Neapel

Neapel

Neapel. »Vedi Napoli e poi muori« – (Sieh' Neapel und dann stirb!) so ruft ein brauner Lazzarone dich an, der stolz und malerisch in seinen Lumpen auf der Höhe von St. Elmo in der Sonne liegt und mit ausgestreckten Armen auf sein herrliches Königreich deutet, in welchem der Stein nicht sein ist, worauf er den Kopf zur Nachtruhe bettet, oder zur trägen Siesta. Und dein Blick folgt dem weiten Kreise, den seine Hand bezeichnet und sein dunkles Auge überschauet. Welche Herrlichkeit, welche Würde der Welt! – das ist Parthenope, der Jungfrau Antlitz (so nannten die alten Dichter Neapel), die da ruhet am Saume des schönsten Meerbusens der Erde. Welch' ein Azurblau des wolkenlosen Himmels; wie strahlt es zurück aus der krystallreinen Meerestiefe, wie spielen darin zum lieblichen Kranze geordnet, alle die rein gezeichneten Bilder des prachtvoll geschmückten Uferrandes! – Welche wunderbare Weihe im Duft- und Lufttone hat dieses Panorama aus dem Lande, wo die Orange blühet, überhaupt – welcher Zauber der zartesten Farbentinten ist darüber ausgegossen! welche Wollust im Einathmen der lauen, balsamischen Lüfte, die der Seewind erfrischt! Der Eindruck des Ganzen ist so berauschend, daß der Beschauer Mühe hat, im Kreise herum, dem Einzelnen zu folgen. Dort unten liegt Neapel – eine fremde Welt, mit seinen flachbedachten Palästen, byzantinischen Kirchen und heitern Orangengärten auf der lustigen Lastrico der Dächer. Weiße Häuser mit hellgrünen Jalousien, zartgegitterten Balkons, blendenden Markisen, dehnen sich in langen schimmernden Linien an den Baumreihen der reizenden Kais dahin. Dort im hellen Krystallglase des Meerbusens spiegeln sich die Baumgruppen und Paläste der Villa-reale von den Zaubergärten Armidens umgeben, da die belebte Uferstraße der Chiaja, dann die weißen, lang gestreckten Gebäude der Darsena, der Molo, der Vesuv, eine Welt von weißen Villen, Dörfern und Städten, die den Golf umgeben. Und gleich befiederten Schwänen ziehen weiße Segel mit den Flaggen aller Nationen darüber hin von den duftig fernen Inselhöhen von Capri, Portici und Ischia, die den Eingang des Golfs von Neapel zu bewachen scheinen, bis zu dem Hafen aus welchem der schlanke Molo oder Leuchtthurm wie eine geweihte Kerze zum Himmel aufsteigt. Dem Amphitheater der Stadt schließen sich die Höhen von St. Elmo, von Camaldoli, der sanft sich erhebende Pausilippo, der kühn emporragende Felsen Pizzifalcone an, alle mit Castellen oder Klöstern gekrönt, mit Wein- und Citronengärten umkränzt; aber Alle überragt, wie ein Riese unter Pygmäen, der mächtige Vesuv, der die ewige Feuerkrone auf dem kahlen Scheitel trägt. Wie drohende Furchen, so ziehen sich verwitterte Lavaströme über das greise Antlitz des Riesen, während ein lichtgrünes Gewand, mit den Perlen weißer Landhäuser gestickt, mit Orangengärten und Rebengeländen umkränzt, noch jugendlich eitel seine langgestreckte Gestalt umhüllt. Städte, Klöster und Paläste – selbst der königl. Palast von Portici – liegen an seinem Fuße, ohne dadurch die Gefahr abzuwenden, die dort Pompeji, da Herkulanum vor Jahrtausenden, aus dem Reiche der Lebenden vertilgt hatte. Und folgt das Auge von dort aus der, wie Amorsbogen gewundenen Uferlinie, so schimmern ganze Reihen von Städten und Flecken, als Pompeji, Pästum, Amalfi und in weiter Ferne die weißen Mauern von Tarent, wo (1531) Tasso dichtete, aus dem dunklen Grün der Orangen und Ulmen heraus. Gegenüber in der reizenden Bucht von Bajä hatte schon, 1600 Jahre früher, Virgil, an derselben Quelle einer entzückenden Natur die göttliche Begeisterung getrunken. Und so rollt sich dann die Bai von Neapel vom Cap Misene bis zum Vorgebirge der Minorra, den fast geschlossenen Kreis bildend dort auf vor unsern Blicken und gewährt ein eben so erhabenes als anziehendes Bild. Der weite Horizont verschwimmt am azurblauen Himmel. Auf der Höhe des Meeres schimmert der weiße Schaum der Wellen, die sich an den schwarzen Klippen von Capri brechen, da wo einst Tiber, der wollüstige Tyrann, wie ein Ungeheuer in seiner Höhle hausete. Gegenüber steigt die größere Insel Procida, ein lichtgrünes Eiland, im üppigsten Pflanzenschmucke, aus der spiegelhellen Meeresfläche empor; daneben erhebt sich die kleine Berginsel Ischia, deren Vulkan, der steile Epomeo, längst eingeschlafen ist; aber noch zur Zeit Virgils hatte er getobt, denn der römische Dichter sang vom Riesen Typhäus, der unter der Last des Berges von Ischia erliegend seine Wuth eben durch den Schlund austobte. Dort rechts von St. Elmo, dem Vesuv gegenüber, krümmt sich in weichen Wellenlinien der Berg Pausilippo, die schon genannte Bucht von Bajä umschließend, aber nur noch wenige Steintrümmer, die zwischen Oleander und Myrthengesträuch, von Feigenbäumen überschattet, umherliegen, erinnern an die Paläste und Bäder der üppigen Römer, welche vor Jahrtausenden hier ihre schwelgerischen Orgien feierten. Fluthen rollen jetzt über die Spuren glänzender Marmorvillen, wo, wie ein Zeitgenosse sang, jede Penelope zur Helena geworden war. Eine schaurige Stille ruhet auf dieser Bucht, als ob die heilige Natur ihre Entweihung durch die Ausschweifungen des Caligula und Nero betraure, und erstarre über den hier verübten Muttermord an Agrippina, die Nero, ihren Mörder, geboren hatte. So gewährt jeder Zoll der reizenden Umgebung Neapels große, klassische Erinnerungen, und wir erwähnen nur noch den nahen Avernersee, die elisäischen Gefilde, die unsern liegen, von der Grotte der Cumäischen Sybille, den Lucriner See, den einst Cäsar zum Golischen Kriegshafen umschuf, die Thermen des Nero und unzählige andere Denkwürdigkeiten. Mit dem Blicke links auf die lange Kette der Apenninen, deren mit Schnee bedeckte Wipfel am blauen Horizont schimmern, sei dieses Rundgemälde von Neapel und seinem Meerbusen geschlossen. – Steigen wir herab in das Gewühl der Straßen der Haupt- und Residenzstadt des Königreichs beider Sicilien, so umfängt uns das Gedränge einer Tag und Nacht hindurch bewegten Volksmenge von 400,000 Menschen. Welch' ein südliches Leben in dieser immer wogenden Menschenwelt, die Alles so öffentlich treibt, daß die Straße das Haus der Bewohner geworden zu sein scheint! dieses Geschrei durch einander, diese wilde verzerrte Gesticulation, diese wunderliche Zeichensprache mit den Armen, die sie wie Windmühlenflügel bewegen, ist nur dem Neapolitaner eigen. Die Männer dieses Volkes sind fast durchaus schön, dunkelbraune Kern- und Kraftgestalten mit großen, schwarzen Augen, malerisch leicht bekleidet; und doch machen sie keinen bleibenden Eindruck auf den Fremden. Die Unbeweglichkeit der Gesichtszüge contrastirt zu unangenehm mit jener fast krampfhaften Lebhaftigkeit der Action, um nicht den Begriff von Falschheit zu erwecken, den tausendjährige Knechtschaft in dem Charakter dieser sonst so einfachen Natursöhne entwickelt haben mag. Der Blick des Neapolitaners ist unsicher umherschweifend, wie das böse Gewissen, und wäre der Gang dieser Salvator-Rosa-Figuren nicht weibisch und schleppend, man würde fürchten, das Banditenmesser schon zwischen den Rippen zu fühlen, indem man an diesen wilden Lazzaroni-Gestalten vorbeigeht, wovon 30,000 die Marmorstufen der Paläste und Kirchen, den Hafendamm der heiligen Lucia und den Strand der Mergelina belagern. Unter den Frauen Neapels, besonders in den höheren Ständen, gibt es allerdings glänzende Schönheiten, und Bildung und Sittsamkeit haben ihnen das Feuer des heißen Blutes zur reizenden Anmuth geläutert; allein im allgemeinen ist die Neapolitanerin nicht schön, nicht einmal hübsch zu nennen. Ein graulicher Widerschein gibt ihrer Haut ein fahles, fast kränkliches Ansehen, ihr Gang ist träge, ohne Anmuth der Haltung, und doch fehlen ihnen nicht alle Reize; aus ihren Augen sprühen Flammen; in ihren Zügen herrscht so viel sprechende Lebhaftigkeit, daß eben diese Ahnung des tief im Innern sprühenden Gluthherdes der Gefühle ihren Anblick so fesselnd und anziehend macht. Die Neapolitanerin ist naiv zum Erröthen und kennt doch diese zarte Regung des sittlichen Gefühls unserer Nordländerin nicht; dabei sind die Mädchen keusch in der Liebe, bis der Frauenstand ihr neben dem Gatten noch den Geliebten zu erhören gestattet. Nur im Gebete ist die Jungfrau sinnlich und leidenschaftlich; der Heilige ist ihr Geliebter, Christus ihr Bräutigam. Von den Straßen Neapels ist die des Toledo die belebteste. Sie ist vielleicht die einzige geräumige und fahrbare Straße, die mit zahllosen Palästen geschmückt, das enge Gassengewirr der Stadt in seiner ganzen Länge durchschneidet. Hier ist der Mittelpunkt alles Volkslebens. Das Geschrei von tausend Feilbietenden und Wunder verkündenden Ciarlatanis, oder von wüthenden Morra-Spielern, die sich ihre Zahlen in's Ohr schreien, erfüllt die Luft. Dort sitzt der Schuhmacher, da der Schneider in seiner Werkstatt auf der Straße, da hobelt der Tischler, dort hämmert ein Schmidt oder Blechschläger, als ob es nur gälte, den Höllenlärm zu vermehren. Da an der Ecke sitzt der öffentliche Schreiber (Scribano) und verfertigt den harrenden Kunden Liebesbriefe oder demüthige Suppliken; dort an der Pfanne eines Friggitore (Garkochs) steht ein Haufen nackter Lazzaronis, und jeder verschlingt behaglich die ellenlangen Macaronis; daneben fleht ein barfüßiger Mönch in brauner schmutzigen Kutte, per la Carità di Dio, um ein Almosen für die im Fegefeuer brennenden Seelen; dicht dabei hält ein begeisterter Improvisatore in wohllautenden Stanzen seinen Vortrag, und Kupfermünze regnet dafür in seinen durchlöcherten Hut, den der Schnelldichter vor sich auf den Boden gestellt hat. Dort hat sich eine Gruppe grotesker Gestalten gelagert, um dem Vorleser einer schönen Räubergeschichte vom Angelo Duca, oder dem Gran Tessano aus den nahen Bergen Calabriens, oder um den schlanken Schiffer, der die schönsten Ottaverime aus Tasso's befreitem Jerusalem pathetisch im singenden Tone declamirt. Vor jener Heiligenblende sieht man Hirten aus den Abbruzzen, mit dem Ziegenfelle auf den nackten Schultern, der heiligen Madonna ein Ständchen auf dem Dudelsacke bringen. Nicht weit davon tanzen zwei Sicilianerinnen die Tarantella, nach dem Takte einer monotonen Musik, und dazwischen drängt sich der Acquajuolo, um dir für einen Gran das frischeste, oft mit Pezzi (oder Eisstücken) gekühlte Wasser zu bieten. Der Calessero hat Mühe, sein einspänniges, mit Menschen überladenes Carriculo durch die Menge zu arbeiten; glänzende Equipagen, mehr altmodig, prachtvoll mit Federbüschen, Schellen und Troddeln geschmückt, als elegant und modern, fahren durch das so seltsam verschlungene Menschengewühl dem königlichen Palaste auf dem Platze von San Spirito zu, oder Abends zur Promenade der eleganten Welt auf den schönen Uferstraßen der heiligen Lucia und der Chiaja. Ost genug freilich sind sie aufgehalten durch die Procession der vermummten frommen Brüderschaft oder durch die Lazzi und Späße eines Policinello oder den Purzelbaum eines Pagliazzo. Hier entfaltet sich auch an großen Kirchenfesten – wie am Tage des heiligen Januarius, wo das Wunder des Flüssigwerdens des ausgestellten Blutes Christi geschieht – die glänzendste Pracht; seidene Teppiche wehen von allen Balkonen, Fahnen und Blumen und geschmückte Frauen mit wehenden Tüchern bilden die Zierde der Balustraden und Fenster; oder, zu anderer Zeit, wenn die freigelassenen kleinen Rennpferde (Barberi) ohne Reiter durch das Volksgewühl jagen, das mit wunderbarer Sicherheit vor ihnen sich öffnet und hinter ihnen sich schließt, während Jauchzen und Flaggen der Tücher die Luft erfüllen. Gewaltsam müssen wir uns losreißen von dieser Masse der Bilder, die immer neu und nimmer endend sich uns aufdrängt, um noch Raum zu gewinnen für einige andere topographische und geschichtliche Mittheilungen über Neapel. – Wahrlich die Natur hat Großes für diese herrliche Stadt gethan, aber die Kunst scheint dabei verarmt zu sein; keine grandiose Bauladen); keine bedeutenden Werke der Bildhauerkunst und Malerei fesseln dort den kunstsinnigen Beschauer, der vielleicht von den Kunstschätzen, die Rom, Florenz, Mailand u. A. ihm darboten, schon übersättigt die sonnige Parthenope erreichte. So zeichnet sich auch von den 121 Kirchen, 130 Kapellen und vielen Klöstern Neapels nichts durch Schönheit des Baustyls aus. Die bedeutendste ist noch die des heiligen Januarius; für die schönste halt man: il Gesu novi, welche die beste Kuppel hat. Die Kirche des reichen Frauenklosters St. Chiara gleicht mehr einem Ballsaale als einem Tempel, überhaupt trägt die Religion in Neapel mehr den heitern als düstern Charakter. Für die Carthause von San Martino, die unter dem Schlosse St. Elmo liegt, und jetzt Invaliden zur Wohnung dient, hat die Natur mehr gethan als die Kunst, durch die wunderherrliche Aussicht, die man von dort herab genießt. Das Fort von St. Elmo beherrscht die breite Toledostraße, andere Castells schützen die Stadt nach außen, wie das Castell dell' Uovo. das auf einem eiförmigen Felsen in das Meer hineinragt. Unter den Palästen zeichnet sich das königliche Schloß durch edle Bauart aus; der königl. Palast zu Capo di Monte ist unvollendet, enthält aber viele Gemälde und andere Kunstsachen. Die alte Residenz: la Vicaria ist jetzt Justizpalast und dient als Gefängniß. Das Museum Bourbon, im Palast degli Studi, umfaßt antike Kunstschätze, unter denen jedoch nur wenige große Auszeichnung verdienen; zu den berühmtesten gehört der farnesische Herkules und die Venus Kallipyga. Es gereicht indeß Neapel zur Ehre, daß die Stadt an 60 wohlthätige Stiftungen enthält. Für die Unterhaltung der eleganten Welt sorgen 4 Theater, unter welchen das prächtigste, San Carlo, 1815 abgebrannt war, dann aber schöner wieder aufgebaut ist. Zu den Sehenswürdigkeiten der nächsten Umgebungen von Neapel gehören außer den schon genannten, die Grotte des Pausilippo, eigentlich ein uralter, an tausend Schritt langer, Tunnel, durch welchen die alte Römerstraße sich nach Neapel zieht, mit dem Columbarium oder den Gräbern Virgils, die bekannte Hundsgrotte, in welcher erstickende Dämpfe über dem Boden schweben; die Solfatara, jenes vulkanische Thal, wo man nur mit einem Stocke in die Erde zu stoßen braucht, um Flammen und Schwefeldampf hervorbrechen zu lassen; der Riesenbau des königlichen Palastes Caserta mit dem 12 Miglien langen Aquaduct; Pompeji und Herkulanum (s. d.), diese ausgegrabenen Römerstädte, deren von den Wänden abgesägte Frescogemälde mit anderen aufgefundenen Antiken in 16 Zimmern des alten Lustschlosses von Portici aufbewahrt werden. – Der Charakter Neapels ist ein heiterer Gegensatz der grandiosen Einfachheit des römischen Lebens. Ein blendender schillernder Geschmack, an lebhaften, bunten Farben, kleinlichen glänzenden Zierathen ist vorherrschend. Alles dort ist grell geputzt, von der Architektur der Häuser und Paläste bis herab zu der mit Gold- und Silberpapier beklebten Bude des Acquajuolo. Equipagen, Miethwagen und Calessi glänzen in den schreiendsten Farben, mit reich betreßten Livreen; die schönen neapolitanischen Rosse sind mit Federbüschen, Schellen und Frangen geschmückt; an allen Buden flattern Flaggen, bunte Fahnen und Teppiche. Ueberall Lärm, Ausgelassenheit und Luft. In Neapel genießt man der Gegenwart, in Rom der Vergangenheit. Neapel ist eine Wonne für jeden lebenslustigen Fremden, aber eben deßhalb läßt sich die reizende Parthenope, mit der schönen Helena vergleichen – viel Helden haben schon um ihren Besitz gekämpft und geblutet; so lehrt: – Neapels Geschichte. – Mag nun die Stadt Neapel, wie dunkle Sagen berichten, von dem Argonauten Falernus, oder von der Syrene Parthenope, vom Herkules, Ulysses, Aeneas, oder, wie wohl das Wahrscheinlichste ist, von griechischen Kolonisten begründet sein: so bleibt doch so viel gewiß, daß sie in den ältesten Zeiten schon Ansehen und Wohlstand erlangt hatte. Im dritten Jahrhunderte vor Chr. Geb. hat Hannibal sie mit seinen Karthaginensern vergebens belagert. Sie blieb eine treue Verbündete der Römer, die in Neapels Umgebungen Luftwohnungen anlegten und sie zu der zweiten Hauptstadt des ungeheueren Römerreichs erhoben. Selbst die Wuth der Vandalen, eines Alarich und Genserich, denen Rom erlag, brach sich an Neapels hohen Mauern. Belisar eroberte die Stadt durch unterirdische Gänge, Totila schleifte ihre Mauern; frei unter den Lombarden, wurde sie später eigenen Herzögen unterworfen. Tancred, nachher Heinrich VI., ein Sohn Friedrichs Barbarossa, regierten hier; Konradin, der Enkel Friedrichs II., fiel durch Henkersschwert auf Befehl des grausamen Karls von Anjou, der nun Neapel besaß, jedoch unter päpstlicher Oberhoheit. Dann wurden die Franzosen, unter Karl VIII., Neapels Beherrscher, endlich gewann es der schlaue Ferdinand von Aragon (1504), und die übermüthigen Spanier besaßen das unglückliche Land. Vicekönige herrschten dort als Tyrannen und Satrapen, bis Neapel (1714) an das Haus Oestreich fiel. Unter den früheren Beherrscherinnen Neapels waren Johanna I. und Johanna II. (s. d. A.) die denkwürdigsten. Nach kurzem Besitze übergab Oestreich Neapel an die Bourbons. So erhielt Neapel unter dem Titel des Königreichs beider Sicilien seit Jahrhunderten zuerst wieder zum Herrscher den Sohn Philipps von Spanien, Karl III., diesem folgten Ferdinand I., Franz I. und seit 1830 Ferdinand II. – Doch während der vielen Jahrhunderte, die hier im raschen Ueberblicke aufgerollt vor uns liegen, fehlte es nicht an blutigen Kämpfen, innern Aufständen, deren Herd die Stadt Neapel war, an Episoden und mächtigen Einwirkungen von Außen. Dahin gehören der unserer schönen Welt durch Aubers Oper: die Stumme von Portici, bemerkenswerth gewordene Aufstand der Schiffer und Lazzaroni, als deren Haupt und Führer Masaniello (Tomaso Aniello), ein junger Fischer aus Amalfi, zu mehr als königlicher Macht sich (1647) erhob, dann tragisch endete. Ferner (1799) der erste Schwindel der Parthenopäischen Republik, erregt durch die französische Revolution; die grausame Dämpfung dieses Aufstandes durch den Kardinal Ruffo, der an 90,000 blutgierige Calabresen nach Neapel geführt hatte und nun wie Göthe's Faust die Geister der Rache, die er herauf beschworen, nicht wieder bannen konnte. An 24,000 Männer, Frauen und Jungfrauen aus den edelsten Familien wurden die Opfer dieser schaudervollen Räubertribunale, der Vomero führte Wellen von Blut dem Meere zu, mehr als 40,000 Menschen aus den gebildeten Ständen schmachteten und starben zum Theil in Gefängnissen, und die Königin Karoline triumphirte über eine gemordete Stadt. (Eine romantische, aber historisch treue Erzählung dieses Aufstandes und seiner blutigen Beruhigung enthält: »Der Calabrese, Erzählung aus Neapels Schreckenstagen von H. E. R. Belani.) Dann folgte, als Episode die Vertreibung der Königsfamilie nach Palermo, dort die Abhängigkeit derselben von englischen Einflüssen, in N. aber die Alles reformirende napoleonsche Herrschaft Murat's (1808–1815), und als nun mit der Rückkehr der alten Königsfamilie alles gewonnene Frische im Staatsleben Neapels wieder umgestoßen wurde, da regte sich die allgemeine Unzufriedenheit, und namentlich die Vendittas (oder Logen) der Carbonari, jener politischen Verbindung exaltirter Liberalen, wuchsen zu einer Macht von 60,000 Verschwornen an. Die Begeisterung war rauschend, aber nicht dauernd, ganz angemessen dem Nationalcharakter der Neapolitaner, und so bedurfte es denn kaum des Vorrückens der östreichischen Heere, in Folge der zu Laibach gefaßten Beschlüsse der heiligen Allianz, um dem ganzen, mit vieler Würde und Glanz unblutig aufgeführten Revolutionsdrama eben so unblutig ein Ende zu machen. Bessern Zeiten sieht Neapel seit 1830 unter seinem jetzigen Könige Ferdinand II. entgegen. (S. Sicilien, Königreich beider.)

B....i.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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