindungswirkung einer Entscheidung besteht nur im konkreten Fall (inter partes). Es besteht keine inhaltliche Bindung für andere Gerichte an die ausgeurteilte Rechtsmeinung des Gerichts. Diese haben keine Gesetzeskraft. Die Rechtsmeinung des Bundesverfassungsgerichts ist aber eine Richtschnur für die untergeordneten Gerichte, die meist auch befolgt wird. Abweichungen sind recht selten. Jedes Gericht kann aber in einem anderen gleich oder ähnlich gelagerten Fall einer anderen juristischen Meinung folgen, wenn es dies für richtig hält.

In den in § 31 Abs. 2 BVerfGG genannten Fällen haben die Entscheidungen des Gerichts jedoch Gesetzeskraft und gelten für jedermann (inter omnes). Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Verfahren, in denen das Gericht feststellt, ob ein Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht. Die Feststellung, dass ein Gesetz, das nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verabschiedet wurde, verfassungswidrig ist, steht nur dem Bundesverfassungsgericht zu (§ 95 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 BVerfGG; Normverwerfungskompetenz). Hält ein anderes Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig, so hat es dies dem BVerfG gemäß Art. 100 GG vorzulegen, soweit dies entscheidungserheblich ist (konkrete Normenkontrolle).

Obwohl der Wortlaut des § 95 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 BVerfGG eindeutig ist („… so ist das Gesetz für nichtig zu erklären“), sieht das Bundesverfassungsgericht in einigen Fällen von einer Nichtigkeitserklärung ab und trägt dem Gesetzgeber stattdessen eine Neuregelung der Gesetzesmaterie auf; bis zur Neuregelung ist das Gesetz dann weiterhin gültig, aber nicht mehr anwendbar. Stark vereinfachend kann man sagen, dass dies immer dann aufgetragen wird, wenn ein Gesetz (nur) gleichheitswidrig ist.

Organisation und Spruchkörper

Erster Senat 1989
Zweiter Senat 1989
Verhandlung des Zweiten Senats, 1989

Das Gericht ist aufgeteilt in zwei Senate und sechs Kammern mit unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten. Diese Verteilung geschieht durch die Geschäftsordnung, die das Bundesverfassungsgericht selbst erlässt und ändern kann.

Zunehmend wird dabei der juristische Hintergrund und Schwerpunkt der Richter berücksichtigt. Vereinfachend lässt sich der erste Senat als „Grundrechtssenat“ und der zweite Senat als „Staatsrechtssenat“ klassifizieren: So ist der erste Senat vor allem für Fragen der Auslegung der Art. 1 bis 17, 19, 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG zuständig, während Organstreitigkeiten zwischen Verfassungsorganen oder Parteiverbotsverfahren eher vor den zweiten Senat gelangten.

Jeder Senat war ursprünglich mit zwölf Richtern besetzt. Mit Wirkung zum Jahre 1963 wurde die Zahl der Richter auf acht gesenkt. Dies schließt den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts ein, die jeweils einem der Senate vorsitzen. Die Richter der Senate werden bei ihrer Tätigkeit von Geschäftsstellen, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Präsidialräten unterstützt.

Ein Senat ist beschlussfähig, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Eine Nachbesetzung bzw. ein Ersetzen von ausscheidenden Richtern während eines laufenden Verfahrens findet nicht statt. Sind so viele Richter während eines Verfahrens ausgeschieden, dass das Gericht nicht mehr beschlussfähig ist, muss die Verhandlung nach der Nachwahl neu aufgenommen werden.

Wegen der geraden Anzahl der Richter in einem Senat sind Pattsituationen möglich (so genannte Vier-zu-vier-Entscheidung). In den meisten Verfahren obsiegt ein Antragsteller oder Beschwerdeführer, wenn mindestens fünf Richter seine Rechtsauffassung teilen. In einigen besonderen Verfahren, d. h. solchen, die besonders eingriffsintensiv sind, bedarf es indes einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit; also der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats (das heißt sechs von acht Richtern).

Die Senate berufen innerhalb ihrer Geschäftsbereiche selbständig mehrere Kammern, die mit jeweils drei Richtern besetzt sind. Diese Kammern entscheiden bei Verfassungsbeschwerden, konkreten Normenkontrollen und Verfahren nach dem PUAG anstelle des Senats und entlasten ihn, soweit die zugrunde liegende Rechtsfrage vom Senat bereits entschieden ist. Zurzeit bestehen bei jedem Senat jeweils drei Kammern. Daher sind manche Richter in mehreren Kammern Mitglied.

Entscheidet der Senat nicht einstimmig, haben die unterlegenen Richter die Möglichkeit, einzeln oder gemeinsam der Entscheidung des Gerichtes ein Sondervotum beizufügen. Dieses wird dann gemeinsam mit der Entscheidung des Gerichts unter der Überschrift „Abweichende Meinung des Richters …“ veröffentlicht.

Zur Vereinheitlichung seiner Rechtsprechung tritt das Gericht als Plenum zusammen, wenn ein Senat von der Rechtsprechung des anderen Senates abweichen will. Hierzu bedarf es eines Vorlagebeschlusses des abweichenden Senats. Das Plenum besteht aus allen Richtern, den Vorsitz führt der Präsident. Bisher wurde das Plenum nur viermal angerufen.

Richter

Richter dieses Gerichts zu sein, gilt als hohe berufliche Ehre; bekannte Persönlichkeiten sind und waren Richter des Bundesverfassungsgerichts. Gewählt werden die Richter zur Hälfte von einem speziellen Wahlausschuss des Deutschen Bundestags und zur anderen Hälfte vom Bundesrat. Sie haben eine Amtszeit von zwölf Jahren und können nicht wiedergewählt werden. Diese 1970 in Kraft getretene Regelung[5] soll ihre persönliche Unabhängigkeit stärken.

Während im Bundesrat eine direkte Wahl mit Zweidrittelmehrheit stattfindet, wählt im Bundestag ein Wahlausschuss aus zwölf Abgeordneten, die unter Zugrundelegung des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens gewählt werden. Ein Kandidat ist gewählt, wenn er mindestens acht Stimmen (Zweidrittelmehrheit) der gesetzlichen Mitglieder dieses Ausschusses auf sich vereinigt. Dabei werden drei Richter jedes Senats aus den Richtern an den obersten Gerichtshöfen des Bundes ausgewählt.

Wählbar ist jeder, der mindestens 40 Jahre alt ist und nach dem Deutschen Richtergesetz die Befähigung zum Richteramt besitzt (2. Juristisches Staatsexamen oder Professor der Rechte an einer deutschen Universität – dem gleichgestellt ist der Abschluss eines Diplomjuristen nach damaligen DDR-Recht). Er muss zum Bundestag wählbar sein und darf weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören. Er kann zwar zum Zeitpunkt der Wahl zum Bundesverfassungsrichter den vorgenannten Organen angehören, scheidet jedoch mit der Ernennung zum Bundesverfassungsrichter aus den vorgenannten Organen aus.

Gemäß § 4 Abs. 3 BVerfGG besteht eine Altersgrenze von 68 Jahren für die Richter. Mit Ablauf des Monats, in dem der Richter 68 Jahre alt wird, endet seine Amtszeit, wobei er allerdings das Amt noch weiterführt, bis ein Nachfolger ernannt ist. Nach § 105 BVerfGG kann das Plenum bei dauerhafter Dienstunfähigkeit eines Richters den Bundespräsidenten ermächtigen, diesen in den Ruhestand zu versetzen.

Präsident und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts werden nach § 9 BVerfGG abwechselnd von Bundestag und Bundesrat bestimmt. Üblicherweise sind dies die Senatsvorsitzenden; auch ist es üblich, nach Ausscheiden eines Präsidenten aus dem Amt den Vizepräsidenten zu seinem Nachfolger zu bestimmen.

Der Präsident ist Dienstvorgesetzter der Beamten des Gerichts. Das Gericht unterliegt als Verfassungsorgan keiner Dienstaufsicht.

Senate

Der erste Senat ist zuständig für Verfassungsbeschwerden (mit Ausnahme von Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und solchen aus dem Bereich des Wahlrechts) sowie Normenkontrollverfahren, in denen überwiegend die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird. Der zweite Senat entscheidet über die sonstigen Verfahren.

Beabsichtigt ein Senat, eine von der Rechtsauffassung des anderen Senats abweichende Entscheidung zu fällen, entscheidet das Plenum des Bundesverfassungsgerichts.

Erster Senat

Richter des Ersten Senats
Name Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit nominiert von gewählt von Nachfolger von
Ferdinand Kirchhof (* 1950) 1. Okt. 2007 Juni 2018 CDU/CSU Bundestag Udo Steiner
Reinhard Gaier (* 1954) Nov. 2004 Nov. 2016 SPD Bundesrat Renate Jaeger
Michael Eichberger (* 1953) Apr. 2006 Apr. 2018 CDU/CSU Bundesrat Dieter Hömig
Wilhelm Schluckebier (* 1949) Okt. 2006 Nov. 2017 CDU/CSU Bundestag Evelyn Haas
Johannes Masing (* 1959) 2. Apr. 2008 Apr. 2020 SPD Bundesrat Wolfgang Hoffmann-Riem
Andreas Paulus (* 1968) 16. Mrz. 2010 Mrz. 2022 FDP Bundestag Hans-Jürgen Papier
Susanne Baer (* 1964) 2. Feb. 2011 Feb. 2023 Bündnis 90/Die Grünen Bundestag Brun-Otto Bryde
Gabriele Britz (* 1968) 2. Feb. 2011 Feb. 2023 SPD Bundesrat Christine Hohmann-Dennhardt
Kammern des Ersten Senats (2011)[6]
Kammer 1. Richter 2. Richter 3. Richter
1. Kammer Kirchhof Eichberger Masing
2. Kammer Gaier Paulus Britz
3. Kammer Kirchhof Schluckebier Baer

Zweiter Senat

Richter des Zweiten Senats
Name Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit nominiert von gewählt von Nachfolger von
Andreas Voßkuhle (* 1963) 7. Mai  2008 Mai  2020 SPD Bundesrat Winfried Hassemer
Udo Di Fabio (* 1954) Dez. 1999 Dez. 2011 CDU/CSU Bundesrat Paul Kirchhof
Gertrude Lübbe-Wolff (* 1953) Apr. 2002 Apr. 2014 SPD Bundestag Jutta Limbach
Michael Gerhardt (* 1948) Juli 2003 Juli 2015 SPD Bundestag Bertold Sommer
Herbert Landau (* 1948) Okt. 2005 30. Apr. 2016 CDU/CSU Bundesrat Hans-Joachim Jentsch
Peter M. Huber (* 1959) 16. Nov. 2010 15. Nov. 2022 CDU/CSU Bundestag Siegfried Broß
Monika Hermanns (* 1959) 16. Nov. 2010 15. Nov. 2022 SPD Bundestag Lerke Osterloh
vakant seit dem 31. Okt. 2011 Bundesrat Rudolf Mellinghoff
Kammern des Zweiten Senats (2011)[7]
Kammer 1. Richter 2. Richter 3. Richter
1. Kammer Voßkuhle Gerhardt Landau
2. Kammer Di Fabio Gerhardt Hermanns
3. Kammer Mellinghoff Lübbe-Wolff Huber

Präsidenten und Vizepräsidenten

Der Präsident und der Vizepräsident (der aus dem Senat zu wählen ist, dem der Präsident nicht angehört) führen in ihrem Senat den Vorsitz.

Der Präsident des Bundesverfassungsgericht steht nach den diplomatischen protokollarischen Gepflogenheiten nach dem Bundespräsidenten, dem Präsidenten des Bundestages, dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des Bundesrates an fünfter Stelle im Staat.

Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts

Nr. Name Lebensdaten Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit
1 Hermann Höpker-Aschoff 1883–1954 7. September 1951 15. Januar 1954
2 Josef Wintrich 1891–1958 23. März 1954 19. Oktober 1958
3 Gebhard Müller 1900–1990 8. Januar 1959 8. Dezember 1971
4 Ernst Benda 1925–2009 8. Dezember 1971 20. Dezember 1983
5 Wolfgang Zeidler 1924–1987 20. Dezember 1983 16. November 1987
6 Roman Herzog * 1934 16. November 1987 30. Juni 1994[8]
7 Jutta Limbach * 1934 14. September 1994 10. April 2002
8 Hans-Jürgen Papier * 1943 10. April 2002 16. März 2010
9 Andreas Voßkuhle * 1963 16. März 2010 voraussichtlich März 2020 (Amtszeit)

Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts

Nr. Name Lebensdaten Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit
1 Rudolf Katz 1895–1961 7. September 1951 23. Juli 1961
2 Friedrich Wilhelm Wagner 1894–1971 19. Dezember 1961 18. Oktober 1967
3 Walter Seuffert 1907–1989 18. Oktober 1967 7. November 1975
4 Wolfgang Zeidler 1924–1987 7. November 1975 20. Dezember 1983
5 Roman Herzog * 1934 20. Dezember 1983 16. November 1987
6 Ernst Mahrenholz * 1929 16. November 1987 24. März 1994
7 Jutta Limbach * 1934 24. März 1994 14. September 1994
8 Johann Friedrich Henschel 1931–2007 29. September 1994 13. Oktober 1995
9 Otto Seidl * 1931 13. Oktober 1995 27. Februar 1998
10 Hans-Jürgen Papier * 1943 27. Februar 1998 10. April 2002
11 Winfried Hassemer * 1940 10. April 2002 7. Mai 2008
12 Andreas Voßkuhle * 1963 7. Mai 2008 16. März 2010
13 Ferdinand Kirchhof * 1950 16. März 2010 voraussichtlich Juni 2018 (Amtszeit)

Frauenanteil im Bundesverfassungsgericht seit 1951

Bundesverfassungsgericht Frauenanteil Richterin II; 1951 bis Februar 2011.png

Heute sind Frauen mit den Richterinnen Susanne Baer und Gabriele Britz im Ersten Senat sowie Gertrude Lübbe-Wolff und Monika Hermanns im Zweiten Senat in einem Anteil von genau einem Viertel der je acht Verfassungsrichter vertreten. Seit seiner Gründung 1951 wurden vierzehn Frauen zu Richterinnen des Bundesverfassungsgerichts berufen.

In seiner Entwicklung war der Frauenanteil am gesamten Bundesverfassungsgericht lange Zeit kaum verschieden von dem im Deutschen Bundestag, der die Hälfte der Bundesverfassungsrichter wählt. Bis Mitte der 1980er Jahre lag die Frauenbeteiligung in beiden Gremien unter 10 Prozent und stieg dann bis in die 90er Jahre zügig auf knapp ein Drittel ihrer jeweiligen Mitglieder an. Während sich der Frauenanteil unter den rund 600 Bundestagsabgeordneten bis heute auf diesem Niveau bewegt, fiel er im Bundesverfassungsgericht nach 2006 durch die ausbleibende Berufung weiblicher Nachfolger zweier Richterinnen zwischenzeitlich auf knapp 20 Prozent.

Einzeln betrachtet haben sich Erster und Zweiter Senat, die in ihrer Arbeit getrennte Gremien sind, in ihrer Frauenbeteiligung sehr unterschiedlich entwickelt. Während im Ersten Senat von der Gründung des Gerichts an eine Richterin vertreten war, arbeitete im Zweiten Senat bis zur Berufung von Karin Graßhof 1986 keine Frau. Seit dem Amtsantritt von Jutta Limbach 1994, die vom Bundestag wenig später zur Präsidentin des Gerichts ernannt wurde,[9] ist der Zweite Senat dauerhaft mit genau zwei Frauen besetzt.

Im Jahr 1994, in dem der Bundestag auch den staatlichen Anspruch der Hinwirkung auf die Gleichstellung von Männern und Frauen als Verfassungszusatz[10] festschrieb, wurde im Ersten Senat durch die Berufung zweier Verfassungsrichterinnen auf vorher mit Männern besetzten Stellen der Anteil der hier tätigen Frauen verdreifacht. Mit nunmehr drei Richterinnen (37,5 Prozent) war der Erste Senat von 1994 bis 2004 lediglich eine Richterstelle entfernt von einer „halbe-halbe“ Zusammensetzung aus Männern und Frauen. Nach 2006 fiel hier der Frauenanteil auf die bereits von 1951 bis 1994 bestehende Beteiligung von lediglich einer Richterin zurück, was zu Kritik führte und dem Gremium aufgrund des Zahlenverhältnisses von einer Frau zu sieben Männern erneut den Namen „Schneewittchen-Senat“ eintrug.[11] Seit Februar 2011 sind mit der Berufung von Susanne Baer als Nachfolgerin von Brun-Otto Bryde und Gabriele Britz auf die seit der Gerichtsgründung weiblich besetzte Richterstelle wieder zwei Frauen im Ersten Senat tätig.

Zuständigkeiten und Verfahrensarten (Überblick)

Das Bundesverfassungsgericht ist zur Streitentscheidung nur zuständig, wenn sich dies aus dem GG (Grundgesetz) oder § 13 BVerfGG ergibt (sogenanntes Enumerativprinzip). Wie jedes andere Gericht kann es nicht von sich aus aktiv werden, sondern muss angerufen werden. Neben seinen Aufgaben auf Bundesebene kann es eine Zuständigkeit bei Verfassungsstreitigkeiten um die Auslegung von Landesverfassungen geben, wenn dies die Verfassung eines Bundeslandes vorsieht. Ein Beispiel hierfür war das Land Schleswig-Holstein (Art. 44 LVerf Schl.-H. alter Fassung), welches aber 2008 als letztes Bundesland nun ebenfalls ein eigenes Landesverfassungsgericht errichtet hat, das seitdem diese Aufgabe erfüllt.

Nicht zuständig ist das Bundesverfassungsgericht jedoch bei Streitigkeiten, die die Europäische Union oder ihre Verträge berühren. In diesem Fall ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig. Allerdings entscheidet das Bundesverfassungsgericht dann über Fragen im Zusammenhang mit Europarecht, wenn diese die Auslegung der deutschen Verfassung betreffen, wie etwa im bekannten Urteil Solange II.

Verfassungsbeschwerde

Hauptartikel: Verfassungsbeschwerde

Jeder (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), der sich in seinen Grundrechten durch staatliches Handeln verletzt sieht, kann eine Verfassungsbeschwerde einreichen („Individualbeschwerde“). Unter staatlichem Handeln ist jeder Akt der öffentlichen Gewalt zu verstehen, der in Rechtspositionen des Grundrechtsträgers eingreift. Darunter fallen alle Akte der vollziehenden Gewalt, Rechtsprechung und Gesetzgebung. Nicht nur Handeln, sondern auch Unterlassen können Akte der öffentlichen Gewalt umfassen. Der sogenannte klassische Eingriffsbegriff, der bis 1992 maßgeblich war, definierte darunter einen Eingriff, der

  • final und nicht nur unbeabsichtigte Folge staatlichen Handelns ist
  • unmittelbar ist
  • durch einen Rechtsakt mit imperativer Außenwirkung begründet ist.

Das moderne Eingriffsverständnis verzichtet auf die Merkmale des Rechtsaktes, der Unmittelbarkeit und der imperativen Außenwirkung und macht im Ergebnis fast jede Einwirkung des Staates überprüfbar.

Das Gericht ist jedoch keine Superrevisionsinstanz: Eine falsche Anwendung einfacher Gesetze durch Fachgerichte genügt nicht für eine zulässige Beschwerde, wenn diese Rechtspositionen nicht grundrechtlich geschützt sind. Allerdings berührt jede Verletzung einfachen Rechts das Grundrecht auf Gleichheit, wenn die betreffende Auslegung willkürlich ist.

Es gibt verschiedene Verfassungsbeschwerden:

  • gegen Gesetze oder andere Normen des Bundes
  • gegen Gesetze oder andere Normen eines Landes, sofern kein Landesverfassungsgericht zuständig ist
  • gegen eine Behördenentscheidung
  • gegen eine Gerichtsentscheidung
  • gegen jedes andere staatliche oder dem Staat zuordenbare Handeln

Auch juristische Personen können Verfassungsbeschwerde erheben. Dies aber nur, sofern die Grundrechte ihrem Wesen nach auf juristische Personen Anwendung finden können (Art. 19 Abs. 3 GG), etwa Berufsfreiheit (Art. 12 GG) oder Eigentum (Art. 14 GG), nicht aber Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich nicht beschwerdebefugt (so entschieden im Sasbach-Fall; Ausnahmen aber etwa bei der Rundfunkfreiheit (Art. 5 GG) möglich).

Gemeinden und Gemeindeverbände können eine Verfassungsbeschwerde mit der Begründung einreichen, sie seien in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht verletzt. In diesem Fall spricht man von „Kommunalverfassungsbeschwerden“ – nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Kommunalverfassungsstreit, welcher ein innergemeindliches verwaltungsrechtliches Organstreitverfahren ist.

Damit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, darf dem Beschwerdeführer kein anderes Rechtsmittel mehr offen stehen („Subsidiaritätsprinzip“). Ausnahmen sind allenfalls dann zulässig, wenn dem Beschwerdeführer die Ausschöpfung des Rechtsweges nicht zumutbar ist und die wirksame Durchsetzung seiner Grundrechte sonst vereitelt werden würde, oder wenn die Entscheidung der Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde ist die bei weitem häufigste Verfahrensart. Der größte Teil dieser Verfahren wird nicht durch die Senate, sondern durch eine Kammer entschieden, wenn sie bereits geklärte Rechtsfragen aufwerfen oder offensichtlich unbegründet oder begründet sind. Zum Teil kann das Gericht in solchen Fällen a limine entscheiden.

Eine „Bearbeitungsgarantie“ gibt es bei der Verfassungsbeschwerde nicht. Nur 2,5 % aller Beschwerdeanträge werden bearbeitet. Neben der Möglichkeit einer A-Limine-Abweisung wurde ab 1993 mit § 93d BVerfGG die Möglichkeit geschaffen, Verfassungsbeschwerden ohne Begründung nicht zur Entscheidung anzunehmen. Begründet wurde dies rechtspolitisch damit, dass Begründungen richterlicher Entscheidungen nur zum Anrufen weiterer Instanzen notwendig seien. Das Gericht gehöre nicht zum Instanzenzug. Damit wurde Bürgern ihr Kontrollrecht entzogen und das Grundrecht auf Selbstbestimmung eingeschränkt. Von der Möglichkeit, eine Missbrauchsgebühr für das grundsätzlich gerichtsgebührenfreie Verfahren zu erheben, machte das Gericht bisher in seiner Praxis sehr selten Gebrauch.

Konkrete Normenkontrolle

Ein Fachgericht, das ein bestimmtes entscheidungserhebliches Bundesgesetz für unvereinbar mit dem Grundgesetz oder ein Landesgesetz für unvereinbar mit einem Bundesgesetz hält, muss durch Beschluss das Verfahren der konkreten Normenkontrolle einleiten (Art. 100 GG). Dadurch unterbricht es das eigene Verfahren und gibt den Fall zur inzidenten Prüfung an das Verfassungsgericht ab. Nur das Verfassungsgericht kann Gesetze für verfassungswidrig erklären und verfügt exklusiv über die Normverwerfungskompetenz im deutschen Rechtssystem (bei Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einer Landesverfassung ist das Gesetz dem nach Landesrecht zuständigen Gericht vorzulegen).

Nicht zulässig ist eine konkrete Normenkontrolle jedoch für vorkonstitutionelles Recht, also für Gesetze, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet worden sind. Ihre Anwendung können Fachgerichte und Behörden selbst verwerfen. Hierunter fallen jedoch nicht folgende Fälle:

  • wesentliche Bestandteile des vorkonstitutionellen Gesetzes wurden nach Inkrafttreten des Grundgesetzes geändert oder
  • Verweisung eines neuen Gesetzes zu einem vorkonstitutionellen Gesetz oder
  • das neue Gesetz steht in einem engen sachlichen Zusammenhang zum vorkonstitutionellen Gesetz oder
  • das vorkonstitutionelle Gesetz wurde neu verkündet.

Wenn es in einem gerichtlichen Verfahren auf die Gültigkeit einer Norm des Gemeinschaftsrechts ankommt, hat das Fachgericht zunächst die Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Wenn der EuGH ihre Gültigkeit bejaht, hat das deutsche Fachgericht aber gleichwohl eine Vorlage zum BVerfG als konkrete Normenkontrolle zu beschließen (entsprechende Anwendung von Art. 100 Abs. 1 GG), wenn es von der Ungültigkeit der EU-Norm

  • wegen Verletzung des nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG unabdingbaren grundrechtlichen Mindeststandards oder
  • wegen Überschreitung der Gemeinschaftskompetenzen (Ausbrechen aus dem „Integrationsprogramm“ der Verträge)

überzeugt ist. → Übersicht, Solange I, Solange II, Maastricht-Urteil

Abstrakte Normenkontrolle

Das BVerfG wird auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder mindestens eines Viertels der Mitglieder des Bundestags tätig. Die abstrakte Normenkontrolle ermöglicht somit der Opposition, die Verfassungsmäßigkeit eines von der die Regierung stützenden Mehrheit beschlossenen Gesetzes oder völkerrechtlichen Vertrags prüfen zu lassen.

Organstreit

Ein Organstreit ist ein Rechtsstreit zwischen staatlichen Organen (und mit eigenen Rechten ausgestatteter Teile dieser Organe) über Rechte und Pflichten, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben, namentlich aus der Verfassung oder aus ihrer in Selbstverwaltung gegebenen Geschäftsordnung oder Satzung.

Bund-Länder-Streit

Ein Bund-Länder-Streit wird bei einer Differenz zwischen Bund und Ländern über Rechte und Pflichten aus der Verfassung, beispielsweise in Fragen der Gesetzgebungskompetenz angestrengt.

Kompetenz-Surrogation bei konkurrierender Gesetzgebung

Eine komplexe Variante des Bund-Länder-Streits ist das Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 GG. Es handelt sich hierbei um eine Feststellungsklage mit dem Ziel, die gesetzgeberische Ersetzungsbefugnis von Bundesländern nach Art. 72 Abs. 2 GG festzustellen, wenn der Bund hierbei nicht kooperiert.

Formelle Anforderungen

Ausgestaltet ist das Verfahren ähnlich einer Feststellungsklage, jedoch ohne besondere Subsidiaritätserfordernisse hinsichtlich anderer Verfahren. Im Gegenteil, diese Verfahrensart ist vorrangig im Verhältnis zum Bund-Länder-Streit, da sie die speziellere ist.

Antragsberechtigt sind Inhaber des landesgesetzgeberischen Initiativrechts (Landesregierung oder Volksvertretung eines Landes) und der Bundesrat.

Materielle Anforderungen

Das Ziel des Verfahrens ähnelt dem § 894 ZPO, also ein Surrogat für die fehlende Willenserklärung des Bundes in Gesetzesform zu erwirken:

Art. 74 GG bestimmt die Bereiche für konkurrierende Gesetzgebung des Bundes. Manche davon sind jedoch mit dem Vorbehalt der Ersatzbefugnis zugunsten der Länder versehen, wenn eine Bundesgesetzgebung nicht erforderlich ist (Art. 72 Abs. 2 GG) oder den Kontinuitätsanforderungen nicht genügt, weiterhin als Bundesrecht erlassen werden zu können (Art. 125a Abs. 2 GG).

Sie ist erforderlich, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung gebieten.[12] Besteht dieses Erfordernis nicht mehr, kann der Bund dies in einem Gesetz feststellen und Rechtssicherheit für Ersatzgesetze durch die Länder schaffen. Dies hat deklaratorische Wirkung für die Ersetzungsbefugnis – Art. 72 Abs. 3 GG. Tut er dies nicht und herrscht Streit über die Ersetzungsbefugnis der Landesgesetzgeber, kann auf Feststellung geklagt werden.

Die Feststellung ist ein Surrogat für eine deklaratorische Bundesregelung. Sie hat Gesetzeskraft. Es handelt sich also um ein Kompetenz-Surrogat für die konkurrierende Surrogations-Gesetzgebung.

Parteiverbot

Hauptartikel: Parteiverbotsverfahren

Parteiverbote sind Verfahren nach Artikel 21 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG. Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Bisher wurden 1952 die SRP (Sozialistische Reichspartei) und 1956 die KPD verboten. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD ist vom Gericht 2003 aus Verfahrensgründen eingestellt worden.

Verwirkung von Grundrechten

Hauptartikel: Grundrechtsverwirkung

Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. In der Geschichte des Gerichts waren vier Verfahren anhängig.

Wahlprüfung

Das Gericht ist die zweite und letzte Instanz bei Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Bundestags- und Europawahl (Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland). Die erste Instanz ist, als selbst verwaltetes Organ, der Bundestag selbst. Eine Wahlprüfungsbeschwerde können Mitglieder des Bundestages, der Bundesrat, die Bundesregierung oder ein Quorum von mindestens 101 wahlberechtigten Bürgern erheben. Es müsste hierzu durch Handeln oder Unterlassen während der Wahl ein Fehler aufgetreten sein, der sich auf die Sitzverteilung im Bundestag auswirkte.

Anklagen gegen den Bundespräsidenten

Hauptartikel: Präsidentenanklage

Antragsberechtigt sind Bundestag und Bundesrat. Eine solche Anklage ist noch nie vorgekommen.

Vergleiche

Vergleiche vor dem Bundesverfassungsgericht sind de jure nicht vorgesehen. Gleichwohl machte der Erste Senat im Verfahren um Normenkontrollantrag bzw. Verfassungsbeschwerden in Hinblick auf den Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) – Unterricht in Brandenburg faktisch einen Vergleichsvorschlag.[13]

Ausschlaggebend hierfür war, dass der Streit auch Religionsunterricht und damit eine res mixta betraf und das Gericht eine hoheitliche Entscheidung gegenüber den Religionsgemeinschaften vermeiden wollte. Der Vergleich entsprach eher dem Kooperationsverhältnis, in dem die res mixta zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zu regeln sind.

Rechtsgutachten

Die Möglichkeit, vom Bundesverfassungsgericht ein Rechtsgutachten einzuholen, bestand nur in dessen Anfangsjahren nach § 97 BVerfGG alter Fassung. Zu einem solchen Gutachten kam es nur zweimal: 1951 erstellte das Gericht ein Gutachten über die Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates zum Gesetz über die Verwaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer;[14] 1954 ein Gutachten über die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass eines Baugesetzes.[15]

Plenarentscheidungen

Plenarentscheidungen nach § 16 BVerfGG sind nötig, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will.

Dies war etwa der Fall bei der Frage der Klagebefugnis politischer Parteien im Organstreitverfahren.[16]

Vorläufiger Rechtsschutz

Wie nach jeder anderen Prozessordnung kann das Verfassungsgericht vorläufige Entscheidungen treffen, bis das Hauptverfahren entschieden ist (einstweilige Anordnungen gemäß § 32 BVerfGG). Eine Besonderheit liegt darin, dass sich Organstreitverfahren und Normenkontrollen in der Praxis erledigen, wenn sie politisch brisant sind. Die „unterliegende“ Seite betreibt das Hauptverfahren oft nicht weiter.

Vorläufiger Rechtsschutz wurde beispielsweise vor der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das Volkszählungsgesetz (Volkszählungsurteil)[17] in Gestalt der Aussetzung der Durchführung des Volkszählungsgesetzes gewährt.[18]

Sonstige Verfahren

Neben den oben aufgeführten Zuständigkeiten und Verfahrensarten wird das Bundesverfassungsgericht auch in anderen ihm durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig (Art. 93 Abs. 3 GG). Ein Beispiel hierfür ist das Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 Abs. 2 bis 6 des Grundgesetzes, das gegen ein abgelehntes Volksbegehren die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ermöglichte. In einem solchen Verfahren fällte das Gericht das Lübeck-Urteil.

Bedeutende Entscheidungen

Entscheidungen des Gerichts werden u. a. in der amtlichen Sammlung BVerfGE sowie auf der Internet-Seite des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht.

Grundrechtsschutz im Privatrecht

Die Grundrechte dienten in ihrem Ursprung als Abwehrrechte gegen den Staat. Primär der Schutz der Rechte des Einzelnen, später auch das Recht, zur allgemeinen Handlungsfreiheit vom Staat in Ruhe gelassen zu werden (Allgemeines Persönlichkeitsrecht). Heute ist allgemein anerkannt, dass der Schutz der Grundrechte nicht nur im Verhältnis Bürger–Staat zur Anwendung kommt, sondern auch im Verhältnis Bürger–Bürger die Grundrechte des Einzelnen zählen. Dieses geht so aus dem Grundgesetz und seiner Entstehung nicht hervor. Ursprung ist das Lüth-Urteil, in dem es um diesen Streitpunkt ging. Das BVerfG betont hier, dass es das Grundgesetz als ein „Wertesystem“ betrachte, das seinen Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit finde. Als solches müsse es für alle Bereiche des Rechts gelten. Daher beeinflusse es auch das bürgerliche Recht. Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift dürfe in Widerspruch zu ihm stehen, jede müsse im Geiste des Grundgesetzes ausgelegt werden.

Menschenwürde

  • Keine „Abwägung Grundrechte gegen Menschenwürde“ ohne besonders schwerwiegenden Verstoß, denn die Grundrechte sind Ableitungen der Menschenwürdegarantie (vgl. Benetton-Entscheidungen)
  • Keine „Abwägung Leben gegen Leben“, ist das Credo der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz 2005. Die Verfassung verbietet dem Staat, einige wenige Menschen zu töten, um viele andere zu retten, unter allen Umständen.[19]
  • Mehrere gesetzliche Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB) werden durch das Gericht für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben, weil sie dem Lebensschutzmaßstab des Grundgesetzes nicht entsprachen. Das Gericht sah den Konflikt zwischen Menschenwürde und menschlichem Leben durch den Gesetzgeber nicht befriedigend gelöst.

Grundrechtsschutz allgemein und Prozessuales

  • Das Elfes-Urteil[20] behandelte 1957 die allgemeine Handlungsfreiheit, rechtlich bedeutsam ist es durch die Definition des prozessualen Grundrechtsschutzes: Das Gericht definiert als „verfassungsmäßige objektive Rechtsordnung“ die Gesamtheit aller Normen auf allen normenhierarchischen Ebenen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und weist darauf hin, dass grundrechtlich geschützte Positionen nicht nur im Grundgesetz niedergelegt sind, sondern zahlreich und oft durch einfaches Recht fallkonkret geregelt werden. Ein Verstoß dagegen kann immer mindestens als Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG gerügt und vom Verfassungsgericht überprüft werden. Da jedoch das deutsche Rechtssystem eine Superrevision nicht kennt, bedarf es einer verfassungsrechtlich fokussierten Begrenzung (sogenannte „Heck’sche Formel“), wonach das Gericht die Entscheidungen von Fachgerichten nur auf die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ prüft:
    • wenn der Einfluss einer Verfassungsnorm ganz oder grundsätzlich verkannt wurde
    • wenn die Rechtsanwendung grob oder offensichtlich willkürlich war oder
    • wenn die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten wurden.

Gewissensfreiheit

  • In seinem Beschluss vom 20. Dezember 1960 (Kriegsdienstverweigerung I)[21] entwickelt das Bundesverfassungsgericht folgende Definition für eine Gewissensentscheidung: Jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.
  • Das Gericht hebt 1978 ein Bundesgesetz auf, nach dem Wehrpflichtige den Kriegsdienst durch eine schriftliche Erklärung verweigern konnten, ohne im einzelnen ihre Gewissensentscheidung darzulegen (auch als „Verweigerung per Postkarte“ bezeichnet).[22]

Kunstfreiheit

Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz)

  • 1983 wurde im Volkszählungsurteil ein im Grundgesetz nicht kodifiziertes Grundrecht aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet und als eigenständiges Rechtsinstitut definiert.[17]
  • 2006 entschied das Gericht, dass auf einer Festplatte privat gespeicherte, internetgestützte Kommunikation zwar nicht vom Fernmeldegeheimnis geschützt ist, da Übermittlungsvorgänge bereits beendet sind, jedoch erfährt sie in einem Ergänzungsverhältnis Schutz durch das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung.[25]
  • 2006 hob das Gericht die Anordnung zur Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen auf. Das zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung geänderte Polizeigesetz genügte Anforderungen des Grundrechtsschutzes nicht, erst bei einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr einzugreifen. Es bedürfe bei einer sogenannten „allgemeinen Bedrohungslage“ einer konkreten, tatsachengestützten Gefahrenprognose. Die Entscheidung wird kritisiert, weil sie zu weit ginge und dem Gesetzgeber de facto verdachtunabhängige Vorfeldprävention und -erforschung untersage, was jedoch in weit weniger sensitiven Bereichen Usus ist. Dies verstoße gegen die Regel des judicial self-restraint (→ Richterliche Selbstbeschränkung).[26]
  • Das Gericht bestätigte 2007 die ständige Praxis der Fachgerichte, wonach heimliche Vaterschaftstests illegal sind und in gerichtlichen Verfahren als Beweis ungeeignet, es fordert jedoch die Schaffung einer für Väter legalen Möglichkeit zur Feststellung der biologischen Abstammung des Kindes – solange die rechtliche Vaterschaft mit der biologischen nicht deckungsgleich ist. Maßgeblich ist hier der Widerstreit der genetischen/informationellen Selbstbestimmung im Dreiecksverhältnis.[27]
  • Im Jahr 2008 entschied das Gericht, dass ein anlassloses oder flächendeckendes automatisiertes Überprüfen von KFZ-Nummernschildern unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig ist. Die entsprechenden Regelungen in Schleswig-Holstein und Hessen wurden für nichtig erklärt.[28]

Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme

2008 definiert das Gericht erneut ein nicht-kodifiziertes Grundrecht, das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. In seinem Urteil zur Online-Durchsuchung erklärt das Gericht Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen für nichtig und stellt für die Anwendung dieser Maßnahme hohe Hürden auf. Es verlangt einen Richtervorbehalt und Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und beschränkt den Einsatz auf Fälle, in denen tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen.[29]

Ehe und Familie

  • Das Gericht bestätigte 2001 bzw. 2002 das Lebenspartnerschaftsgesetz und stellte klar, dass Gleichberechtigung von Homosexuellen dem besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) nicht widerspricht. Das Grundgesetz verlange eine besonders aktive Förderung von Ehe und Familie, wohl aber kein Abstandsgebot zu anderen Lebensgestaltungen – von der Benachteiligung Anderer hätten Ehen und Familien nichts.[30]
  • Siehe auch: Übersicht zur weiteren Rechtsprechung in wirtschaftlichen und steuerlichen Fragen
  • 2008 entscheidet das Gericht, dass das in § 173 Abs. 2 S. 2 StGB strafrechtliche sanktionierte Verbot des Inzest mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Trotz verbreiteter Kritik in der Rechtswissenschaft am Normzweck, sah es neben dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und der Familie auch die Gesundheit der Bevölkerung (Eugenik) als legislative Eckpunkte an.[31]
  • 2009 erging ein Beschluss zur Frage der Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern bei der Hinterbliebenenversorgung im öffentlichen Dienst. Darin hat der erste Senat beschlossen, dass eine Ungleichbehandlung verfassungswidrig ist und im Leitsatz formuliert, dass „der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG“ eine Differenzierung zwischen der Ehe und anderen vergleichbaren Lebensgemeinschaften nicht rechtfertigt.[32]

Unverletzlichkeit der Wohnung und Telekommunikationsfreiheit

  • Großer Lauschangriff: 2004 werden Vorschriften über akustische Wohnraumüberwachung als teilweise verfassungswidrig aufgehoben. Das Gericht definiert anhand des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung einen unantastbaren „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, als persönliches Refugium des Bürgers, der durch staatliche Maßnahmen nicht zu penetrieren ist und selbst Strafverfolgung keine Eingriffsrechtfertigung sein darf.[33]
  • Die präventive Telefonüberwachung in Niedersachsen wird 2005 für verfassungswidrig erklärt, da Bundesländern die Gesetzgebungskompetenz fehle. Materiell bedeutsam ist die Entscheidung für ähnliche Landesgesetzgebung in Thüringen und Bayern.[34]

Gleichheit vor dem Gesetz

  • In der Entscheidung zu Homosexuellen aus dem Jahr 1957 befand das Bundesverfassungsgericht den § 175 StGB für mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Strafbarkeit männlicher Homosexualität verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.[35]
  • In der Entscheidung über die Spekulationssteuer für die Jahre 1997 und 1998 erklärte das Gericht Teile des Einkommensteuergesetzes für verfassungswidrig und nichtig, die die Belastung von Veräußerungsgewinnen bei Wertpapieren zwar vorsehen, aber auf die eigene rechtliche Durchsetzbarkeit verzichten, sog. strukturelles Vollzugsdefizit. Damit sei eine ungleichmäßige Belastung schon im Gesetz angelegt.[36]
  • In einer Entscheidung über Haftvergünstigungen urteilte das Gericht 2007, dass männlichen Gefangenen Vergünstigungen (Zugang zu Telefonen), die weibliche Gefangene der gleichen Sicherheitsstufe erhalten, ohne besondere Gründe, welche die männlichen Gefangenen betreffen, nicht vorenthalten werden dürfen. Auch dürfen männliche Gefangene genauso viel von ihrem Eigengeld für kosmetische Produkte ausgeben wie weibliche Inhaftierte.[37]

Meinungs- und Pressefreiheit

  • In der „Tucholsky-Entscheidung“ von 1995 um die öffentliche Aussage „Soldaten sind Mörder!“ bleibt das Gericht seiner Tradition treu, die Meinungs- und Pressefreiheit als für die Demokratie vitales, unabdingbares Verfassungsgut zu schützen, und führt eine musterhafte Prüfung von Grundrechtseingriffen aufgrund eines Gesetzesvorbehalts als verfassungsrechtliche Schranke. Diese Entscheidung zeigt die praktische Anwendung wichtiger Grundsätze aus der ständigen Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz wie die Heck’sche Formel, die Wechselwirkungslehre, die objektive Wertrangordnung und die Schutzbereichsdefinition von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen.[38]
  • In den Benetton-Entscheidungen hebt das Gericht Veröffentlichungsverbote gegen den Verlag auf, der schockierende Werbung mittels Fotoanzeigen veröffentlichen will und stellt klar, dass die Meinungsfreiheit als Ableitung der Menschenwürdegarantie nur schwer mit Hinweis auf die Menschenwürde eingeschränkt werden kann. Allein wegen Wettbewerbswidrigkeit kann eine Meinungsäußerung nicht verboten werden. Auch die Kritik an gesellschaftlichen Missständen kann nicht verboten werden, wenn sie in einen kommerziellen Kontext gerückt wird, denn sie bleibt eine Meinungsäußerung.

Siehe auch: Auflistung von BVerfG-Entscheidungen im Artikel „Meinungsfreiheit“

Demonstrations- und Versammlungsfreiheit

  • Im Brokdorf-Beschluss hebt das Gericht 1985 die besondere Bedeutung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit für die Demokratie hervor, weshalb ein besonders starker status negativus gegen exzessive Reglementierungen durch Gesetz oder Verwaltungsakt wirke. Eingriffsmaßnahmen dürfe der Staat aufgrund der Polizeigesetze nicht treffen, sondern nur anhand des grundrechtsschonenden Versammlungsrechts (sogenannte Polizeifestigkeit). Auch dürften solche nicht mit Hinweis auf eine gewaltbereite Minderheit ergriffen werden.[39]

Religionsfreiheit

  • In der Scientology-Entscheidung definiert 1994 das Gericht die Religionsfreiheit u. a. als kollektives Grundrecht und eine daraus resultierende Selbstverwaltungsfreiheit von Religionsgemeinschaften. Diese sei jedenfalls bei einer gewerblichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht nicht verletzt, wenn die Religionsgemeinschaft zur Gewerbeanzeige und Gewerbesteuer verpflichtet wird.
  • Kruzifix-Beschluss 1995 erklärt Teile des Bayerischen Schulgesetzes für verfassungswidrig, wonach in jedem Klassenzimmer der Volksschulen in Bayern ein Kruzifix oder ein Kreuz anzubringen war.[40]
  • 2002 entscheidet das BVerfG, dass es verfassungswidrig ist, muslimischen Metzgern Ausnahmegenehmigungen für das religiöse Schächten von Tieren zu verweigern.[41]
  • Im Kopftuchstreit untersagt das Gericht 2003 dem Land Baden-Württemberg, das Tragen eines Kopftuchs ohne gesetzliche Grundlage zu verbieten und daraus auf eine fehlende Eignung für den Staatsdienst zu schließen.[42]
Siehe auch: Kopftuchurteil

Rundfunk

In mehreren Entscheidungen hat das Gericht die Entwicklung von Presse, Rundfunk und anderen Medien wie kaum eine andere Materie erheblich mitgestaltet.

Herausragende Bedeutung besitzt vor allem das Erste Rundfunkurteil vom Februar 1961, in dem die durch die Initiative Konrad Adenauers gegründete „Deutschland-Fernsehen GmbH“ für verfassungswidrig erklärt wurde. Der geplante Fernsehsender in der Hand des Bundes erfüllte nicht die verfassungsmäßige Garantie der institutionellen Freiheit des Rundfunks. Zudem hätte ein „Deutschland-Fernsehen“ gegen den Grundsatz verstoßen, nach dem Rundfunk als kulturelles Gut Ländersache ist. Lediglich die Aufgabe der Bereitstellung des sendetechnischen Betriebs wurde dem Bund zugeschrieben.

De facto führte dieses Urteil zu einem bis 1984 andauernden Sendemonopol des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Weiteren zum Entschluss der Bundesländer, auf Grundlage eines Staatsvertrags eine zweite Rundfunkanstalt, das ZDF, zu errichten.

Universitäten und Berufsfreiheit

  • Im Apothekenurteil definiert das Gericht 1958 die Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht, das auf 3 Ebenen nach strengen abgestuften Kriterien einschränkbar ist, sog. 3-Stufen-Theorie (BVerfGE 7, 377).
  • Im Numerus-clausus-Urteil wird 1972 ein Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium und Kapazitätsausbau als status positivus definiert, der zum Schutzbereich der Berufsfreiheit gehört (BVerfGE 33, 303).
  • Das Hochschulrahmengesetz des Bundes wird in den Jahren 2004 und 2005 in wichtigen Teilen für verfassungswidrig erklärt, weil der Bund nur die Rahmengesetzgebungskompetenz habe. Dies betrifft die Juniorprofessur[43] sowie das Verbot von Studiengebühren.[44]
  • Das Bundesverfassungsgericht gab 2008 einer Klage gegen die Nichtraucherschutzgesetze von Baden-Württemberg und Berlin statt.[45] Die Gesetze benachteiligen die Betreiber von Einraumkneipen gegenüber den Gastronomen, die Gaststätten mit mehreren Räumen haben und somit einen Raucherraum einrichten können. Auch werden Diskotheken mit mehreren Räumen gegenüber Gaststätten mit mehreren Räumen benachteiligt, da sie keinen Raucherraum anbieten dürfen. Jedoch wäre zum Gesundheitsschutz auch ein ausnahmsloses Rauchverbot für alle Gaststätten und Diskotheken möglich, weil dieses niemanden benachteiligt. Das Bundesverfassungsgericht verfügte eine Frist zur Überarbeitung der Gesetze und eine Übergangsregelung.[46]

Eigentum

  • Im Nassauskiesungsbeschluss legt das Gericht 1981 den Schutzbereich eines sehr definitionsbetonten Grundrechts wie dem Eigentum fest und die juristischen Techniken für seine zulässigen Einschränkungen als „Inhalts- und Schrankenbestimmungen“ des Eigentumsinstituts, Legalenteignungen oder gesetzliche Kriterien für Administrativenteignungen (BVerfGE 58, 300).

Staatsbürgerschaft

  • Das Transformationsgesetz zum EU-Haftbefehl wurde 2005 für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung definiert den Schutzbereich des Art. 16 GG im Sinne eines umfassenden Heimatrechts, das eine dauerhafte Staatsbürgerschaft, politische Mitgestaltung und ein grundsätzliches Auslieferungsverbot garantiert.[47]
→ Zusammenfassender Hauptartikel

Parlamentsrechte und Gesetzgebung

  • In der Entscheidung zur unechten Vertrauensfrage von Helmut Kohl 1983 betont das Gericht, dass eine Auflösung des Parlaments nicht der Gestaltung eines günstigen nächsten Wahltermins durch die Regierung dienen dürfe. Auch bedürfe eine durch konstruktives Misstrauensvotum installierte Regierung keiner neuen Legitimation durch den Wähler, sog. Äquivalenzformel (BVerfGE 62, 1).
  • Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vertrauensfrage 2005 werden diese Grundsätze fortentwickelt. Unechte und echte Vertrauensfrage werden gleich gestellt und auf den Zweck des Art. 68 GG justiert. Dem Kanzler wird zugestanden auch auf verborgene Umstände seinen Auflösungsvorschlag zu stützen. Das Gericht übt erneut judicial self-restraint und reduziert seine Prüfungskompetenz in der Machtverteilung der Verfassungsorgane.[48]
  • In der Entscheidung über Einsätze der Bundeswehr im Ausland konkretisierte 1994 das Gericht das Prinzip der Parlamentsarmee und stellte fest, dass die Regierung nur dann Militäreinsätze befehlen könne, wenn sie die konstitutive Zustimmung des Bundestages vorher einholt. Dies könne der Bundestag durch schlichten Parlamentsbeschluss in ausreichender Form tun (BVerfGE 90, 286).
  • Das Lebenspartnerschaftsgesetz wird 2002 mit dem Verweis auf die Gestaltungsfreiheit des Parlaments als verfassungskonform bestätigt. Gleichzeitig konkretisiert das Gericht Kriterien für die Freiheit der Regierung, im Gesetzgebungsverfahren Teile eines Entwurfpakets zu entkoppeln und sie gegen den Willen des Bundesrates als Gesetz zustande kommen zu lassen (BVerfGE 105, 313).
  • Das Zuwanderungsgesetz wird 2002 wegen Verfahrensmängeln im Gesetzgebungsverfahren desselben Jahres aufgehoben und ein Verfassungskonflikt im Bundesrat geklärt. (BVerfGE 106, 310)
→ Hauptartikel: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zuwanderungsgesetz 2002

Parteiverbote

EU-Recht

  • Im „Solange-I-Beschluss“ entschied das Bundesverfassungsgericht 1974, dass solange kein adäquater, grundgesetzgleicher Grundrechtsschutz im EU-Recht verankert sei, es dieses auf Vereinbarkeit mit nationalem Recht zu prüfen habe (nationale Sichtweise). Die Mindermeinung sah einen solchen Schutz durch die jeweiligen nationalen Verfassungen und durch die Grundrechtscharta als gegeben (europäisierte Sichtweise). Die Mindermeinung wird im „Solange-II-Beschluss“ zur Mehrheitsmeinung.
  • Im „Solange-II-Beschluss“ suspendierte das Gericht 1986 seine eigene Gerichtsbarkeit hinsichtlich Grundrechtsbeeinträchtigungen aus oder aufgrund des sekundären EG-Rechts, solange auf Gemeinschaftsebene ein im Wesentlichen gleichwertiger Grundrechtsschutz durch Gemeinschaftsorgane wie den EuGH gewährleistet ist. Dies ist im Wesentlichen durch zwei Komponenten gegeben: Das deutsche Zustimmungsgesetz zum EGV als Anwendungsbefehl für das sekundäre Gemeinschaftsrecht und die strukturelle Prüfungsdichte durch den EuGH (BVerfGE 73, 339).
  • Im Maastricht-Urteil werden diese Grundsätze 1993 weiter präzisiert und das „Kooperationsverhältnis“ in der Grundrechtsgerichtsbarkeit zwischen BVerfG und EuGH näher umrissen. Neuer Anknüpfungspunkt für die Prüfungsdichte und die Aufgaben des BVerfG sei nach dem EUV jeder Gemeinschaftsrechtsakt direkt und nicht seine Umsetzung durch die deutsche Exekutive. Damit sei das Grundgesetz auch für sie Prüfungsmaßstab. Hinsichtlich der Hoheits- und Kompetenzübertragung auf die Gemeinschaft gelte das „Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung“ durch die Mitgliedstaaten, das die EUV-Interpretation zusammen mit der völkerrechtlichen effet-utile-Regel beeinflusse, im Ergebnis aber keine Kompetenzerweiterung oder -neubegründung gestatte.[49]
  • Im Lissabon-Urteil wird 2009 die Verfassungsmäßigkeit des Vertrags von Lissabon festgestellt, der der Europäischen Union eine einheitliche Struktur und Rechtspersönlichkeit geben soll. Zugleich verstößt nach dem Urteil aber das deutsche Begleitgesetz teilweise gegen das Grundgesetz. Bemängelt werden die unzureichenden Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestags und des Bundesrats. Die Ratifizierung des Vertrags durfte erst mit der gesetzlichen Ausgestaltung der nötigen Beteiligungsrechte erfolgen.

Wahlprüfung

  • Das Verfassungsgericht erklärt die Verwendung von Wahlcomputern, die keine der Verfassung entsprechende öffentliche Nachvollziehbarkeit zulassen, für verfassungswidrig. Somit war auch der Einsatz von zwei Modellen von Nedap-Wahlcomputern in einigen Wahlbezirken bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig, die Wahl muss jedoch (in den betroffenen Wahlbezirken) nicht wiederholt werden, weil es keine Hinweise auf Manipulationen gibt.[50]

Bundeswahlgesetz widerspricht dem Grundgesetz

  • In seinem Urteil vom 3. Juli 2008 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die aktuelle Fassung des Bundeswahlgesetzes durch die Möglichkeit eines negativen Stimmgewichts gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl verstößt. Das Gericht verpflichtete darin den Bundesgesetzgeber, bis zum 30. Juni 2011 eine Neuregelung zu finden.[51]

Kritik am Bundesverfassungsgericht

Ungeachtet wechselnder Kritik hat das Gericht eine bemerkenswerte und im internationalen Vergleich herausragende Kontrollfrequenz und -dichte entwickelt und übt gleichzeitig eine strenge „richterliche Selbstbeschränkung“, die andere Rechtsordnungen in dieser Kombination oft nicht kennen (vgl. US Supreme Court). Dieses vorgegebene und fortlaufend selbst entwickelte Verfassungsverständnis machte es zu einer eigenen demokratischen Institution, die ein einmaliges Vertrauen im Staatsvolk genießt, und international benennt man es als Beispiel für hochentwickelte Rechtskontrolle. Die Rolle des Gerichts als Hüter des Grundgesetzes geht per definitionem über bloße Willkürkontrolle des Staates hinaus, es ist die konservierende und integrale Bewahrung der Verfassung in der innerdeutschen Entwicklungsdynamik und im Kontext der Europäischen Union.

Das Gericht kooperiert mit den obersten Verfassungsgerichten von über 70 Staaten, und seine Position als starkes Verfassungsorgan diente anderen Ländern als staatsorganisatorisches Vorbild.

Inhaltlich

Bei einigen Urteilen wird kritisiert, das Gericht gehe klaren Entscheidungen aus dem Weg. Etwa wurde das „Kopftuchurteil“ vielfach als unbefriedigend und aufschiebend empfunden. Diese Kritik hört man vor allem von Seiten, die das Gericht gern als letztinstanzliches politisches Korrektiv sehen würden. Dagegen ist das Gericht seit seinem Bestehen resistent geblieben. Seine Praxis der „richterlichen Selbstbeschränkung“ sieht es als unerlässlich, in die Rollenverteilung der Verfassungsorgane tunlichst nicht einzugreifen. Dies zeigte sich zuletzt bei der Entscheidung zur Bundestagsauflösung 2005.

Andererseits wurde aus der Politik bei mehreren Urteilen gerügt, das Gericht weite seine Kompetenzen zu denen eines Ersatzgesetzgebers aus, obwohl die Gesetzgebungskompetenz nach der Verfassung dem Parlament zugedacht ist. Anstatt sich auf erhebliche Überschreitungen und Willkür des Gesetzgebers zu beschränken, bringe es eigene soziale und politische Vorstellungen ein und mache dem Gesetzgeber dezidierte Vorgaben von Gerechtigkeit, die oft schwer zu finanzieren sind und zum anderen von Vorstellungen der Politik abweichen. Die Politikwissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der „Justizialisierung der Politik“ durch das Bundesverfassungsgericht.

In einem FAZ-Streitgespräch hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Karlsruher Eilbeschluss zur Einschränkung der Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Hans-Jürgen Papier, damaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erblickt darin in einem Vortrag in Tutzing Versuche, Karlsruhe in die Schranken weisen zu wollen. Es gebe sie vor allem „im Bereich sogenannter Sicherheitsgesetzgebung“. Solche Forderungen träfen jedoch „den Nerv des Verfassungsstaats“. Wer das Prüfungsrecht des Verfassungsgerichts in Frage stelle, könne dieses gleich abschaffen. Wer einen „Primat der Politik“ fordere, rüttle an den Grundstrukturen des Verfassungsstaats, sagte Papier.[52]

Zum Teil urteilen die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichtes unterschiedlich trotz gesetzlicher Normen zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung, etwa in der Frage, ob ein Arzt für den Unterhalt eines behinderten Kindes haftet, wenn er Eltern hinsichtlich einer Abtreibung aus gesundheitlichen Gründen ungenügend aufklärt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei einigen Entscheidungen des Gerichts die nicht genügende Wahrung der Menschenrechte angenommen, etwa beim Schutz der Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens, den das Gericht nur Kindern dieser Personen uneingeschränkt gewährte.

Besetzung

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Wahl der Richter durch Politiker nach Absprache zwischen den politischen Parteien, insbesondere die rotationsmäßige Benennung. Ein Vorschlag durch die Justizministerin würde jedoch die Parlamentsrechte beschneiden. Auch wenn die Richter meist Mitglieder einer Partei sind, lässt sich doch bei ihren Entscheidungen kein parteien- oder interessengerichtetes Muster feststellen. Gleichwohl wurde der geplante Wechsel des von 1999 bis 2011 als saarländischer Ministerpräsident amtierenden Peter Müller an das Bundesverfassungsgericht vom Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim als „weiterer Schritt in den Parteienstaat“ kritisiert.[53] Neben der mangelnden Transparenz beim Wahlverfahren der Richter wird heute auch der geringe Frauenanteil im Bundesverfassungsgericht kritisiert.[54]

Europarecht

In einer Denkschrift forderten 30 hochrangige Hochschullehrer und Richter im August 2009 den Gesetzgeber dazu auf, das Bundesverfassungsgericht darauf zu verpflichten, Verfahren zu europarechtlichen Fragen zuerst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorzulegen. Dem Lissabon-Urteil im Juni 2009 entnahmen die Unterzeichner, dass das Verfassungsgericht „auf einen Justizkonflikt mit dem EuGH zusteuert“.[55]

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Der EGMR sieht bei der Prüfung der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (Art. 35 EMRK) das Bundesverfassungsgericht für Fälle der überlangen Verfahrensdauer in Zivilsachen (Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht als wirksame Beschwerdemöglichkeit im Sinne des Art. 13 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) an. Das Bundesverfassungsgericht kann in solchen Fällen lediglich die Verfassungswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer feststellen, nicht aber in laufenden Verfahren die Zivilgerichte anhalten das Verfahren schneller zu betreiben,[56] noch in abgeschlossenen Verfahren einen angemessenen Schadenersatz als Kompensation für die überlange Verfahrensdauer gewähren.[57] Bevor in solchen Fällen eine Individualbeschwerde zum EGMR erhoben wird, muss es daher nicht zwingend angerufen werden.

Bibliothek

Das Bundesverfassungsgericht verfügt über eine interne, nur von Angehörigen des Gerichts zu benutzende Fachbibliothek mit den Schwerpunkten Staats- und Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Staats- und Gesellschaftslehre, Politik und Zeitgeschichte. Für die Öffentlichkeit sind lediglich zwei Online-Kataloge zugänglich.[58]

Der Bestand der Bibliothek umfasste im Dezember 2008 etwa 366.000 Bände und wächst jedes Jahr um etwa 6.000 bis 7.000 Bände. Der Zeitschriftenbestand umfasst etwa 1.290 laufende Abonnements, wovon der überwiegende Teil Parlamentaria und Amtsdruckschriften des Bundes und der Länder sind. Im angegliederten Pressearchiv werden zudem alle das Gericht berührenden Materialien gesammelt; es werden täglich zwischen 30 und 40 Tages- und Wochenzeitungen ausgewertet. Alle vorhandenen Werke sind über das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ) im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB) katalogisiert. Die Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts verfügt über den größten juristischen Online-Katalog im deutschsprachigen Raum.[58]

Amtstracht

Roben der Richter am Bundesverfassungsgericht

In der Öffentlichkeit sind die Richter nicht zuletzt durch die scharlachroten Roben mit weißem Jabot bekannt. Mit der Etablierung des Gerichts als eigenständigem Organ wollte man dies nach außen kundtun, und die Richter bekamen die traditionelle Richtertracht der Stadt Florenz aus dem 15. Jahrhundert, die von einem Münchner Kostümbildner entworfen worden war. Die detailgetreuen Roben machen noch heute beim Anlegen die Hilfe eines Justizbeamten erforderlich und werden bei den mündlichen Verhandlungen getragen. In der Mitte der 1990er Jahre wurde eine hinsichtlich Stoffqualität und Verarbeitung modernisierte Version in Auftrag gegeben. Deren Ausführung besorgte das in Karlsruhe ansässige Schneider- und Modeatelier Zangl.

Besoldung

Diese Richter werden nach den Vorschriften des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts besoldet.

Nach den Vorschriften des Gesetzes erhält der Präsident Bezüge in Höhe der Ministerbezüge, der Vizepräsident sieben Sechstel der Bezüge eines Staatssekretärs des Bundes und die übrigen Richter Bezüge in Höhe der Besoldung des Präsidenten eines obersten Gerichtshof des Bundes.

Daraus folgt, dass der Präsident das 1,333-fache der Bezüge der Besoldungsgruppe B 11, der Vizepräsident das 1,1667-fache der Bezüge der Besoldungsgruppe B 11 und die Richter Bezüge in Höhe der Besoldungsgruppe R 10 erhalten. Bei den Bundesverfassungsrichtern kommt dann noch eine Amtszulage hinzu, wie sie auch die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes erhalten. Diese beträgt 12,5 % des Grundgehaltes.

Die genaue Höhe der Bezüge kann aufgrund des Familienstandes, Zahl der unterhaltspflichtigen Kinder usw. variieren. Sie steigt jedoch nicht mit dem Lebens- oder Dienstalter, da es sich bei den Besoldungsgruppen B 11 und R 10 um feste Besoldungsgruppen handelt. Bei ihnen erhöht sich das Grundgehalt nicht.

Das Ruhegehalt wird wie bei allen Richtern berechnet, das heißt u. a. die Stellenzulage wird dabei nicht berücksichtigt. Bundesverfassungsrichter, die vor ihrem Dienst Beamter oder Richter waren, treten nach Ende der Amtszeit als Bundesverfassungsrichter in den Ruhestand, es sei denn, ihnen wird ein anderes Amt zugewiesen. Das Ruhegehalt wird dann so berechnet, als sei er bis zur Ernennung zum Bundesverfassungsrichter in seinem Amt tätig gewesen, und das neuerliche Ruhegehalt als Bundesverfassungsrichter wird darauf aufgeschlagen. War der ehemalige Bundesverfassungsrichter zuvor nicht beim Bund als Richter oder Beamter tätig und entstehen seinem ehemaligen Dienstherren durch den Eintritt in den Ruhestand nach Ende der Amtszeit in Form von Ruhegehalt oder ähnlichem Kosten, so erstattet der Bund diese Kosten.

Disziplinarmaßnahmen

Die Bundesverfassungsrichter unterliegen nicht dem Bundesdisziplinargesetz wie es auf alle Bundesrichter Anwendung findet.

Die Entlassung aus disziplinarischen Gründen ist in § 105 BVerfGG geregelt. Danach kann ein Richter wegen eines entehrenden Verhaltens, einer groben Pflichtverletzung oder einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten Dauer entlassen werden. Die Entlassung wird vom Plenum der Bundesverfassungsrichter mit einer Mehrheit von zwei Dritteln beschlossen und vom Bundespräsidenten ausgeführt. Mit der Entlassung verliert der Richter die Ansprüche aus seinem Amt. Auch bei minder schweren Delikten kann somit nur die Entlassung verfügt werden oder das Verhalten bleibt disziplinarrechtlich ungeahndet. Eine Abstufung, die für solche Fälle für Bundesrichter und Bundesbeamte im Disziplinarrecht vorgesehen ist, gibt es hier nicht.

Dem Bundesverfassungsrichter kann die Dienstausübung durch das Plenum vorläufig untersagt werden, wenn in einem Strafverfahren die Hauptverhandlung gegen ihn eröffnet wurde oder ein Verfahren, das die Entfernung aus dem Dienst zum Ziel hat, beschlossen wurde.

Trivia

Im Großen Sitzungssaal hing bis vor kurzem noch eines der erhaltenen Originale der beim Hambacher Fest 1832 mitgeführten schwarz-rot-goldenen Fahnen. Diese wurde jedoch mittlerweile konserviert und durch eine neue Fahne ersetzt.

In der Öffentlichkeit und in Fachkreisen wird das Gericht auch ironisch gesehen:

  • Der Dritte Senat: Da viele Entscheidungen von den wissenschaftlichen Mitarbeitern vorbereitet werden, spricht man in Juristenkreisen gelegentlich auch von einem „dritten Senat“, wenn man sich auf den Kreis dieser Mitarbeiter bezieht, dem vorwiegend ebenfalls Richter angehören.
  • Der Schneewittchen-Senat: Als Schneewittchen-Senat wird eine personelle Besetzung bezeichnet, wenn nur eine Frau einem der Senate angehört (1+7-Konstellation).[59] Angelehnt an das Märchen von der Königstochter und den sieben Zwergen pointieren manche die Kandidatenauslese parteigetragener Vorschläge (s. o.), bei der wiederholt Frauen unterrepräsentiert sind. Die Anekdote wurde zuletzt bei der Wahl des Richters Schluckebier aufgegriffen.

Siehe auch

Literatur

  • Stephan Detjen: Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B37–38, 2001, ISSN 0479-611X, S. 3–5 (Online, abgerufen am 5. September 2011).
  • Matthias Jestaedt u. a. (Hrsg.): „Das entgrenzte Gericht“. Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren Bundesverfassungsgericht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-12638-7.
  • Uwe Kranenpohl: Hinter dem Schleier des Beratungsgeheimnisses. Der Willensbildungs- und Entscheidungsprozess des Bundesverfassungsgerichts, VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-16871-5.
  • Jutta Limbach (Hrsg.): Das Bundesverfassungsgericht. Geschichte – Aufgabe – Rechtsprechung. C. F. Müller, Heidelberg 2000, ISBN 3-8114-2143-3 (Motive, Texte, Materialien; 91).
  • Jutta Limbach: Das Bundesverfassungsgericht. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44761-9 (Beck'sche Reihe, 2161: C.H.Beck Wissen).
  • Robert Chr. van Ooyen / Martin H.W. Möllers (Hrsg.): Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14762-5.
  • Horst Säcker: Das Bundesverfassungsgericht. 6. Auflage. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003, ISBN 3-89331-493-8 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, 405).
  • Klaus Schlaich/Stefan Korioth: Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen; ein Studienbuch. 7. Auflage. Beck, München 2007, ISBN 978-3-40656-044-6 (Juristische Kurz-Lehrbücher).
  • Uwe Wesel: Der Gang nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht in der Geschichte der Bundesrepublik. 1. Auflage. Blessing, München 2004, ISBN 3-89667-223-1.
  • Axel Hopfauf: Kommentierung von Art. 93 und Art. 94 GG. In: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz. 12. Auflage. Heymanns, Köln 2011, ISBN 978-3-452-27076-4.
  • Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Bundesverfassungsgericht. Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 35-36/2011. ISSN 0479-611X (PDF; 1,6 kB, abgerufen am 5. September 2011).

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Begrüßung zum Festakt aus Anlass des 60-jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts
  2. „[… das] BVerfG […] die Verfassung letztentscheidend mit Verbindlichkeitsanspruch interpretiert.“ Zit. nach Christian Hillgruber/Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht, 2., neu bearb. Aufl. 2006, § 1 III Rn 10 f., 14–16; dass „[d]urch das Letztentscheidungsrecht des BVerfG […] die Erst- und Zweitinterpretation durch sonstige Verfassungsorgane jedoch nicht etwa bedeutungslos [wird]“, siehe Rn 17.
  3. Vgl. hierzu aber auch Willi Geiger in: Frowein, Jochen Abr./Meyer, Hans/Schneider, Peter (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht im dritten Jahrzehnt. Symposion zu Ehren von Ernst Friesenhahn anläßlich seines 70. Geburtstages …, Frankfurt/M. 1973, S. 30.
  4. Pressemitteilung des Gerichts vom 21. Juni 2011: Grundsanierung des Bundesverfassungsgerichts – Temporärer Amtssitz
  5. Die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 25. Dezember 1970 im Amt befindlichen Richter konnten noch einmal für zwölf Jahre, längstens bis zur Altersgrenze, wiedergewählt werden. (BVerfGE 40, 356 – Besetzung der Richterbank, Absatz-Nr. 4])
  6. Beschluss des Ersten Senats vom 11. Januar 2011
  7. Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2010
  8. Herzog ließ seine richterliche Tätigkeit ab der Amtsübernahme als Bundespräsident ruhen; vgl. Infobox auf heute.de politik (ganz unten)
  9. Deutscher Bundestag: 10.5 Bundestag und Bundesverfassungsgericht. Stand: 31.3.2010. Wahlen der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts. Abgerufen am 3. Mai 2011.
  10. Sachanalyse „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Artikel 3 (2): Gesetzeslage.
  11. sueddeutsche.de: Männer-Domäne Verfassungsgericht: Schneewittchen-Senat. 5. September 2006. Abgerufen am 10. Februar 2011.
  12. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 16. März 2004 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141.
  13. BVerfG, Az. 1 BvF 1/96 vom 11. Dezember 2001.
  14. BVerfGE 1, 76.
  15. BVerfGE 3, 407.
  16. BVerfGE 4, 27.
  17. a b BVerfGE 65, 1.
  18. BVerfGE 64, 67.
  19. BVerfGE 115, 118.
  20. BVerfGE 6, 32.
  21. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 20. Dezember 1960 – 1 BvL 21/60 – BVerfGE 12, 45, 55.
  22. BVerfG, Az. 2 BvF 1/77, 2 BvF 2/77, 2 BvF 4/77, 2 BvF 5/77.
  23. BVerfGE 30, 173.
  24. BVerfGE 83, 130.
  25. BVerfG, Az. 2 BvR 2099/04.
  26. BVerfG, Az. 1 BvR 518/02.
  27. BVerfG, Az. 1 BvR 421/05.
  28. BVerfG, Az. 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07.
  29. BVerfG, Az. 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07.
  30. BVerfGE 105, 313.
  31. BVerfG, Az. 2 BvR 392/07.
  32. BVerfG, Az. 1 BvR 1164/07.
  33. BVerfGE 109, 279.
  34. BVerfGE 113, 348.
  35. BVerfGE 6, 389.
  36. BVerfGE 110, 94.
  37. BVerfG, Az. 2 BvR 1870/07.
  38. BVerfGE 93, 266.
  39. BVerfGE 69, 315.
  40. BVerfGE 93, 1.
  41. BVerfGE 104, 337.
  42. BVerfGE 108, 282.
  43. BVerfG, Az. 2 BvF 2/02.
  44. BVerfG, Az. 2 BvF 1/03.
  45. Bundesverfassungsgericht – Pressestelle: Pressemitteilung Nr. 78/2008 vom 30. Juli 2008
  46. BVerfG, Az. 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08.
  47. BVerfG, Az. 2 BvR 2236/04.
  48. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 25. August 2005 – 2 BvE 4/05 –.
  49. BVerfG, NJW 1993, S. 3047.
  50. BVerfG, Az. 2 BvC 3/07.
  51. BVerfG, Az. 2 BvC 1/07 vom 3. Juli 2008.
  52. Christian Rath: Karlsruhe gibt Schäuble Contra. taz, 17. März 2009.
  53. n-tv.de: Peter Müller nach Karlsruhe? „Das wäre äußerst schlechter Stil“, 17. Dezember 2010. Abgerufen am 25. September 2011.
  54. FAZ.net: Gastbeitrag: Es fehlen Frauen und Transparenz. Das Verfassungsgericht bekommt weiterhin keine Chance, durch demokratische Wahlen an Legitimität zu gewinnen. Von Christine Landfried. Abgerufen am 8. Februar 2011.
  55. Hochrangige Juristen fordern Einschränkungen des Bundesverfassungsgerichts, Spiegel Online, 8. August 2009.
  56. EGMR Sürmeli gegen Deutschland, Urteil vom 8. Juni 2006, Nr. 75529/01, § 103 ff.
  57. EGMR Herbst gegen Deutschland, Urteil vom 11. Februar 2007, Nr. 76680/01, § 62 ff.
  58. a b Die Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts
  59. so etwa Heribert Prantl wiederholt in der Süddeutschen Zeitung

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